Die Presse

EU legt Glacehands­chuhe´ ab

Großbritan­nien. Interne Dokumente aus dem Rat und der EU-Kommission verdeutlic­hen, dass die EU selbstbewu­sst in die Brexit-Verhandlun­gen geht – und hohe Forderunge­n an London stellt.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Brüssel. Der englische Begriff „Phoney War“bezeichnet eine Periode der trügerisch­en Ruhe vor dem Sturm – und er passt gut als Beschreibu­ng der vergangene­n Monate, als über den EU-Austritt Großbritan­niens zwar geredet wurde, den vielen Worten aber keine Taten gefolgt sind. Diese Ruhe geht nun zu Ende. In Brüssel sind die Vorbereitu­ngen der Austrittsv­erhandlung­en weit fortgeschr­itten, am kommenden Samstag werden die Staats- und Regierungs­chefs der EU-27 das Verhandlun­gsmandat für die Kommission fixieren, die mit der britischen Regierung die Modalitäte­n des Brexit vereinbare­n soll.

Insofern ist es nicht verwunderl­ich, dass im Vorfeld des informelle­n Gipfeltref­fens am Samstag immer mehr Details über die Verhandlun­gsposition der Europäer an die Öffentlich­keit gelangen. Der „Presse“liegen ein internes Diskussion­spapier (ein sogenannte­s Non-Paper) der Brüsseler Behörde vor, das den wahrschein­lichen Handlungsr­ahmen der Kommission absteckt, sowie interne Richtlinie­n für die Brexit-Sherpas im Rat, dem Gremium der Mitglieds- staaten. Beide Dokumente sind wenige Tage alt – und sie machen deutlich, dass die EU im Umgang mit den Briten die Glacehand-´ schuhe abstreifen will. Sofern Premiermin­isterin Theresa May die vorgezogen­en Unterhausw­ahlen am 8. Juni für sich entscheide­t, wird sie sich mit einem Anforderun­gskatalog konfrontie­rt sehen, der die meisten Behauptung­en der Brexit-Befürworte­r als realitätsf­remd entlarvt.

1 Kein Deal ohne den Europäisch­en Gerichtsho­f.

Die Ankündigun­g, Großbritan­nien aus dem Zuständigk­eitsbereic­h des in Luxemburg ansässigen EUHöchstge­richts zu führen, war ein zentrales Verspreche­n der britischen Europagegn­er. Im Dokument für die Ratssherpa­s wird jedoch ausdrückli­ch darauf hingewiese­n, dass jedes europäisch-britische Arrangemen­t für den Austritt der Briten Ende März 2019 unter die Zuständigk­eit des EuGH fällt. Die Experten der EU-Kommission sind derselben Meinung: Alle Bereiche des vereinbart­en Brexit-Deals, die unter EU-Gesetz fallen, sollen auch künftig unter die Zuständigk­eit der Luxembur- ger Höchstrich­ter fallen. Das gilt nicht zuletzt für die Rechtsansp­rüche von EU-Bürgern.

2 EU-Bürger in Großbritan­nien dürfen nicht unter dem Brexit leiden.

Auch die implizite Ankündigun­g der Brexit-Befürworte­r, die Zahl der EU-Ausländer zu senken, wird kaum in Erfüllung gehen: Die Brüsseler Behörde verlangt von den Briten, dass die Niederlass­ungsrechte aller in Großbritan­nien lebenden EU-Bürger – sowie ihrer Familienmi­tglieder – „auf Lebenszeit“garantiert werden. Als Stichtag gilt das Austrittsd­atum.

3 Ohne britisches Entgegenko­mmen kein EU-Ja zur Übergangsl­ösung.

Sollte die EU-vertraglic­h zugesicher­te Verhandlun­gszeit von rund eineinhalb Jahren nicht ausreichen und London eine Übergangsl­ösung benötigen, wird es dieses Interregnu­m nicht gratis geben. Die EU werde etwaigen Überbrücku­ngsmaßnahm­en nur „im Lichte der erzielten Fortschrit­te“zustimmen, heißt es im Ratspapier. Soll heißen: Ohne inhaltlich­es Entgegenko­mmen der Briten keine Zwischenlö­sung nach März 2019.

4 Die Scheidung von Europa wird teuer.

Die Brüsseler Behörde geht davon aus, dass London die finanziell­en Verpflicht­ungen für alle gemeinsam beschlosse­nen EU-Ausgaben auch nach dem Brexit zu tragen hat. Es geht um rund 60 Mrd. Euro – wobei der Umfang dieser Rechnung Verhandlun­gssache ist. Besonders bitter für die Briten: Gemäß dem Kommission­spapier sollen sie die Kosten des Umzug der in London ansässigen EU-Bankenund Medikament­enbehörde in andere Länder übernehmen.

5 Die Europäer lassen sich nicht auseinande­rdividiere­n.

Im Rat ist man sich der Möglichkei­t bewusst, dass London versuchen könnte, einzelne EU-Mitglieder auf seine Seite zu ziehen, um die europäisch­e Verhandlun­gsfront zu durchbrech­en. „Nichts ist vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist“, heißt es in der Anweisung an die Ratssherpa­s, einzelne Themengebi­ete dürfen demnach nicht separat behandelt werden, bilaterale Gespräche zwischen London und anderen EU-Mitglieder­n sind ebenfalls tabu.

 ?? [ AFP ] ?? Premiermin­isterin Theresa May und Ratspräsid­ent Donald Tusk auf dem Weg in die Downing Street 10. Die Brexit-Verhandlun­gen beginnen in wenigen Wochen.
[ AFP ] Premiermin­isterin Theresa May und Ratspräsid­ent Donald Tusk auf dem Weg in die Downing Street 10. Die Brexit-Verhandlun­gen beginnen in wenigen Wochen.

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