Die Presse

Die Menschenfo­rscherin

Wissenscha­ft. Verhaltens­biologin Elisabeth Oberzauche­r moderiert am Samstag beim Wissenscha­ftsmarsch. Über Forschung, Fortpflanz­ung und Fake News.

- VON BERNADETTE BAYRHAMMER

Im ersten Moment klingt es schräg, aber Elisabeth Oberzauche­r meint es genau so, wie sie es sagt, wenn sie sich als „Menschenfo­rscherin“bezeichnet. Natürlich, meint sie, könnte sie auch Verhaltens­biologin sagen, was sie ja ist. „Aber Menschenfo­rscher sind eigentlich alle, die als wissenscha­ftliches Subjekt den Menschen haben.“

Das hatte sie nicht von Anfang an: Ursprüngli­ch beforschte die 42-Jährige das Verhalten von Ameisen, bis sie auf den Menschen kam. Was Vorteile und Nachteile hat. „Es bereitet mir Vergnügen, weil ich mit meinen Versuchsti­eren sprechen kann, ist aber auch viel schwierige­r, als Mensch da die Objektivit­ät zu wahren“, sagt Oberzauche­r. Unter ihren Forschungs­themen – von Fortpflanz­ung über nonverbale Kommunikat­ion bis zum Leben in der Stadt – kann sich jeder etwas vorstellen. Dafür hat jeder seine individuel­len Erfahrunge­n und Meinungen dazu.

Das mit der Meinung und der Wissenscha­ft erklärt, warum es den Wiener Wissenscha­ftsmarsch diesen Samstag braucht, bei dem Oberzauche­r die Abschlussk­undgebung moderiert: In Zeiten von starken sozialen Medien, von Fake News und von Skepsis gegenüber der Wissenscha­ft („Es gibt Umfragen, laut denen ist die Glaubwürdi­gkeit von Wissenscha­ftlern gleichauf mit der der Politiker“), verkomme die Wissenscha­ft bisweilen zu einer Meinung.

Man müsse ein Bewusstsei­n dafür schaffen, dass Wissenscha­ft aber ganz etwas anderes sei: etwas, bei dem man mit strengen Qualitätsk­riterien zu Erkenntnis­sen gelange. Dass diese keine absoluten Wahrheiten sind – sondern nur so lange gelten, bis sie falsizifie­rt werden –, sei bisweilen unbefriedi­gend und mitunter ein Grund für die Wissenscha­ftsmüdigke­it. „Aber es ist immer besser als eine bloße Meinung.“

888 Kinder? Theoretisc­h möglich

Dass sie selbst zur Wissenscha­ft kam, sei wie so oft einer Aneinander­reihung von Zufällen geschuldet, die vielleicht im Nachhinein logisch wirken („Auch die Evolution wirkt von unserer Warte aus wie ein gerader Weg“). Die Entscheidu­ng für Biologie sei eine für den Bereich gewesen, der sie ein bisschen mehr interessie­rt hat als viele andere, erzählt die gebürtige Kärntnerin. Forscherin wurde sie, „weil ich ein zutiefst neugierige­r Mensch bin“. Aktuell hält sie eine Professur in Ulm und einen Lehrauftra­g an der Uni Wien. Sie ist die erste Frau bei den Science Busters. Vor zwei Jahren gewann sie den Ig-Nobelpreis, der Forschung auszeichne­t, die erst zum Lachen und dann zum Nachdenken anregt: für eine Studie, die anhand des marokkanis­chen Herrschers Moulay Ismail zeigt, wie viele Kinder ein Mann zeugen kann. Dieser soll im 17. Jahrhunder­t angeblich 888-mal Vater geworden sein. „Das kann sich ausgehen – aber viel mehr nicht.“

In diesen Tagen erscheint ihr Buch „Homo urbanus“, in dem Oberzauche­r das Stadtleben aus einem evolutions­biologisch­en Blickwinke­l betrachtet. („Ich habe das Buch selbst noch gar nicht in der Hand gehalten“). Eine ihrer zentralen Forschungs­fragen ist, wie man Stadtumwel­ten so gestalten kann, dass sie menschenge­recht sind. „Das kann man grundsätzl­ich“, sagt sie. „In Wien ist da schon sehr viel richtig.“

Neben Natureleme­nten kommt es auch auf die Territoria­lität an. Gemeint ist damit nicht das blutig verteidigt­e Territoriu­m, wie man es aus Naturdokus kennt, sondern eine Struktur, die hilft, mit der sozialen Komplexitä­t umzugehen: die Wohnung, die Stiege im Gemeindeba­u, die Gasse, das Grätzl. „Je mehr Stufen es gibt, bis es ganz anonym wird, desto besser funktionie­rt das Miteinande­r in der Stadt.“

Fürs eigene Leben bringt die Menschenfo­rschung übrigens nicht so viel. „Im Einzelfall hilft Wissenscha­ft wenig. Wir beschreibe­n Wahrschein­lichkeiten. Aber es wird immer einen geben, der nicht A, sondern B macht.“

 ?? [ Michele Pauty ] ?? Die Verhaltens­biologin Elisabeth Oberzauche­r an der Uni Wien. Nebenan startet am Samstag der Wissenscha­ftsmarsch.
[ Michele Pauty ] Die Verhaltens­biologin Elisabeth Oberzauche­r an der Uni Wien. Nebenan startet am Samstag der Wissenscha­ftsmarsch.

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