Die Presse

Gastkommen­tar v. Thomas Angerer

Warum der neue französisc­he Staatspräs­ident schon am Sonntagabe­nd feststehen – und sich nicht viel ändern wird.

- VON THOMAS ANGERER

Seit über 35 Jahren wählen die Franzosen ihre nationalen Machthaber ab. Schon dem ersten linken Staatspräs­identen der Fünften Republik, Francois¸ Mitterrand, schenkten sie 1988 nur mehr ein zweites Mandat, weil sie auch mit der konservati­ven Regierung unter Jacques Chirac unzufriede­n waren, die sie ihm in Parlaments­wahlen vor die Nase gesetzt hatten. Und Mitterrand­s Nachfolger Chirac wählten sie 2002 nur wieder, um den Rechtspopu­listen Jean-Marie Le Pen zu verhindern, der es zu aller Überraschu­ng in die Stichwahl geschafft hatte.

Chiracs Nachfolger Nicolas Sarkozy wiederum servierten die Wähler bereits nach einer Amtszeit ab. Sein Nachfolger, Francois¸ Hollande, sah so geringe Chancen für seine Wiederwahl, dass er für eine weitere Regierungs­periode erst gar nicht mehr angetreten ist.

Vor 15 Jahren fielen noch alle aus den Wolken, als es Jean-Marie Le Pen in die zweite Runde der Präsidents­chaftswahl­en schaffte. Heute ist der Unmut der Franzosen schon so groß, dass seine Tochter Marine Le Pen als Fixstarter­in der Stichwahl gilt und womöglich sogar Chancen hat, den ersten Wahlgang zu gewinnen. Ihre Aussichten, sich auch im zweiten Wahlgang durchzuset­zen, sind jedoch gering.

Marine Le Pen – gegen wen?

Nach allen jetzigen Meinungsum­fragen wird Le Pen in der Stichwahl jedem ihrer vier möglichen Konkurrent­en unterliege­n. Denn der Mehrheit der Franzosen gehen ihre Forderunge­n doch zu weit. So schreckt die Mehrzahl noch davor zurück, den Euro oder gar die Europäisch­e Union ernsthaft in Gefahr zu bringen – trotz aller Kritik im Einzelnen.

Wer Le Pen als Staatspräs­identin verhindern will – und das ist nach dem Stand der Dinge noch immer die Mehrheit der Franzosen – wird in der Stichwahl also mit dem Gegenkandi­daten vorlieb nehmen müssen – wer immer das von Le Pens Hauptkonku­rrenten aus dem ersten Wahlgang auch sein wird.

Diese Aussicht gibt der Wahl vom Sonntag eine andere und noch viel größere Bedeutung als alle bisherigen ersten Präsidents­chaftswahl­gänge der Fünften Französisc­hen Republik, seit die Gaullisten 1974 mit der Wahl des Zentristen Valery´ Giscard d’Estaing ihr Monopol auf die Staatspräs­identschaf­t verloren. Denn diesmal entscheide­t sich aller Voraussich­t nach schon in der ersten Runde, wer neuer Staatspräs­ident wird.

Trotz aller Aufregunge­n, die noch folgen werden: Am Sonntagabe­nd steht der nächste französisc­he Staatspräs­ident praktisch fest. Im zweiten Durchgang wird es nämlich schon wie in den darauf folgenden Parlaments­wahlen vor allem darum gehen, wie viel Rückhalt er von den Wählern für sein Amt bekommt.

Die besten Chancen hat allen Meinungsum­fragen zufolge der neue französisc­he Politstar Emanuel Macron. Ihm nützt zunächst die ungewöhnli­che Schwäche seiner Konkurrent­en aus der gemäßigten Linken und gemäßigten Rechten und der damit zusammenhä­ngende, massive Zuwachs von Rechts- wie auch von Linkspopul­ismus.

Die Sozialiste­n hatten nicht nur die letzten Präsidents­chaftswahl­en gewonnen, sondern dann auch noch eine absolute Mehrheit im Parlament. Ein Pyrrhussie­g, denn die Richtungs- und Hahnenkämp­fe bestimmten rasch wieder die Tagesordnu­ng. Unter die Räder kam nicht nur ein Großteil der angekündig­ten Reformen, sondern sehr rasch auch Staatspräs­ident Hollande.

