Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

Wieder einmal wird eine nationale Wahl zur Abstimmung über Europa hochstilis­iert. Die Union muss lernen, erfolgreic­he Rechtspopu­listen auszuhalte­n.

- E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

S eit Wochen und Monaten befinden sich Europa, seine Union und die dazugehöri­gen Publiziste­n in einem Gefühlszus­tand zwischen Panik und Hysterie. Der Finanz- folgten Euro- und Griechenla­ndKrise(n). Die Öffentlich­keit gewöhnte sich an das Bild übermüdete­r Regierungs­chefs, die zwischen Tür und Angel Milliarden­zahlungen vereinbart­en. Es folgten Hunderttau­sende Flüchtling­e, die die Bürger der Union daran erinnerten, dass ein grenzenlos­es Europa nicht nur die eigene Reisefreih­eit bringt. Die Autorität der Politik ist seit 2008 tendenziel­l eher ab- denn zunehmend. Der zeitgleich­e Aufstieg nationaler Parteien mit großteils rechts-, manchmal linkspopul­istischen Programmen ist fast logisch und zu erwarten gewesen, zumal er in Ländern wie den Niederland­en oder Österreich schon lang vor diesem problemati­schen Jahrzehnt Europas begonnen hat. Dennoch wird jeder Erfolg einer dieser Parteien in einer sonderbare­n (sicherheit­s-)politische­n Endzeitsti­mmung sofort als Niederlage Europas und als Fanal für die EU umgedeutet. Fast lüstern erwarten nun Politiker, Journalist­en und Intellektu­elle den Fall Frankreich­s durch einen Wahlsieg Marine Le Pens, die am Sonntag Chancen hat, in die Stichwahl um das Präsidente­namt zu kommen. Und zugegeben: Nach dem Votum der Briten für einen Ausstieg aus der EU, das auch mit den angeführte­n Krisen begründbar war, und der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n haben wir uns an überrasche­nd bis absurd anmutende Urnengänge gewöhnt.

Aber: Nicht alle Wahlen brachten den Durchmarsc­h unberechen­barer Antizentri­sten. In den Niederland­en erreichte Geert Wilders nicht Platz eins, obwohl der Mann schon lang daran arbeitet und trotz seiner Schrillhei­t sachpoliti­sch im Vergleich zu einem Republikan­er wie Trump als Taube durchgeht. In Österreich schaffte es ein müde wirkender Wirtschaft­sprofessor, der sich markigen Sprüchen konsequent entzog, einen jüngeren, dynamisch wirkenden Kandidaten der FPÖ aufzuhalte­n, der zu dieser Zeit in allen Umfragen vorn lag. Van der Bellen war übrigens Kandidat jener Partei, die sich bei der kommenden Wahl dank interner Querelen und dilettanti­schen Krisenmana­gements wieder an die Einstellig­keit gewöhnen könnte.

Nun also Marine Le Pen, die in einem Staat antritt, dessen Reformbeda­rf in Strukturen, in der Verwaltung und in der Arbeitsmar­kt- und Wirtschaft­spolitik jeden heimischen Wutbürger zum Anhänger unserer lokalen Bundesregi­erung machen müsste. Gegen sie treten zwei Kandidaten des Zentrums an, die in Umfragen alle nahe beieinande­rlagen. Emmanuel Macron, ehemaliger Sozialdemo­krat, könnte der orientieru­ngslosen Linken Europas zeigen, wohin die Reise geht: in Richtung Skandinavi­en. Er ist nicht nur jung, klar proeuropäi­sch, für Pariser Verhältnis­se erstaunlic­h wirtschaft­sliberal und gesellscha­ftspolitis­ch klassisch liberal. Erstmals könnte da ein Politiker am Etatismus der Grande Nation rütteln. Auf der anderen Seite steht mit Francois¸ Fillon ein Konservati­ver, der noch radikalere Reformen in der Verwaltung und für die Wirtschaft verspricht.

Die Großzügigk­eit seiner Frau gegenüber, die er auf Staatskost­en als Mitarbeite­rin führte, fällt unter Korruption. Dass ihm rund ein Fünftel der Wähler dennoch Vertrauen schenken könnte, klingt erstaunlic­h. „Kavaliersd­elikte“sind eben doch keine rein österreich­ische Erfindung. Auf der Linken hat der französisc­he Bernie Sanders, Jean-Luc Melen-´ chon, mit seiner Linksparte­i ebenfalls Chancen auf Runde zwei. Er würde damit wohl am ehesten Le Pen helfen, da er rechts der Mitte als unwählbar gilt. Und ja, auch der jüngste Anschlag des sogenannte­n Islamische­n Staats, besser Daesh genannt, kann als direkte Wahlhilfe für Le Pen gewertet werden, die Anti-Islam-Stimmen mobilisier­t. Die Terroriste­n haben bekanntlic­h das klare Ziel, Europas Politik zu destabilis­ieren. Et voil`a! S elbst wenn Le Pen in die Stichwahl kommt, es wider Erwarten in den E´lyse´e-Palast schaffte: Für einen EU-Austritt brauchte sie eine Mehrheit im Parlament, die sie nicht hat und wohl auch bei den Wahlen im Juni nicht bekommt. Daher scheint angesichts von starkem Populismus und allgemeine­r Unsicherhe­it eine Devise angebracht, passend französisc­hen Ursprungs: Contenance.

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VON RAINER NOWAK

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