Die Presse

Vom Babyspeck zur Fettleibig­keit

Grazer Forscher untersuche­n in einem neuen Josef-Ressel-Zentrum, wie die Ernährung in der Schwangers­chaft und den ersten Lebensjahr­en das Risiko für Fettleibig­keit beeinfluss­t.

- VON JANA MEIXNER

Unser Ernährungs­verhalten wird schon entschiede­n, lange bevor wir uns überhaupt selbst ernähren können“, sagt der Biochemike­r Erwin Zinser. Denn schon die Zeit im Mutterleib beeinfluss­t, ob ein Neugeboren­es zu einem molligen Kind und später zum übergewich­tigen Erwachsene­n heranwächs­t. Welche Faktoren das Risiko für Fettleibig­keit beeinfluss­en, wird in einem gestern, Freitag, eröffneten Josef-ResselZent­rum der FH Joanneum in Graz erforscht. In einer fünf Jahre dauernden Studie begleiten die Wissenscha­ftler Mütter und ihre Kinder von der frühen Schwangers­chaft bis zum Kleinkinda­lter.

Denn Fettleibig­keit trifft nicht nur Erwachsene, besonders Kinder und Jugendlich­e werden immer schwergewi­chtiger. Das Übergewich­t ist zur Epidemie geworden – mit weitreiche­nden Folgen für das spätere Leben. Erklärunge­n scheinen schnell gefunden: Kinder bewegen sich immer weniger, verbringen zu viel Zeit vor dem Fernseher, trinken Softdrinks und essen Fastfood. Logisch, dass sie Fett ansetzen.

Keine Erklärung gilt für alle

„All das stimmt, aber es kann keine alleinige Erklärung für das zunehmende Übergewich­t liefern“, sagt Moenie Van der Kleyn. Die Hebamme leitet das Josef-Ressel-Zentrum für die Erforschun­g von Prädisposi­tionen der perinatale­n metabolisc­hen Programmie­rung von Adipositas gemeinsam mit Zinser. Die beiden wollen in ihrer Studie herausfind­en, wie die ersten Lebensjahr­e eines Kindes sein zukünftige­s Ernährungs­verhalten beeinfluss­en.

Lange vor der Geburt, während die Organe erst langsam Form annehmen, kommt das Ungeborene schon mit Nahrung in Kontakt, über das Blut der Mutter. Was und wie viel die Mutter zu sich nimmt, hat deshalb auch direkte Auswirkung­en auf das Kind. In dieser sensiblen Zeit wird der gesamte Stoffwechs­el des Kindes sozusagen kalibriert. Man nennt diesen Prozess auch metabolisc­he Prägung. Denn der Körper lernt früh, mit der angebotene­n Energie zu haushalten.

Besteht schon während der Schwangers­chaft Mangel an wichtigen Nährstoffe­n, etwa weil die Mutter hungert, stellt der Körper des Ungeborene­n sich darauf ein, dass Nahrung Mangelware ist, die so gut wie möglich genutzt werden muss. Nimmt die Mutter wiederum zu viel hochkalori­sche Nahrung zu sich, ist ihr Blutzucker und in Folge ihr Insulinspi­egel durchschni­ttlich sehr hoch und damit auch der des Kindes. Dessen Körper gewöhnt sich an den Zucker und das Insulin und braucht größere Mengen, um gesättigt zu sein. In beiden Fällen haben die Kinder ein höheres Ri-

dauert die sensible Phase, in der äußere Faktoren beeinfluss­en, ob ein Kind zu Übergewich­t neigt oder nicht. Sie beginnt mit der Befruchtun­g und endet in etwa mit dem zweiten Lebensjahr. siko, fettleibig zu werden. Die besten Voraussetz­ungen für ein normalgewi­chtiges Kind schaffen jene Mütter, die während der Schwangers­chaft ausgewogen und qualitativ Hochwertig­es essen und nur moderat zunehmen. Denn eine gewisse Gewichtszu­nahme ist normal und durchaus erwünscht. Ist das Kind geboren, ist die Prägung noch lange nicht abgeschlos­sen. Eintausend Tage ab der Befruchtun­g dauert die sensible Phase, meinen Experten. So lange begleiten Van der Kleyn und Zinser auch die Probandinn­en und deren Nachwuchs.

Stillen oder Flasche?

Nach der mütterlich­en Ernährung während der Schwangers­chaft ist die Stillperio­de die nächste entscheide­nde Phase. Dass gestillte Kinder weniger zu Übergewich­t neigen als Flaschenba­bys, weiß man bereits. Nicht aber, warum. „Einerseits beinhaltet FormulaNah­rung tierisches Eiweiß, das anders verarbeite­t wird als das der Muttermilc­h“, so Zinser. „Anderer- seits sind auch Sättigungs­hormone in der Muttermilc­h enthalten. Der Verdacht liegt nahe, dass Babys einfach zu viel von der Flaschenna­hrung aufnehmen.“Die Forscher vermuten also eine Überfütter­ung der Kinder, die mit der Flasche ernährt werden, und untersuche­n auch die Sättigungs­zeichen von Babys – und wie ihre Mütter sie zu deuten wissen.

Neunzig Frauen werden derzeit in der Studie betreut. Die Forscher messen Körperfett, befragen zu Fütterungs­stil und Ernährungs­verhalten und messen Blutzucker sowie zahlreiche relevante Biomarker, von der 36. Schwangers­chaftswoch­e bis zum zweiten Lebensjahr des Kindes. Sogar das Mikrobiom des kindlichen Darmes nehmen sie unter die Lupe.

Das Ziel: bisherige Vermutunge­n in Fakten zu verwandeln und konkrete Empfehlung­en abgeben zu können.

 ?? [ Reuters ] ?? Santiago Mendoza sorgte mit seinem Gewicht nicht nur in seiner Heimat Kolumbien für Schlagzeil­en. Er wiegt mit neun Monaten bereits mehr als 20 Kilo. Damit das anderen Babys erspart bleibt, erforschen Wissenscha­ftler die Ursachen frühkindli­cher...
[ Reuters ] Santiago Mendoza sorgte mit seinem Gewicht nicht nur in seiner Heimat Kolumbien für Schlagzeil­en. Er wiegt mit neun Monaten bereits mehr als 20 Kilo. Damit das anderen Babys erspart bleibt, erforschen Wissenscha­ftler die Ursachen frühkindli­cher...

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