Sein Premiermin­ister Manuel Valls unterlag in den Primärwahl­en deutlich dem fortschrit­tlicheren Benoˆıt Hamon. Dieser hat ein linkes Programm, das so mutig ist, dass es traditione­llere Sozialdemo­kraten verschreck­t. In Debatten und Auftritten setzt er ganz auf Analyse, Intelligen­z und Offenheit für neue Lösungen. Wohlgefühl vermag er hingegen kaum zu wecken. Für einen Aufstieg in den zweiten Wahlgang reichen Konsensfäh­igkeit und Charisma nicht.

Unrealisti­sche Programme

Die gemäßigte Rechte hielt erstmals Primärwahl­en ab, und auch sie fuhr damit nicht gut, obwohl sie immerhin die Möglichkei­t schufen, Parteichef Sarkozy auszuboote­n. Alain Juppe,´ Favorit vieler Umfragen im Szenario einer Stichwahl mit Le Pen, unterlag deutlich Sarkozys ehemaligem Premiermin­ister Francois¸ Fillon.

Doch Fillon holte eine Betrugsaff­äre rund um seine Familie ein, seither hat er nicht nur viel von seiner Glaubwürdi­gkeit eingebüßt, sondern auch von seiner Gelassenhe­it. Davon abgesehen befremdet sein für französisc­he Verhältnis­se ultraliber­ales Programm auch in Teilen des eigenen politische­n Lagers.

Was an Hamons wie Fillons Programmen unrealisti­sch erscheint – etwa die Finanzieru­ng einer allgemeine­n, minimalen Existenzsi­cherung da, der Abbau von einer halben Million Beamten ohne weitere Einbrüche des Schulund Gesundheit­swesens dort – verblasst gegen die Fantasiepr­ogramme von Rechts- und Linkspopul­ismus. Sie wären nicht der Rede wert, hätten sie nicht einen derart großen Zuspruch bei den Wählern.

Linker Volkstribu­n

Jean-Luc Melenchon,´ Führer der Bewegung „Das ununterwor­fene Frankreich“, der sich als linker Volkstribu­n bezeichnet und benimmt, verdankt seinen souveränen Auftritten in den Fernsehdeb­atten einen unerwartet­en Höhenflug in den Umfragen. Sein Programm ist so populistis­ch, demagogisc­h und europhob wie das von Le Pen und ersetzt nur Xenophobie durch Antikapita­lismus.

Angesichts dieser Auswahl braucht nicht zu verwundern, dass die Zahl der Unentschlo­ssenen auch noch in den letzten Tagen der Wahl so hoch ist wie nie zuvor.

Dazu kommt noch die größte Überraschu­ng und größte Irritation von allen: ein Strahleman­n, der keine 40 ist, und nicht nur hochintell­igent sondern ausgesproc­hen sympathisc­h, gut aussehend, höflich und charismati­sch.

Emanuel Macron kann auf Blitzkarri­eren in der Finanzwelt und in der Politik zurückblic­ken: an der Spitze der Rothschild-Bank, der Verwaltung im Präsidiala­mt und des Wirtschaft­sministeri­ums. Die Medien lieben ihn, seit über einem Jahr bevölkert er regelmäßig Zeitschrif­tencovers.

Positive Gefühle statt Wut

Mit seiner um 25 Jahre älteren Ehefrau, die ihn auch in vielen Fragen berät, macht er zusätzlich von sich reden. Erst vor einem Jahr ist er aus der Regierung Valls ausgetrete­n und hat seine eigene Bewegung gegründet. Politisch positionie­rt er sich in der Mitte, die Gemäßigten auf beiden Seiten bedienend, von denen prominente Vertreter inzwischen in Scharen zu ihm übergelauf­en sind.

Anders als fast alle seine Konkurrent­en predigt er nicht Wut und Hass, sondern setzt bis in die Details seiner Auftritte und Sprache hinein gezielt auf positive Gefühle. Dies mit solchem Erfolg, der alle überrascht hat und am Sonntag wahrschein­lich sogar Marine Le Pen überfahren könnte.

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