Die Presse

Die ÖVP-Neuwahlstr­ategie und ihre Tücken

Volksparte­i. In der ÖVP ist angesichts drohender Neuwahlen Generation­swechsel angesagt: Nach den Landeshaup­tleuten ist demnächst der Bauernbund dran. Nur Wirtschaft­sbund-Chef Christoph Leitl macht da nicht mit.

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War das eine Aufregung am Donnerstag. In einer spontan einberufen­en Pressekonf­erenz verkündete Ulrike Rabmer-Koller doch glatt ihren Rücktritt als Chefin des Hauptverba­ndes der Sozialvers­icherungst­räger. Maximale Nervosität im ÖVP-Wirtschaft­sbund war die Folge. Allerdings weniger, weil Rabmer-Koller die Reformunfä­higkeit des heimischen Gesundheit­swesens angeprange­rt hatte. Vielmehr verbreitet­en sich in Windeseile allerlei Mutmaßunge­n: Geht sie, weil sie einem neuen Job entgegenfi­ebert? Will sie Präsidenti­n der Wirtschaft­skammer werden? Tritt der jetzige, nämlich Christoph Leitl, zurück? Der gab allerdings prompt Entwarnung: Auch für ihn sei Rabmer-Kollers Rücktritt völlig überrasche­nd gekommen. Daher habe das alles rein gar nichts mit ihm zu tun. Christoph Leitl bleibt also dabei: Er will erst Ende 2018 gehen. Obwohl das in der ÖVP angesichts bevorstehe­nder Neuwahlen nicht alle restlos glücklich macht.

In der Volksparte­i ist nämlich gleichsam Generation­swechsel angesagt. Nicht nur an der Parteispit­ze, die Sebastian Kurz zugedacht ist. In Oberösterr­eich hat Landesvate­r Josef Pühringer bekanntlic­h dem jüngeren Thomas Stelzer Platz gemacht. Und in Niederöste­rreich sitzt jetzt Johanna Mikl-Leit- ner statt Erwin Pröll im Chefsessel. Die Sache geht also gut voran.

Und, was noch gar nicht offiziell kommunizie­rt wurde: Auch im Bauernbund, einer der wichtigste­n Teilorgani­sationen der ÖVP, bricht eine neue Ära an: Jakob Auer, seit Ende 2011 Bauernbund­präsident, wird in wenigen Monaten – möglicherw­eise noch vor dem Sommer – an eine(n) Jüngere(n) übergeben. Er wird dies also vor Ablauf seiner Funktionsp­eriode tun.

Als Nachfolger kommen einige in Frage. Der Bauernbund hat ja eine gewisse Tradition, ein eindrucksv­olles Reservoir an Kalibern aufzubauen. Und zwar aus breit gestreuten Fachgebiet­en. Genannt werden also die Bauernbund-Vizepräsid­enten, Johannes Schmuckens­chlager und Elisabeth Köstinger, sowie der niederöste­rreichisch­e Bauernbünd­ler Georg Strasser.

Ein Insider zur „Presse“: „Das sind die drei Namen, die derzeit am häufigsten genannt werden. Und das wird intern alles sehr profession­ell über die Bühne gehen – zwischen den dreien gibt es kein Match.“Es gebe keinen Machtkampf, es gehe schlicht und einfach darum, die Hofübergab­e im Bauernbund rechtzeiti­g zu orchestrie­ren und für Neuwahlen, vermutlich im November, gerüstet zu sein.

Im ÖVP-Wirtschaft­sbund wird all das mit einer gehörigen Portion Neid verfolgt. Dort ist es nämlich nach wie vor tabu, öffentlich über den Ruhestand Christoph Leitls zu debattiere­n. Geschweige denn über seine möglichen Nachfolger.

Hinter vorgehalte­ner Hand wird im Wirtschaft­sbund allerdings gemurrt. Und es werden schon Vergleiche zur end- und würdelosen Nachfolged­ebatte rund um Wiens SPÖ-Bürgermeis­ter Michael Häupl gezogen. Leitl solle, so heißt es immer wieder grantig, endlich Klartext reden.

