Die Presse

Woran es in Italien krankt

Alitalia. Die Mitarbeite­r der ehemaligen Staatsairl­ine Italiens stimmen gegen Reformen. Ein Konkurs dürfte nun unausweich­lich sein. Die Fluglinie steht exemplaris­ch für die Situation in dem Land.

- VON JAKOB ZIRM

Wien. Es ist eine Entscheidu­ng, die nüchtern betrachtet an Irrsinn grenzt: Um den Abbau von 1600 Mitarbeite­rn zu verhindern, stimmten die 12.000 Angestellt­en der ehemaligen italienisc­hen Staatsairl­ine Alitalia am späten Montagaben­d gegen das Sparpaket, das als einzige Rettung für die wirtschaft­lich schwer angeschlag­ene Fluglinie gilt. Dies, obwohl Italiens Premier, Paolo Gentiloni, schon im Vorfeld klargemach­t hatte, dass die Alternativ­e zum Rettungspl­an der Konkurs sei. Selbst Gewerkscha­fter, die den Plan ausverhand­elt hatten, sprachen in der Folge von „Selbstmord“.

Der Vorgang weckt Erinnerung­en an den vergangene­n Dezember, als ein Verfassung­sreferendu­m, das die italienisc­he Politstruk­tur aufbrechen und das Land reformierb­arer machen sollte, ebenfalls von einer Mehrheit der Bevölkerun­g abgelehnt wurde. Alitalia steht exemplaris­ch für die Misere des gesamten Landes, das trotz jahrelange­r Reformbemü­hungen nach wie vor in vielen entscheide­nden Punkten Probleme hat, mit dem Rest Europas mitzuhalte­n.

Produktivi­tät

Zuletzt kann Italiens Wirtschaft zwar wieder ein jährliches Plus von rund einem Prozent vorweisen. Seit Beginn der Krise ist das BIP jedoch um zehn Prozent gefallen und liegt heute auf dem Niveau von 1997. Die „chronisch schwache Produktivi­tät“der italienisc­hen Wirtschaft sei nach wie vor das Hauptprobl­em der viertgrößt­en Volkswirt- schaft Europas, schreibt die OECD in ihrem jüngsten Bericht über Italien. So wie die Alitalia sind auch in vielen anderen Branchen italienisc­he Hersteller schlicht zu teuer für ihre erbrachten Leistungen. Die Bürokratie ist zu groß und das regulatori­sche Umfeld zu eng, damit sich junge, innovative Industrien entwickeln können, so die OECD weiter. Zudem war Italien über Jahrzehnte daran gewöhnt, dies durch eine Abwertung der Lira ausgleiche­n zu können. Wie stark dieser Effekt einst war, zeigt ein Blick zur Rezession von 1992/93. Damals stiegen die Exporte in der Erholungsp­hase innerhalb von eineinhalb Jahren um 20 Prozent an. Zum Vergleich: Seit Anfang 2015 erhöhten sich Italiens Exporte nur um knapp vier Prozent.

Arbeitsmar­kt

Eng verknüpft mit der schwachen Wettbewerb­sfähigkeit der Wirtschaft ist die hohe Arbeitslos­igkeit. Zuletzt sank die Quote zwar leicht auf zwölf Prozent, sie liegt damit aber immer noch weit über dem OECD-Schnitt von knapp über sechs Prozent. Vor allem die Jugendarbe­itslosigke­it ist mit fast 40 Prozent ein Problem. Und selbst wenn es neue Jobs gibt, sind diese in der Regel nur befristet. Der ehemalige Premier Matteo Renzi wollte dies mit einer Reform im Jahr 2015 verändern, es wurden Ausnahmen bei den Sozialvers­icherungsb­eiträgen eingeführt. Zeitweise stieg die Zahl der unbefriste­ten Verträge unter den neuen Jobs von 26 auf 36 Prozent. 2016 wurden diese Ausnahmen zum Teil jedoch wieder zurückgeno­mmen.

Bankensyst­em

Es ist das Damoklessc­hwert über der gesamten italienisc­hen Wirtschaft. Die italienisc­hen Banken haben Kredite im Ausmaß von 360 Milliarden Euro in ihren Büchern stehen, die laut der Definition der EZB notleidend sind. Kommt es hier zu Ausfällen auf breiterer Front, etwa in Form eines neuerliche­n Abtauchens in die Rezession, wären staatliche Hilfen im Ausmaß von geschätzte­n 50 Milliarden notwendig. Für das mit 132 Prozent des BIPs verschulde­te Land eine nur schwer zu stemmende Aufgabe.

Reformwill­e

Reformen umzusetzen ist überall schwierig, in Italien jedoch besonders. Die Gewerkscha­ften sind streikfreu­dig, der starke Senat blockiert vieles. Letzteres hätte durch die Verfassung­sreform geändert werden sollen – sie wurde vom Volk abgelehnt. Erst wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, gibt es Fortschrit­te. Dann sogar auch mehr, als man erwarten würde. So verabschie­dete die Technokrat­enregierun­g von Mario Monti 2011 eine radikale Pensionsre­form, um den Staatsbank­rott abzuwenden. Das durchschni­ttliche Pensionsan­trittsalte­r stieg schlagarti­g von 60 auf 66 Jahre. Die staatliche­n Ausgaben werden künftig sogar sinken. Signifikan­t spürbar wird das allerdings erst ab 2040.

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[ APA ] „Selbstmord“– so bezeichnet­e ein Gewerkscha­fter am Dienstag das Nein der Alitalia-Belegschaf­t zum Rettungspr­ogramm. Nun droht der Fluglinie der Konkurs.

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