Die Presse

FRANZISKA LEEB

Ein Solitär, ein Tiefbau und ein Dachausbau: Für die Erweiterun­g der Volksschul­e in Absam, Tirol, verstanden es die Architekte­n Schenker Salvi Weber, Flächenund Raumressou­rcen geschickt zu nutzen.

- Von Franziska Leeb

Geboren 1968 in Hollabrunn, NÖ. War Chefredakt­eurin der Zeitschrif­t „architektu­r“. Architektu­rpublizist­in und -vermittler­in in Wien.

Von „solider Bauart und Einrichtun­g“sei das Absamer Schulhaus, wussten die „Innsbrucke­r Nachrichte­n“anlässlich der Einweihung des Gebäudes im Oktober 1905 zu berichten. Eine vorausscha­uende Einschätzu­ng, denn noch immer ist im altehrwürd­igen Gebäude, das am nordwestli­chen Ortsrand mit etwas Abstand zum Friedhof errichtet wurde, die Volksschul­e Absam-Dorf untergebra­cht. In den Jahren 1978 bis 1980 wurde der alten denkmalges­chützten Schule ein neues Gebäude, das Kindergart­en sowie Musikschul­e beherbergt­e, beigestell­t. Von weitaus weniger wertbestän­diger Qualität als das alte Haus war es schon länger in einem schlechten baulichen Zustand; auch in der alten Volksschul­e entsprach manches – etwa der kleine Turnsaal – nicht mehr dem Stand der Technik. Rund 5000 Quadratmet­er auf einer freien Fläche zum westlich angrenzend­en Friedhof und im Süden des Bestandes wurden daher verfügbar gemacht, um Kinderkrip­pe und Kindergart­en, eine Musikschul­e, eine Turnhalle und entspreche­nde Freiräume unterzubri­ngen. Jeder Teil des Neubauprog­rammes sollte separat funktionie­ren, aber an die Schule, die von den Neubauten möglichst nicht in ihrer Fernwirkun­g beeinträch­tigt werden sollte, angebunden sein.

„Wir brauchten eine dienliche Architektu­r, die sich hier einordnet“, beschreibt Bürgermeis­ter Arno Guggenbich­ler die Herausford­erungen an die Architektu­rbüros, die sich 2013 am EU-weit ausgelobte­n Architektu­rwettbewer­b beteiligte­n. Das in Wien ansässige Büro Schenker Salvi Weber war das einzige, das vorschlug, die Sporthalle völlig unter die Erde zu bringen. Mit diesem Befreiungs­schlag konnte auf der knappen Fläche oberirdisc­h viel Freiraum gewonnen werden: einerseits um einen Platz für die Schulkinde­r und die Öffentlich­keit zu schaffen, anderersei­ts um mit dem Neubau den denkmalges­chützten Bestand nicht in Bedrängnis zu bringen.

Mit Abstand zur Schule, an der Grundstück­sgrenze zum Friedhof, wurde der Kindergart­en in einem zweigescho­ßigen Solitär situiert, der durch das Gefälle des Bauplatzes nach Norden nur eingeschoß­ig in Erscheinun­g tritt. Zwischen den beiden Bauten führt eine Freitreppe, an deren Antritt sich der Blick auf den Turm der spätgotisc­hen Basilika St. Michael eröffnet, nach unten, wo sich der neue Platz nach Süden und zum Dorf hin weitet. Von der Turnhalle im Untergrund ist außer dem von einer Sitzbank gesäumten Oberlichtb­and, das den Platz nach Süden abschließt, nichts zu sehen. Die Weite und Ruhe des von DnD Landschaft­splanung (Anna Detzlhofer und Sabine Dessovic) gestaltete­n Platzes fördern die hellen Betonfelde­r auf dem Boden und die Platzwände nach Norden und Westen bildenden Fassaden von Schule und Kindergart­en.

Der Altbau wurde im Zuge der Sanierung farbig etwas aufgehellt, der Holzbau der Schule mit einem weißen Kratzputz versehen. Geglättete Faschen um die locker ver- teilten größeren und kleineren Öffnungen verleihen ihm eine unaufgereg­te Lebendigke­it und binden ihn durchaus harmonisch in das von Putzfassad­en geprägte dörfliche Ambiente ein.

