EU legt Glacehandschuhe´ ab
Großbritannien. Interne Dokumente aus dem Rat und der EU-Kommission verdeutlichen, dass die EU selbstbewusst in die Brexit-Verhandlungen geht – und hohe Forderungen an London stellt.
Brüssel. Der englische Begriff „Phoney War“bezeichnet eine Periode der trügerischen Ruhe vor dem Sturm – und er passt gut als Beschreibung der vergangenen Monate, als über den EU-Austritt Großbritanniens zwar geredet wurde, den vielen Worten aber keine Taten gefolgt sind. Diese Ruhe geht nun zu Ende. In Brüssel sind die Vorbereitungen der Austrittsverhandlungen weit fortgeschritten, am kommenden Samstag werden die Staats- und Regierungschefs der EU-27 das Verhandlungsmandat für die Kommission fixieren, die mit der britischen Regierung die Modalitäten des Brexit vereinbaren soll.
Insofern ist es nicht verwunderlich, dass im Vorfeld des informellen Gipfeltreffens am Samstag immer mehr Details über die Verhandlungsposition der Europäer an die Öffentlichkeit gelangen. Der „Presse“liegen ein internes Diskussionspapier (ein sogenanntes Non-Paper) der Brüsseler Behörde vor, das den wahrscheinlichen Handlungsrahmen der Kommission absteckt, sowie interne Richtlinien für die Brexit-Sherpas im Rat, dem Gremium der Mitglieds- staaten. Beide Dokumente sind wenige Tage alt – und sie machen deutlich, dass die EU im Umgang mit den Briten die Glacehand-´ schuhe abstreifen will. Sofern Premierministerin Theresa May die vorgezogenen Unterhauswahlen am 8. Juni für sich entscheidet, wird sie sich mit einem Anforderungskatalog konfrontiert sehen, der die meisten Behauptungen der Brexit-Befürworter als realitätsfremd entlarvt.
1 Kein Deal ohne den Europäischen Gerichtshof.
Die Ankündigung, Großbritannien aus dem Zuständigkeitsbereich des in Luxemburg ansässigen EUHöchstgerichts zu führen, war ein zentrales Versprechen der britischen Europagegner. Im Dokument für die Ratssherpas wird jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass jedes europäisch-britische Arrangement für den Austritt der Briten Ende März 2019 unter die Zuständigkeit des EuGH fällt. Die Experten der EU-Kommission sind derselben Meinung: Alle Bereiche des vereinbarten Brexit-Deals, die unter EU-Gesetz fallen, sollen auch künftig unter die Zuständigkeit der Luxembur- ger Höchstrichter fallen. Das gilt nicht zuletzt für die Rechtsansprüche von EU-Bürgern.
2 EU-Bürger in Großbritannien dürfen nicht unter dem Brexit leiden.
Auch die implizite Ankündigung der Brexit-Befürworter, die Zahl der EU-Ausländer zu senken, wird kaum in Erfüllung gehen: Die Brüsseler Behörde verlangt von den Briten, dass die Niederlassungsrechte aller in Großbritannien lebenden EU-Bürger – sowie ihrer Familienmitglieder – „auf Lebenszeit“garantiert werden. Als Stichtag gilt das Austrittsdatum.
3 Ohne britisches Entgegenkommen kein EU-Ja zur Übergangslösung.
Sollte die EU-vertraglich zugesicherte Verhandlungszeit von rund eineinhalb Jahren nicht ausreichen und London eine Übergangslösung benötigen, wird es dieses Interregnum nicht gratis geben. Die EU werde etwaigen Überbrückungsmaßnahmen nur „im Lichte der erzielten Fortschritte“zustimmen, heißt es im Ratspapier. Soll heißen: Ohne inhaltliches Entgegenkommen der Briten keine Zwischenlösung nach März 2019.
4 Die Scheidung von Europa wird teuer.
Die Brüsseler Behörde geht davon aus, dass London die finanziellen Verpflichtungen für alle gemeinsam beschlossenen EU-Ausgaben auch nach dem Brexit zu tragen hat. Es geht um rund 60 Mrd. Euro – wobei der Umfang dieser Rechnung Verhandlungssache ist. Besonders bitter für die Briten: Gemäß dem Kommissionspapier sollen sie die Kosten des Umzug der in London ansässigen EU-Bankenund Medikamentenbehörde in andere Länder übernehmen.
5 Die Europäer lassen sich nicht auseinanderdividieren.
Im Rat ist man sich der Möglichkeit bewusst, dass London versuchen könnte, einzelne EU-Mitglieder auf seine Seite zu ziehen, um die europäische Verhandlungsfront zu durchbrechen. „Nichts ist vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist“, heißt es in der Anweisung an die Ratssherpas, einzelne Themengebiete dürfen demnach nicht separat behandelt werden, bilaterale Gespräche zwischen London und anderen EU-Mitgliedern sind ebenfalls tabu.