Was wusste Spaniens Premier Rajoy?
Korruption. Der Regierungschef steht demnächst in einem Schmiergeldverfahren vor Gericht – vorerst nur als Zeuge. Doch laut einigen Angeklagten hatte Rajoy mehr Informationen, als er zugibt.
Madrid. Die Einschläge kommen näher: Etliche seiner politischen Vertrauten und engen Weggefährten wurden bereits von der spanischen Justiz der Korruption beschuldigt oder sogar verurteilt. Nun kommt auch Spaniens konservativer Regierungschef, Mariano Rajoy, wegen eines Korruptionsskandals in Bedrängnis: Er muss demnächst vor Gericht aussagen, weil er als Zeuge in einem heiklen Korruptionsverfahren vorgeladen wurde. Mehrere Beschuldigte, darunter ein früherer Parteischatzmeister, haben gesagt, dass Rajoy über Schmiergeldgeschäfte und daraus gespeiste illegale Parteikassen Bescheid wusste.
„Operation Gürtel“
In dem Prozess vor dem Nationalen Gerichtshof in Madrid wird eine gigantische Korruptionsaffäre aufgearbeitet, deren Untersuchung unter dem Namen „Operation Gürtel“bekannt wurde. In dem Verfahren geht es im Kern darum, dass konservative Politiker offenbar jahrzehntelang in Rathäusern und an den Schaltstellen der regionalen und staatlichen Verwaltungen öffentliche Aufträge an befreundete Unternehmer vergeben und dafür Kommissionen kassiert haben. Das Geld soll in schwarze Parteikassen oder auch in die Taschen der Politiker geflossen sein.
Einer der Hauptbeschuldigten, der parteinahe Unternehmer und mutmaßliche Schmiergeldvermittler Francisco Correa, hat ausgesagt, es sei über Jahrzehnte bei den Konservativen „normal“gewesen, dass Firmen für öffentliche Aufträge „zwei bis drei Prozent“des Auftragswerts an Schmiergeld abgeführt haben. Zahlungen, die man harmlos als „Spenden“oder „Zusammenarbeit mit der Partei“bezeichnet habe. Mit dem Schwarzgeld sollen dann illegal Wahlkämpfe finanziert worden sein. Zudem sind offenbar, laut den Notizen des früheren Schatzmeisters Luis Barcenas,´ hohe „Extrazahlun- gen“an Spitzenpolitiker, auch an Rajoy, geleistet worden.
Seit Auffliegen dieses Skandals befindet sich Rajoy, der seit 2004 als Chef der Konservativen amtiert und auch davor schon zur Parteispitze gehört hat, in einem Rückzugsgefecht. Zunächst sagte er: „Das ist alles falsch“und sprach von einem „Komplott“der politischen Widersacher gegen seine Volkspartei. Dann, als immer mehr prominente Parteifreunde angeklagt wurden, leistete er Abbitte: „Ich möchte alle Spanier dafür um Entschuldigung bitten, dass ich Personen Ämter anvertraut habe, die deren nicht würdig waren.“
Doch auch damit konnte Rajoy, der seit Ende 2011 Spaniens Ministerpräsident ist, den Verlust des Vertrauens in seine Partei nicht aufhalten. Seit der jüngsten Parlamentswahl im Sommer 2016 regiert er nicht mehr mit absoluter Mehrheit, sondern nur noch mit einem Minderheitskabinett. Nun, nach Rajoys Vorladung in den Nationalen Gerichtshof, droht weiteres Unheil: Die liberal-bürgerliche Partei Ciudadanos, wichtigste Krücke der Konservativen im Parlament, kündigte an, dass sie Rajoys Kopf fordern werde, sollte er nach seiner Aussage als Zeuge vom Gericht formell beschuldigt werden.
Vor dem Gerichtshof wird sich der 62-jährige Rajoy vor allem einem unbequemen Verhör durch die Nebenklage, die von der Demokratischen Anwaltsvereinigung ausgeübt wird, unterziehen müssen. Die Nebenkläger wollen Rajoy mit der Frage in die Enge treiben, wie es möglich ist, dass er als allmächtiger Parteiführer von den mutmaßlichen illegalen Geschäften in der konservativen Chefetage nichts mitbekommen habe – obwohl er seit 1990 zum Parteivorstand gehört und seit 2004 sogar Parteichef ist.
Vom Staatsanwalt hat Rajoy derweil weniger zu befürchten. Der Anklagevertreter des Staates sprach sich in vorauseilendem Gehorsam gegen die Gerichtsvorladung des Regierungschefs aus, weil sie „überflüssig“sei.