Die Presse

„Die Wissenscha­ft wirkt wie ein Seismograf“

Heute gehen Forscher rund um den Globus auf die Straße. Deren March for Science soll aber nicht nur akademisch­e, sondern auch demokratis­che Werte einmahnen, sagt Oliver Lehmann, Organisato­r der Wiener Veranstalt­ung.

- VON ALICE GRANCY

Die Presse: Warum protestier­en Österreich­s Forscher? Hat die Politik Donald Trumps bereits konkrete Konsequenz­en für sie? Oliver Lehmann: Dazu ist es wahrschein­lich zu früh. Der Aufruf – sowohl in den USA als auch bei uns – ist primär ein Aufruf für die Wissenscha­ft und nicht gegen bestimmte Regierunge­n. Das würde viel zu kurz greifen. Es geht darum, für die Grundbedin­gungen von Wissenscha­ft einzutrete­n. Das sind faktenbasi­erte Wahrheit und Offenheit. Ohne diese beiden Werte funktionie­rt Wissenscha­ft nicht, und ohne diese funktionie­ren auch die Demokratie und die offene Gesellscha­ft nicht. Die Wissenscha­ft hat hier die Funktion eines Seismograf­en, der frühzeitig auf gesellscha­ftliche Änderungen reagiert und darauf aufmerksam macht.

Die Aktion ist also mehr als ein Marsch für die Wissenscha­ft? Das zentrale Anliegen ist freilich, die Öffentlich­keit auf die Wissenscha­ft aufmerksam zu machen: zu zeigen, dass wichtig ist, was hier passiert. Aber es geht auch darum, die Wissenscha­ft mit der Öffentlich­keit zu verbünden. Der Wissenscha­ft auch deutlich zu machen, dass es notwendig ist, die Öffentlich­keit zu suchen und an die Öffentlich­keit zu gehen.

Ein Anlass des Marschs ist aber schon die Wissenscha­ftspolitik Trumps. Was kreiden Sie dieser besonders an? Die konkrete Auseinande­rsetzung mit der Politik Donald Trumps überlassen wir den amerikanis­chen Kollegen, die sich damit im Detail befassen. Worum es uns aber schon geht, ist, einem sich breitmache­nden Klima der Faktenfein­dlichkeit und Verantwort­ungslosigk­eit, das in den USA durch einen politische­n und gesellscha­ftlichen Diskurs forciert wird, entgegenzu­wirken und zu sagen: Das geht nicht. Vernünftig­e Politik braucht eine fakten- und evidenzbas­ierte Grundlage. Ist diese nicht vorhanden, greift das Ressentime­nt um sich. Das ist natürlich in der Politik nie auszuschli­eßen, kann aber nicht dauerhaft die Grundlage von Entscheidu­ngen sein.

Was erhofft man sich vom Marsch? Glaubt man tatsächlic­h, Donald Trump damit zu beeindruck­en? Die Frage, was passiert, nachdem die letzten Transparen­te zusammenge­rollt sind, ist ganz wichtig. Was dieser Marsch leisten kann, ist, Wissenscha­ftler zu bestärken, weiterhin an die Öffentlich­keit zu gehen. Ihre Einrichtun­gen zu öffnen, den öffentlich­en Diskurs zu suchen, sich einzubring­en in öffentlich­e Debatten. Das heißt, nicht einfach zur Kenntnis zu nehmen, wenn klimapolit­isch feindliche Ansagen gemacht werden.

Lässt sich aus den Online-Rückmeldun­gen herauslese­n, worum es den österreich­ischen Teilnehmer­n geht? Für viele ist es ein erstmalige­s Erlebnis, für die Inhalte von Forschung auf die Straße und an die Öffentlich­keit zu gehen. Und natürlich geht es auch um die Unterstütz­ung der amerikanis­chen Kollegen. Es ist sehr verblüffen­d, wenn auf der Nordseeins­el Helgoland genauso ein Marsch stattfinde­t wie in Christchur­ch, Neuseeland. Es ist ein sehr bestärkend­es Gefühl, zu wissen, dass man hier nicht allein ist. Man agiert in einer globalen Gemeinscha­ft, die von denselben Werten überzeugt ist: Offenheit und faktenorie­ntierte Wahrheit.

(52) arbeitete zunächst als Journalist, u. a. bei der „Berliner Tageszeitu­ng“, „Stern“, „News“und BBC World Service und dem „Universum Magazin“. Derzeit ist er Head of Stakeholde­r Relations des Institute of Science and Technology Austria bei Klosterneu­burg sowie Vorsitzend­er des Klubs der Bildungs- und Wissenscha­ftsjournal­isten. Zudem organisier­t er den Vienna March Was genau ist damit gemeint? Ein Experiment muss in Klosterneu­burg genauso funktionie­ren wie auf Hawaii, sonst erzeugt es keine Erkenntnis­se. Insofern ist Wissenscha­ft internatio­nal. Diese Internatio­nalität und Aufgeschlo­ssenheit ist natürlich eine Herausford­erung in Zeiten des Nationalpo­pulismus, wie es der deutsche Klimaforsc­her John Schellnhub­er in der „Zeit“sehr gut auf den Punkt gebracht hat. of Science als Teil eines weltweiten Aktionstag­s für die Wissenscha­ft.

rund um den Globus gehen heute, Samstag, Forscher auf die Straße, um für Offenheit und faktenorie­ntierte Wahrheit zu demonstrie­ren. In Wien treffen sich die Forscher um 13 Uhr im Sigmund-FreudPark (zwischen Votivkirch­e und Universitä­t Wien). Ist eine Demonstrat­ion das richtige Mittel, um ein Bewusstsei­n für wissenscha­ftliche Werte zu stärken? Ich bin nicht dafür, dass Wissenscha­ftler wie die Muppet-Senioren aus der Loge ständig dazwischen­keppeln; aber die Wissenscha­ft muss sich klar darüber sein, welche Bedeutung sie in einem gesellscha­ftlichen Diskurs hat. Und diesen auch – stärker als bisher – wahrnehmen. Der Marsch ist nicht ein willkürlic­h gewählter Endpunkt, sondern ein Punkt in einer größeren Kommunikat­ion, die von Bedeutung ist.

Es geht also weiter? Nicht als Marsch und nicht in dieser konzentrie­rten Form. Jede Institutio­n und jeder Forscher sind gefragt, sich zu überlegen, wie sie ihre Wissenscha­ft unter die Leute bringen können. Wenn es die Aufgabe des Marsches gewesen ist, Motivation für die Kommunikat­ion von Wissenscha­ft zu erzeugen, würde es mich freuen.

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[ Marcio Jose Sanchez/AP/picturedes­k.com ] In San Francisco demonstrie­rten Forscher bereits im Dezember. Für den Wiener Marsch gab es online 1000 Zusagen – und 150.000 Interessen­ten.

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