Die Erforschung des Wiener Untergrunds
Geologie. Die Stadt Wien wurde auf mindestens sieben eiszeitlichen Terrassen errichtet. Mit Hilfe von Licht bestimmen Boku-Forscher das Alter der Schotterablagerungen und wollen verstehen, was sich bis heute im Untergrund abspielt.
Für die meisten ist der Weg südlich des Wiener Palais Liechtenstein in Richtung Strudelhofstiege nur eine Schlenderei durch den Bezirk Alsergrund. Vor Geologenaugen offenbart sich hier der fast unverstellte Blick auf Zeiten, als das Gebiet noch menschenleer war. „Das ist mein Lieblingsweg“, sagt Markus Fiebig vom Boku-Institut für Angewandte Geologie. Und das nicht nur wegen der malerischen Strudelhofstiege. „Der morphologische Sprung vom mittelalterlichen Flussgebiet hinauf zur Wiener Stadtterrasse, die schon Kelten und Römern Schutz vor Hochwasser bot, ist beeindruckend“, schwärmt Geologe Fiebig.
Entstanden sind die Terrassen Wiens durch ein Zusammenwirken von Klima und Tektonik. „Der Alpenkörper und mit ihm das Wiener Becken heben sich. Deswegen müssen die Flüsse dauernd graben, wenn sie ihr Flussbett beibehalten wollen“, erklärt Fiebig. „Genau das tut auch die Donau seit Jahrmillio- nen.“Auch Tauwetter gegen Ende von Eiszeiten ist von enormer Bedeutung. „Dann wird extrem viel Schutt aus den Alpen hinaustransportiert, der die Flüsse völlig überlädt und den diese in Richtung Mündung transportieren.“
Die Donau erreichte mit ihren unzähligen, ständig verformten Verästelungen irgendwann einmal fast jeden Teil des heutigen Stadtgebiets. Nach dem Rückzug blieben jeweils schier unermessliche Mengen an abgelagertem Material. Die Wiener Stadtterrasse, also grob der 1. Bezirk und Umgebung, soll eine Hinterlassenschaft der vorletzten Eiszeit und vor 100.000 bis 200.000 Jahren entstanden sein. Nach klassischer Lehrmeinung sollte jede höhere Stufe jeweils von einer Eiszeit davor stammen.
Wie alt sind Schotterschichten?
Soweit zur groben Darstellung. Bei näherer Betrachtung könnte alles weit komplexer sein. Ein wechselndes Team aus rund vier weiblichen und ebenso vielen männlichen Boku-Forschern arbeitet deshalb an einer Datierung der verschiedenen Schotterschichten. Ein Verdacht steht im Raum: „Es kann sein, dass Schotterschichten, die ursprünglich auf einer Ebene gelegen sind, heute auf unterschiedlichen Höhenlagen sitzen“, erklärt der Boku-Geologe. Wenn dem so wäre, ließe dies möglicherweise auf tektonische Brüche schließen, die ein Areal relativ zum anderen steigen oder sinken lassen. Eine im Hinblick auf Erdbebensicherheit interessante Information.
Bei der Datierung der Schichten arbeiten die Wissenschaftler auch mit der optisch stimulierten Lumineszenz. Diese neue Methode macht sich die natürliche Radioaktivität zunutze. Wird etwa das Siliziumdioxid eines Sandkorns unter
befasst sich mit dem Aufbau und den Kräften innerhalb der Erdkruste. Durch die Auffaltung der Alpen hob sich auch das Wiener Becken, sank aber u. a. durch Brüche teilweise ab. Diese Vertiefungen wurden durch Donau und Urzeitmeer mit Sedimenten befüllt. Lichtabschluss im Untergrund vergraben, schießt die Strahlungsenergie Elektronen aus ihrem Platz in der Atomhülle und hebt sie auf ein höheres Energieniveau. „Wenn man das Kristall mit Energie versorgt, finden die Elektronen zurück auf ihren ursprünglichen Platz. Dabei fallen sie wieder auf ein niedrigeres Energieniveau zurück und senden messbares Licht aus“, erläuert Fiebig. Dies geschieht bei Kontakt mit natürlichem Licht genauso wie im Messgerät. „An diesen Uhren im Gestein lesen wir ab, wie lange es schon an einer bestimmten Stelle liegt.“
Was bei der Arbeit hilft, sind Löcher, die ohnehin gegraben werden: „Wir hoffen in den kommenden Jahren während des Baus der U 2 und U 5 einige Proben entnehmen zu können und deutlich voranzukommen.“Für die Erkenntnisse interessiert sich auch die Geologin Sabine Grupe von der Wiener Gewässermanagement-Gesellschaft. Mit ihrem Team erstellt sie ein dreidimensionales Computermodell des Wiener Untergrunds.