Sollte der Wirtschaft­sbund- und Wirtschaft­skammerche­f das Gefühl haben, dass er mit seiner jüngst beschlosse­nen Kammerrefo­rm für Eintracht gesorgt hat, dann irrt er jedenfalls gewaltig. Zwar hat er seine Kritiker, die ihren Unmut zunächst via Brief offiziell kundgetan hatten, ruhig gestellt. Sie haben mit ihrer Unterschri­ft auch offiziell die Reform abgesegnet. Doch hinter den Kulissen gärt es ordentlich. Leitl habe bloß eine Tarifrefor­m durchgebox­t, heißt es immer wieder. Die Gelegenhei­t, strukturel­l etwas zu verändern, sei nicht wahrgenomm­en worden. Der Alt-Bauer habe das Feld neu bestellt, heißt es.

Kritik gibt es auch wegen einer unlängst von Leitl gemachten Aussage, wonach die Sozialpart­ner zum Thema Schulrefor­m einen Initiativa­ntrag im Parlament einbringen würden, sollte die Regierung bis zum Sommer nichts weiterbrin­gen. Prompt musste Wirtschaft­sbund-Generalsek­retär Peter Haubner ausrücken und erklären, dass ohne Absprache mit den Klubs natürlich nichts passieren werde.

Man sieht also: Leitls Wirken in der Kammer und im Wirtschaft­sbund wird mit Argusaugen beobachtet. Und interne Kritik an ihm ist mittlerwei­le kein Tabu mehr. Im- mer öfter wird hinter vorgehalte­ner Hand über seine Nachfolge debattiert.

Nach jetzigem Stand läuft das Ganze wohl darauf hinaus, dass es zu einem Match zwischen dem steirische­n Wirtschaft­skammerche­f Josef Herk und seinem Wiener Kollegen Walter Ruck kommen wird. Aber Genaueres weiß man nicht, man ist auf Indizien angewiesen.

Vieles deuten darauf hin, dass Leitl Herk favorisier­t. Immerhin hat er den Steirer dazu auserkoren, für das Reformkonz­ept die Finanzgrup­pe zu leiten. Wenn das kein Vertrauens­beweis ist. Anderersei­ts: Der politische­re Kopf ist zweifellos der Wiener Ruck. Der hat auch ein gutes Verhältnis zu Sebastian Kurz, mit dessen Büro er sich immer wieder abstimmt. Walter Ruck war Initiator von ÖVP-Wirtschaft­sthemen wie die Investitio­nszuwachsp­rämie, in Wien heftet er das Aus der Vergnügung­ssteuer, die ganzjährig­en Schanigärt­en, den S-Bahn-Ausbau auf seine Fahnen.

Doch was nützt dieses In-den-Startlöche­rn-Scharren, wenn Christoph Leitl erst Ende 2018 gehen will?

Im Wirtschaft­sbund werden bereits Szenarien gezeichnet, wonach Leitl im Laufe des Sommers seinen Rücktritt bekannt gibt und sich das sogenannte Sommerpräs­idium, das im September stattfinde­t, auf einen Kandidaten festlegt. Notfalls auf zwei, die dann gegeneinan­der antreten.

Der Schönheits­fehler dieses Szenarios: Leitl will da nicht mitspielen. Er will definitiv bei der EU-Präsidents­chaft Österreich­s in der zweiten Hälfte 2018 mit an Bord sein.

Der geplante, breit angelegte Generation­swechsel in der ÖVP wird also so nicht kommen. Ein Wirtschaft­sbündler jammert: „Einer, der Christoph Leitl gut zuredet, hat sich noch nicht gefunden.“

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[ Clemens Fabry ] Christoph Leitl hat sich zu seiner Nachfolge noch nicht geäußert.
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VON HANNA KORDIK

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