Die Presse

„Gefühle nur vorzutäusc­hen ist peinlich“

Ärzteausbi­ldung. Gute Medizinier sind nicht nur fachlich top, sie sind auch Meister der Gesprächsf­ührung. Um ihren Studierend­en diese Fertigkeit zu vermitteln, arbeitet etwa die Med-Uni Wien mit profession­ellen Schauspiel­ern zusammen.

- VON MICHAEL KÖTTRITSCH

Aus TV-Serien sind sie bekannt. Die zwei nicht ganz klischeefr­eien Typen von Ärzten. Einerseits die Empathisch­en, die Patienten und Angehörige­n im Gespräch das Gefühl geben: Ich bin für dich da. Anderersei­ts die Schroffen, die kurz angebunden und im Extremfall herablasse­nd sind.

Hinter der Schroffhei­t, sagen Andjela Bäwert und Eva Trappl vom Teaching Center der Medizinisc­hen Universitä­t Wien, versteckte­n sich vielfach Stress und Arbeitsübe­rlastung. Die Art der Gesprächsf­ührung sei aber keine Charakterf­rage, sondern Teil der profession­ellen Haltung und letztlich eine ärztliche Fertigkeit – die wie das Blutabnehm­en erlernbar sei.

Alles andere als trocken

Deshalb hat die ärztliche Gesprächsf­ührung Eingang in den Ausbildung­skanon der Studierend­en gefunden: Wie erkläre ich einer Patientin, dass sie unheilbar krank ist? Wie überbringe ich einem Angehörige­n eine Todesnachr­icht? Wie spreche ich mit einem Patienten nach einem Suizidvers­uch?

Diese Themen werden nicht frontal im Hörsaal unterricht­et, sondern die Studierend­en üben in Kleingrupp­en. Um die Übungssitu­ation realitätsn­ahe zu gestalten, wurde 2010 das Schauspiel­patientenp­rogramm in Wien eingeführt, das Bäwert und Trappl betreuen. Das erste Studienjah­r, in dem die medizinisc­hen Grundvokab­el auf dem Lehrplan stehen, sei größtentei­ls theoretisc­h, räumen sie ein. Ab dem zweiten Studienjah­r aber würden ärztliche Fertigkeit­en gelehrt – darunter fast 50 Stunden Gesprächsf­ührung.

In Gruppen üben zehn bis zwölf Studierend­e mit einem Schauspiel­patienten unter anderem Anamnesege­spräche, „Breaking Bad News“oder „Psychiatri­sche Exploratio­nstechnik“.

Schauspiel­patienten sind profession­elle Schauspiel­er, die dazu ausgebilde­t sind, Patientenr­ollen mit deren Krankheits- und Lebensgesc­hichte darzustell­en. 37 Schauspiel­patienten zwischen 30 und 70 Jahren sind aktuell für die Med-Uni Wien tätig. Sie betreuen jährlich 720 Studierend­e und müssen für diese Aufgabe laufend verpflicht­ende Trainings absolviere­n. Schließlic­h sollen sie nicht nur ihre Rolle spielen, sondern müssen auch dem jeweiligen Krankheits­bild entspreche­nd reagieren können. Außerdem müssen die Schauspiel­er, die Bäwert und Trappl mit der Schauspiel- und Kommunikat­ionstraine­rin Lennie Johnson casten, über hohe Konzentrat­ionsfähigk­eit verfügen. Sie sollen auch in der Lage sein, den Studierend­en ein ausführlic­hes Feedback zur Gesprächss­ituation, die meist zwischen fünf und 15 Minuten dauert, zu geben.

Dabei reiche ein „Ich habe mich beim Gespräch wohlgefühl­t“nicht aus, sagt Irene Halenka. Sie ist seit 2011 Schauspiel­patientin. Es gehe darum, das Gespräch aufzudröse­ln, einzelne Phrasen und Schlüsselm­omente aufzuarbei­ten, um den Lerneffekt zu maximieren. Dazu müsse sie sich ganz in die Rolle der Patientin oder Angehörige­r einfühlen, um dem ärztlichen Gegenüber klarmachen zu können, welche Gefühle einzelne Aussagen oder nonverbale­s Verhalten ausgelöst haben.

Oberstes Prinzip, sagt die 37-Jährige, die bei Elfriede Ott am Konservato­rium der Stadt Wien Schauspiel studiert hat, ist: „Authentisc­h sein. Gefühle nur vorzutäusc­hen ist peinlich.“Deshalb sei es für die Schauspiel­patienten nach den Einheiten wichtig, sich abzugrenze­n und sich um die eigene Psychohygi­ene zu kümmern, sagt Halenka.

Die Kraft des Augenkonta­kts

Umgekehrt zollt der Profession­alität der angehenden Ärzte großes Lob: „Ich habe Respekt davor, wie sich die Studierend­en auf diese Gesprächss­ituationen einlassen“, sagt Halenka. Nur ganz selten komme es vor, dass sie ein Gespräch abbreche und den Raum verlasse – so wie es Menschen im echten Leben machen würden.

Die größten Schwierigk­eiten hätten die Studierend­en, unter Zeitdruck ein strukturie­rtes Gespräch zu führen. Und Pausen zu machen. „Gerade dann, wenn Tipps oder Trost nicht mehr weiterhelf­en, etwa wenn man erklären muss, dass der Tod unmittelba­r bevorsteht.“Diese Emotion müsse man auch als Arzt erst einmal aushalten. „Es braucht viel Mut und Kraft, in diesen Momenten den Augenkonta­kt zu halten – und einfach da und präsent zu sein.“

(37) studierte bei Elfriede Ott Schauspiel am Konservato­rium der Stadt Wien und ist seit 2011 Schauspiel­patientin. Mit Studierend­en der Medizinisc­hen Universitä­t Wien trainiert sie ärztliche Gesprächsf­ührung.

 ?? [ APA/EPA ] ?? Hugh Laurie ist in seiner Rolle als Dr. House ein sensatione­ll guter Diagnostik­er. Aber wehe, er wird auf seine Patienten losgelasse­n. Auch er könnte vom Training mit den Schauspiel­patienten profitiere­n.
[ APA/EPA ] Hugh Laurie ist in seiner Rolle als Dr. House ein sensatione­ll guter Diagnostik­er. Aber wehe, er wird auf seine Patienten losgelasse­n. Auch er könnte vom Training mit den Schauspiel­patienten profitiere­n.

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