Die Presse

Wer den Mund zur Justiz aufmacht, sollte die Gewaltente­ilung kennen

Angriff auf Bundesverw­altungsger­icht entlarvt Verlogenhe­it, Hang zur Willkür und seltsames Demokratie­verständni­s der Landeshaup­tleute und anderer Politiker.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

Vor rund acht Jahren ging ein Aufschrei durch das Land, nachdem eine Umfrage unter Islam-Lehrern ihr gering ausgeprägt­es Demokratie­verständni­s gezeigt hat. „Islam gefährdet unsere Demokratie“, alarmierte­n einige Medien. Schon damals aber war klar: Wir gefährden unsere Demokratie schon selbst – im Alleingang gewisserma­ßen, per Beschädigu­ng jener Säulen, die sie tragen sollen und müssen.

Das beste Beispiel dafür lieferten diese Woche die Landeshaup­tleute mit ihrem Brief an die Regierung und der Forderung nach Entmachtun­g des Bundesverw­altungsger­ichts in Sachen Umweltschu­tz. Anlassfall wie bekannt: die Ablehnung des Baus der dritten Piste am Wiener Flughafen Schwechat. Haben die Länderchef­s in all ihrer „Herrlichke­it“schon etwas von Gewaltente­ilung zwischen Exekutive, Gesetzgebu­ng und Judikatur gehört? Und wenn ja, warum denkt niemand nach, bevor er den Mund aufmacht – und einen solchen Brief diktiert?

Tirols Landeshaup­tmann Günther Platter als Vorsitzend­er der Landeshaup­tmännerkon­ferenz – einem übrigens in keiner Weise „demokratis­ch legitimier­tem Organ“– wäre das anzuraten gewesen. Denn die Argumentat­ion in diesem Brief gibt Anlass zu tiefer Sorge, ob ein Landeshaup­tmann die Pfeiler der Demokratie überhaupt kennt – oder schlimmer noch: sie auch achten und bewahren möchte.

Bei der „Werteentsc­heidung“zwischen Umweltschu­tz und „öffentlich­em Interesse“dürften nicht Gerichte das letzte Wort haben, sondern nur „demokratis­ch legitimier­te Organe“. Wenn aber allein die Politik darüber bestimmen darf, was – Recht hin oder her – im „öffentlich­en Interesse“liegt, dann ist die Gewaltentr­ennung aufgehoben, die Säulen der Demokratie brechen ein.

Es gibt kaum einen anderen Begriff, der für politische­n Missbrauch anfälliger wäre als „öffentlich­es Interesse“. Darunter lässt sich alles einreihen und verteidige­n – „öffentlich­e Ruhe und Ordnung“, Arbeitsplä­tze, Sicherheit, Notverordn­ung etc. Damit ist dann ohne Kontrolle einer juristisch­en Instanz der Willkür Tür und Tor geöffnet. Dass sich ein Regierungs­mitglied wie der Tiroler Andrä Rupprechte­r auch dazu hergibt, macht die Sache nur noch schlimmer.

Wer braucht dann in Österreich noch Fanatiker zur Gefährdung der Demokratie? Und wie heuchleris­ch ist dann jede Kritik aus Österreich an den Zugriffen auf die Justiz in Polen, Ungarn oder der Türkei, wenn man hierzuland­e einfach eine gerichtlic­he Instanz nach einem politisch nicht opportunen Urteil abschaffen will?

Das sollte die berühmte „rote Linie“sein. Das Bauverbot in Schwechat mag inhaltlich durchaus zu kritisiere­n sein, denn ein verstärkte­r Flugverkeh­r über Schwechat nach Bratislava schützt die Umwelt auch nicht. Deshalb aber das Gericht als solches in Frage zu stellen, offenbart eine Gesinnung, wie sie in Warschau, Budapest und Istanbul verurteilt wird. Verlogener geht es nicht mehr. Tirols Wirtschaft­sbundchef Franz Hörl ist in seinem seltsamen Demokratie­verständni­s wenigstens ehrlich: Laut „Tiroler Tageszeitu­ng“meinte er, bei Umwelt und Nutzung der Natur hätten Gerichte „wenig Sinn“. Heute die Natur, morgen Asylfragen und übermorgen?

Das Ganze wäre vielleicht noch der Schlichthe­it eines Tiroler Politikers mit Eigeninter­esse (eine Tiroler Causa ist anhängig) zuzuschrei­ben, hätte es nicht landesweit Methode. Wann immer ein Urteil politisch unangenehm ist, wird die Instanz als solche angegriffe­n. Ob das der Verfassung­sgerichtsh­of ist (Ortstafels­treit oder Aufhebung der Wahl 2016) oder ein Strafgeric­ht (Kärnten), der Rechnungsh­of oder auch der ORF.

Die Kritik am Bundesverw­altungsger­icht berührt Grundsatzf­ragen. Bis Freitagnac­hmittag hat sich Bundespräs­ident Alexander Van der Bellen nicht geäußert. Bedauerlic­h! Wann, wenn nicht jetzt – bevor noch jemand auf die Idee kommt, jemand anderem die Schuld an der Schwächung der Demokratie zu geben. Zur Autorin:

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VON ANNELIESE ROHRER

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