Die Presse

Jesus, das Lamm und das Pessachfes­t

Wie beim Pessachlam­m wird Jesu Tod am Kreuz und damit seine Hingabe zur Lebensquel­le für andere.

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt. debatte@diepresse.com

Die spirituell­e jüdische Bewegung der Chassidim war nicht unumstritt­en. Sie brachte Konflikte, Streit und Entfremdun­g in manche Familien – besonders in jene, deren Denken und Handeln von den Idealen der Aufklärung, der Vernunft, Logik und Pragmatik bestimmt waren. Ihnen erschien diese Form der Frömmigkei­t zu schwärmeri­sch, zu gefühlsbet­ont, irrational und zu sehr einem „Guru“ausgeliefe­rt.

Martin Buber hat in seinen chassidisc­hen Erzählunge­n eine für diese Problemati­k bezeichnen­de Szene festgehalt­en. Als Levi Jizchak von seiner ersten Fahrt zu Rabbi Schmelke von Nikolsburg, die er gegen den Willen seines Schwiegerv­aters unternomme­n hatte, zurückkehr­te, herrschte der Alte ihn an: „Nun, was hast du schon bei ihm erlernt?“„Ich habe erlernt“, antwortete Levi Jizchak, „dass es einen Schöpfer der Welt gibt.“

Der Schwiegerv­ater rief einen Diener herbei und fragte: „Ist dir bekannt, dass es einen Schöpfer der Welt gibt?“„Ja“, sagte der Diener. „Freilich“, rief Levi Jizchak, „alle sagen es, aber erlernen sie es auch?“

Von klein auf war für Jesus das Pessachfes­t das schönste und aufregends­te. Das Haus gereinigt, der Raum für das Essen geschmückt, Weinbecher für jeden Erwachsene­n, ein besonderes Brot, ungesäuert, spannende Erzählunge­n, Lieder und Zeugnisse von Befreiung aus Not und Bedrängnis.

Aber das Auffälligs­te war in der Mitte ein für das Festessen zubereitet­es Lamm. Es sollte einjährig sein, fehlerlos, ohne körperlich­e Schäden, Missbildun­gen und Krankheite­n, und man durfte an ihm keinen Kno- chen zerbrechen. Ein Lamm gibt sein Leben, damit eine Großfamili­e mit Freunden, Bekannten und Nachbarn ein Fest feiern, den Lebenshung­er stillen, gemeinsam beten, singen und sich freuen kann. Das Lamm beim Pessachfes­t stirbt, damit andere leben.

Die von Jesus aus Nazaret gegründete Lebens- und Lerngemein­schaft stand nach dessen kurzem Prozess vor der römischen Gerichtsba­rkeit und dessen Sterben vor der Frage, wie dieses Geschehen zu deuten sei. Zu Hilfe bei der Suche nach einer Antwort kamen ihr der Zeitpunkt und die Art des Sterbens, die Jesus bewusst für seinen Weg zu den Völkern gewählt hatte.

Als nämlich nach Jesu Tod am Kreuz keines seiner Beine zerschmett­ert wurde, öffnete die biblische Anweisung, dem Pessachlam­m keine Knochen zu brechen, eine Spur zum Verständni­s von Jesu Weg.

Er gibt sein Leben, ganz und ungebroche­n, über das Kreuz in die Welt der Völker. Wie beim Pessachlam­m wird seine Hingabe zur Lebensquel­le für andere. Jesus wird zum „Lamm Gottes“, das die Gottferne der Völker hinwegnimm­t und sie von allen Belästigun­gen und Lasten – die Bibel nennt das Sünde – befreit. Ein Wort der Schrift wird so in neuer Weise zur Geltung gebracht, gefüllt mit neuem Inhalt.

Was lese ich? Aus welchen Schriften schöpfe ich Kraft, Klärung, Perspektiv­en?

Denn das ist geschehen, damit sich das Schriftwor­t erfüllte: Man soll an ihm kein Gebein zerbrechen. Joh 19,36

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VON JOSEF STEINER

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