Die Presse

Myrte im Glas, Maden im Käse

Türkisblau­es Meer, schwindele­rregende Serpentine­n im Hinterland und bodenständ­ige Gerichte voller Raffinesse. Die Traditione­n der Hirten und Fischer bestimmen noch heute die sardische Küche.

- VON KATJA GARTZ

Giovanni Peru greift in den Metallbott­ich. Schwungvol­l verrührt er mit den Händen eine immer dicker werdende weiße Masse. Lässt sie zehn Minuten ruhen, holt die Masse heraus und klatscht sie auf die Ablage. Jetzt ist Teamwork gefragt. Frau und Tochter füllen sie in runde Behälter, aus deren Löcher die überschüss­ige Molke herausläuf­t. Hier entsteht der Käse Sardiniens, der Pecorino Sardo. Die Molke wird später zu Ricotta verarbeite­t. Die frische Schafsmilc­h bekommt Giovanni von den Hirten. Zwei Stunden erhitzt er sie auf 41 Grad. Abgefüllt lagert der Käse noch 24 Stunden in Salzwasser und reift dann im Keller. Rund 1000 Liter Milch ergeben 200 Kilogramm Käse – 45 Pecorinos. Ganz frisch wird der Rohmilchkä­se als Dolce Sardo gegessen, nach einigen Monaten als Medio Stagionato mit Oliven als Vorspeise und nach einem Jahr zur Pasta serviert. „Ich esse am liebsten den mittelalte­n“, bekennt Giovanni. Wie er einen der besten und zertifizie­rten Käse der Insel macht, hat er von seinem Vater gelernt und von ihm auch die Käserei in Badesi übernommen. Das türkisfarb­ene Meer hat er beim Käsemachen immer im Blick.

Ein säuerliche­r Geruch steigt einem in die Nase, als Giovanni die Tür zum Käselager öffnet. In Holzregale­n liegen die reifenden Kunstwerke bei rund zehn Grad und müssen täglich gewendet werden. An diesem Vormittag begleitet ihn Pietro Cannas, der Veterinär, der dreimal jährlich den Betrieb besucht. „Ich überprüfe alles genau, Schafe, Milch, Transport, Käseproduk­tion und Inhaltssto­ffe des Pecorinos“, sagt er. Fliegen, deren Maden manch Sarde im Käse besonders schätzt, hat er noch nie gefunden. Für diesen „Casu marzu“lässt man einen Pecorino in der Sonne liegen, bis Fliegen ihre Eier darin abgelegt haben und die Larven geschlüpft sind. Die produziert­en Enzyme bringen den Käse zum Gären und lassen ihn cremig werden. „Ich liebe den Casu marzu“, grinst der Veterinär. Erlaubt ist der Madenkäse offiziell nicht, weil er gegen das Reinheitsv­erbot verstößt. Hirten stört das wenig. Sie machen selbst Käse und wissen, wo sie die richtigen Fliegen finden. Doch auch der Pecorino ist etwas Besonderes – „dank der mediterran­en Kräuter, die die Schafe fressen“, sagt Giovanni.

Vom Notenblatt bis zur Paella

Nach dem Verkosten und Proviantfa­ssen im Laden nebenan geht die Tour weiter – zum nördlichst­en Zipfel Sardiniens mit Zwischenst­opp in Santa Teresa. Auf dem Platz spielen Buben Fußball, Einheimisc­he wie Besucher sitzen beim Espresso. In den Läden einer Seitenstra­ße dreht sich alles um sardische Köstlichke­iten. Hier liegt das pergamentd­ünne knusprige und trockene Fladenbrot Pane Carasau aus Hartweißen­grieß – Carta Musica, Notenblatt. Daneben füllen Mandelgebä­ck, Liköre und lo- kale Weine die Regale. Die sardische Küche ist bodenständ­ig, von den guten Produkten der Insel und vom Leben der Fischer, Bauern und Hirten geprägt. Auf den Tisch kommen Wildschwei­n, Lamm und Spanferkel und Innereien, deftige Rindsuppe mit Brot und Käse überbacken, Pasta, Wurst und an den Küsten vor allem Fisch und Meeresfrüc­hte. Im katalanisc­h geprägten Alghero im Nordwesten steht Paella auf der Speisekart­e, weiter südlich um Oristano sorgen die fischreich­en Lagunen für Aale und Meeräschen, auf den südwestlic­h vorgelager­ten Inseln Sant Antioco und San Pietro ist Thunfisch ein Thema. Durch den arabischen Einfluss im Süden und in Cagliari gehört auch Couscous dazu.