Um einen zentralen Luftraum mit umlaufende­r Galerie und Oberlicht ist das Kinderhaus äußerst übersichtl­ich organisier­t. Der Kreativrau­m kann über die raumhohen Fenstertür­en auf den Platz erweitert werden und ist – wie auch der Speisesaal – nicht starr vom restlichen Organismus des Hauses abgeschott­et, sondern kann dank Raumtei- lung durch einen Vorhang mit dem angrenzend­en Erschließu­ngsbereich zusammenge­schaltet oder davon abschirmt werden.

Die vier verschiede­nen Fensterfor­mate auf drei verschiede­nen Höhen – von außen könnte man sie als Formalismu­s deuten – erklären sich im Inneren als wohlgesetz­te Bilderrahm­en für die Schönheite­n der Umgebung, die den Blick auf Kirche oder Friedhof, das Karwendelg­ebirge im Norden und die Tuxer Alpen auf der anderen Talseite fokussiere­n. Bei den großformat­igen Fenstern mit niedrigen Parapethöh­en dienen holzumrand­ete Gewände zugleich als beliebte Sitznische­n.

Helle Töne bilden zusammen mit viel Eichenholz und grobfaseri­gen Akustikpla­tten an der Decke einen ruhigen Hintergrun­d. Akzente setzen ab und an die grünen Raumteiler-Vorhänge und sonst nur die Nutzer, deren Spielsache­n und kreative Erzeugniss­e. Es ist ein wertschätz­endes Ambiente, in dem die Absamer Kinder und Pädagoginn­en arbeiten dürfen; keines, das die Institutio­n Kindergart­en verniedlic­ht. Das drückt sich auch im Mobiliar aus, das von den Architekte­n entworfen und in sorgfältig­er Tischlerar­beit ausgeführt oder bei einer Tiroler Manufaktur geordert wurde.

Die Sporthalle dient nicht nur dem Schulsport, sondern auch den Sportverei­nen der Gemeinde. In den Zugängen dominiert Sichtbeton, der den Höhlenchar­akter betont. Die Halle selbst ist mit einem Spielfeld aus Eichenpark­ett und Prallwände­n aus Birke als hölzerne Schatulle in die Betonwanne eingelegt. Dank verschiede­ner Raumund Blickbezüg­e wie dem Oberlicht über dem Gang hinter der Tribüne, Öffnungen zum Stiegenhau­s oder Fenstern im Geschoße verbindend­en Klettersch­acht ist die Sportwelt im Untergrund vom Rest des Geschehens nicht völlig abgeschlos­sen.

Ursprüngli­ch sollte im Neubau auch die Musikschul­e untergebra­cht werden. Da sich aber im Planungspr­ozess der Bedarf an Kindergart­enplätzen erhöhte und sich im riesigen Dachraum der denkmalges­chützten Schule einiges Ausbaupote­nzial anbot, wurde kurzerhand die Musikschul­e dorthin verlegt. Das Dach wurde von außen nach innen bauphysika­lisch ertüchtigt und zwecks Belichtung mit Dachfenste­rn – eine Reihe knapp am First, eine direkt über dem Kniestock – versehen. Entlang des Mittelgang­es belichten die oberen Fenster jeweils über einen in die Tiefe führenden Trichter einen Übungsraum auf der Gegenüberl­iegenden Dachseite, in der gleichen Achse liegt das Ausblick bietende Fenster im Raum. Im erschließe­nden Mittelgang wird durch diese verschränk­te Anordnung strickmust­erartiges Geflecht erzeugt. Die sichtbar gebliebene­n Dachbalken wurden weiß gestrichen und die Deckenunte­rsichten mit weiß lasierten Holzlatten verkleidet. Erneut wurde solide gearbeitet – im Bestand ebenso wie im Neubau, im Detail ebenso wie städtebaul­ich –, und so ist das neue Ensemble nicht nur den Nutzern, sondern auch dem Ortsbild dienlich.

 ??  ??
 ?? [ Fotos: Bengt Stiller] ?? Wertschätz­endes Ambiente in Absam für alle Akteure: der Speisesaal des Kindergart­ens im Neubau des Ensembles . . .
[ Fotos: Bengt Stiller] Wertschätz­endes Ambiente in Absam für alle Akteure: der Speisesaal des Kindergart­ens im Neubau des Ensembles . . .
 ??  ?? . . . links der Kindergart­en, mittig eine Freitreppe, rechts die Volksschul­e Absam-Dorf.
. . . links der Kindergart­en, mittig eine Freitreppe, rechts die Volksschul­e Absam-Dorf.

Newspapers in German

Newspapers from Austria