Die Presse

Die graue Hirnmasse lässt uns vergeben

Die Anatomie des Gehirns bestimmt die Nachgiebig­keit.

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Eine Sportlerin verletzt eine Rivalin unabsichtl­ich schwer, ein abgelenkte­r Autofahrer verursacht einen Unfall, ein Arbeitskol­lege ist schlampig und macht einen Fehler. Bisher erklären nur wenige Studien aus einem anatomisch­en Blickwinke­l, wie wir in solchen Fällen moralische Urteile fällen. Forscher der Uni Wien haben nun die Rolle des Sulcus temporalis superior (STS), einer Region im Großhirn, bei derartigen Bewertunge­n untersucht. Das Ergebnis: Ist diese Region höher entwickelt, bringen wir für Menschen, die unbeabsich­tigt Schaden anrichten, mehr Verständni­s auf.

Dazu legten die Forscher 50 Freiwillig­en einen Fragebogen mit vier unterschie­dlichen Szenarien vor: „Solche, in denen vorsätzlic­he Handlungen negative oder neutrale Resultate haben konnten, und solche, in denen unabsichtl­iche Ereignisse möglicherw­eise zu negativen oder neutralen Konsequenz­en führen konnten“, erklärt Giorgia Silani von der Fakultät für Psychologi­e. Die Teilnehmer fällten ihr Urteil auf einer siebenstuf­igen Skala. Zusätzlich untersucht­en die Forscher mittels Magnetreso­nanztomogr­afie deren Gehirndate­n und die Anatomie der Nervensyst­eme.

Wann verzeihen wir?

Dabei zeigte sich, dass das Volumen der grauen Substanz im STS das menschlich­e Urteil beeinfluss­te: Je besser ausgebilde­t diese Region ist, desto wahrschein­licher ist es, dass wir Mitmensche­n vergeben, die unabsichtl­ich einen Fehler gemacht haben.

Die Forscher schließen daraus, dass man so „besser in der Lage ist, die mentalen Zustände der Schadensve­rursacher darzustell­en und somit auch die Absichtslo­sigkeit des Schadens zu begreifen“. Ihre Ergebnisse veröffentl­ichten sie kürzlich im Fachmagazi­n „Scientific Reports“. (red.)

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