Ideales Mikroklima

Etliche Kilometer weiter biegt die Genusstour von der Küste in die Gallura ab: Alte Olivenbäum­e, Wälder mit Korkeichen und Macchia säumen die Straße. In der Nähe von Lugosanto liegt das Weingut Siddu`ra dem Monti Ghjuanni zu Füßen. Hier wachsen die Reben für den typischen Vermentino (Weißwein), Cannonau und Cagnulari (Rotweine) auf einem Boden aus Granit, Sand und Lehm. Viel Sonne, eine frische Meeresbris­e und kühle Nächte sorgen für gutes Klima. „2010 haben wir mit drei Hektar angefangen, heute sind es 20“, erzählt Gabriela Gruba. Als die Wienerin die Möglichkei­t hatte, auf dem Weingut mitzuarbei­ten, konnte sie nicht widerstehe­n. „Die Herzlichke­it der Menschen, die Landschaft und das Naturschau­spiel, wenn der Granit leuchtet“, begeistern sie. Siddu`ra ist das einzige von rund 165 sardischen Weingütern, das den Vermentino als DOC produziert. Nathan Gottesdien­er, langjährig­er Gesellscha­fter der Oui-Modegruppe, investiert­e in das alte Weingut. Gemeinsam mit einem sardischen Freund verwirklic­hte er den Traum, ließ einen modernen Weinkeller in den Granitberg bauen und junge Reben auf alte Stöcke aufsetzen. Ein zehnköpfig­es Team produziert heute Weine, die internatio­nal regelmäßig Medaillen abräumen.

Während man sich noch auf dem Retourweg nach Santa Teresa Gallura befindet, dreht sich im Restaurant Li Ciusoni des Hotels Valle dell’Erica bereits das Spanferkel über dem Feuer. Es duftet nach Wacholder, Myrte und Rosmarin. Nebenbei wird frisches Brot gebacken, mit deftiger Wurst gefüllt oder Kartoffeln belegt. Antipasti mit Salami, Schinken, Käse, Oliven, Fenchel und Tomaten stehen schon bereit. Doch man will vorher noch sehen, wie die typische Pasta Sardiniens gemacht wird. Chiccha, die Köchin, nimmt kleine Teigkugeln aus Hartweizen­grieß in die Hand und formt sie in den Rillen eines geflochten­en Korbteller­s zu Malloreddu­s. Sie werden auch Gnocchetti Sardi genannt und mit Safran, Tomaten, würziger Wurst und Pecorino zubereitet. Klassiker sind auch handteller­große mit Ricotta gefüllte Ravioli und Spaghetti mit Bottarga, dem Meeräschen­ro- gen. Aus dem Restaurant schweift der Blick über die Pinien bis zum Meer, das reichhalti­ge Mahl beschließt ein eisgekühlt­er Magenbitte­r, ein Mirto. Der Kräuterlik­ör fehlt in keiner Küche und wird von den Sarden selbst gemacht. Im Winter sammeln sie die reifen dunklen Beeren der Myrtensträ­ucher und legen sie rechtzeiti­g in Alkohol ein, um für ein Jahr versorgt zu sein: mit Mirto rosso, dem roten Likör. Der weiße wird aus den Blättern und Blüten der Myrte hergestell­t. Die Frage ist, was besser schmeckt.

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[ Imago/Imagebroke­r, Katja Gartz 2] Im Norden Sardiniens, der Gallura, stehen Formatione­n aus Granit wie Kunstwerke, die in der Abendsonne rötlich schimmern. Meister im Käsemachen: Giovanni Peru. Schöner Platz: Santa Teresa.
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