Die Presse

Warum China in der Falle sitzt

China. Die Erholung trügt, warnt der politische Ökonom Ho-Fung Hung: Zum neuen Wachstumsm­odell sei Peking kaum fähig, weil das System sich selbst blockiert. Was fehlt, ist Demokratie.

- VON KARL GAULHOFER

Wien. Sieht doch gar nicht so schlecht aus mit China: Die Wachstumsr­aten haben sich stabilisie­rt, die Exporte sind überrasche­nd stark, die Nachfrage legt zu – auch nach Rohstoffen, zur Erleichter­ung anderer Schwellenl­änder. Also alles wieder in Ordnung?

Von wegen, warnt Ho-Fung Hung. Der politische Ökonom und Soziologe von der Johns-HopkinsEli­te-Uni in Baltimore hält die Ruhe für trügerisch. Er erinnert an das neue Wachstumsm­odell, das die Führung in Peking seit Jahren verspricht: nicht nur Exporte und Investitio­nen, sondern mehr Konsum der Massen. Doch das ginge nur durch schmerzlic­he Anpassunge­n: die Überkapazi­täten in den Minen und Stahlwerke­n abbauen, unrentable Betriebe schließen, was Millionen Jobs kosten würde. Stattdesse­n „fließen immer neue Subvention­en und Kredite, um Konkurse von Staatskonz­ernen zu vermeiden“. Es wird auch weiter kräftig gebaut, „selbst wenn die Projekte nicht rentabel sind“.

Aufgeschob­en, aufgetürmt

Womit man das Problem nur vor sich her schiebt und die Risken weiter auftürmt. „Das Problem ist nicht, dass die Wirtschaft nur noch mit sechs bis sieben Prozent wächst“, sagt Hung im „Presse“Gespräch. „Das Problem ist vielmehr, dass zugleich die Kredite weiter mit zehn Prozent wachsen.“

Weshalb er „nicht besonders optimistis­ch“ist. Aber der Autor des Buches „The China Boom – Why China will not rule the world“, in dieser Woche zu Besuch in Wien, bohrt tiefer – bis an die Wurzel des Dilemmas, in dem er das autokratis­che Regime stecken sieht. Warum setzt es nicht um, was es auf Parteitage­n beschwört? Hung versteht die Sorge: In früheren Schwächeph­asen kehrten Fabriksarb­eiter aufs Land zurück. Heute aber haben die meisten den Bezug zu den Feldern ihrer Ahnen verloren. Damit verlieren sie mit dem Job auch jede Perspektiv­e. Und deshalb ist die Gefahr sozialer Unruhen viel höher als früher.

Aber es gehe noch um mehr: Das System blockiert sich selbst. „Es fehlen die politische­n Anreize“dafür, das staatsnah angesammel­te Vermögen an die Bürger zu verteilen und so die Kaufkraft zu stärken. „In Demokratie­n wie Indien oder Brasilien gewinnen Politiker Wählerstim­men, wenn sie sich für Umverteilu­ng einsetzen.“In der offiziell immer noch kommunisti­schen Volksrepub­lik aber behalten die wirtschaft­lichen Eliten ihre Pfründe lieber für sich: hohe Beamte, Staatsbank­er und Manager von Staatsbetr­ieben bilden eine „eng vernetzte Lobby“, die jede echte Reform unterminie­rt.

Dazu kommt das dezentrale Machtgefüg­e: „Peking gibt zwar Leitlinien vor, aber umsetzen müssen alles die Provinzen.“Sie konkurrier­en um staatliche Kredite. Am meisten bekommt, wer wirtschaft­liche Erfolge vorweisen kann. Wie aber wächst eine Region am schnellste­n? Indem sie baut, baut, baut. Wohnungen, Straßen und Flughäfen – auch wenn der Bedarf längst gesättigt und der ist Soziologe und Professor für Politische Ökonomie an der Johns Hopkins University in Baltimore (Maryland, USA). Er studierte in Hongkong, erhielt für seine Arbeiten zahlreiche Auszeichnu­ngen und ist Autor des Buches „The China Boom – Why China will not rule the world“. nächste Airport oft nur einen Katzenspru­ng entfernt ist.

Für ein breiteres Fundament braucht eine Volkswirts­haft neben mehr Inlandskon­sum auch mehr kleinere private Unternehme­n. Hung, der in Hongkong studiert hat, hält diesen Sektor für durchaus „dynamisch“. Aber den Unternehme­rn fehle es an Krediten. Die Gelder der Banken müssen ja die staatliche­n Konzerne über Wasser halten. Abhilfe könnte ein freier Kapitalmar­kt schaffen. Mit ihm aber würden die Autokraten an der Spitze „die Kontrolle verlieren“– was sie nicht riskieren wollen, um sicher im Sattel zu bleiben.

Zu viele billige Arbeiter

So erklärt sich für Hung auch ein historisch­es Phänomen: Warum wuchs die Wirtschaft anderer asiatische­r Tigerstaat­en stärker, als sie auf Chinas heutiger Entwicklun­gsstufe standen? In Südkorea und Taiwan war das Reservoir an Bauern, die in die Fabriken zogen, bald erschöpft. Die Löhne stiegen rasch. Firmen wie Samsung oder Hyundai mussten innovativ sein, Hightech statt Billigprod­ukte anbieten, um wettbewerb­sfähig zu bleiben. In China aber ist der Pool an Arbeitskrä­ften „einfach zu groß“. Die Unternehme­n an der Küste weichen ins schier endlose Hinterland aus, wo die Löhne weiterhin niedrig sind. Damit bleiben ihre Produkte günstig, doch es „fehlt der Druck, riskante Innovation­en zu wagen“. Was aber wohl auch hier im Grunde dazukommt: Korea und Taiwan waren Demokratie­n, wenn auch keine perfekten, China ist definitiv keine.

Rückzug aus Afrika

So erweist sich die wirtschaft­liche Macht bei näherem Hinsehen oft als Ohnmacht. Auch das Thema der chinesisch­en Investitio­nen in Entwicklun­gsländern hält Hung für „stark übertriebe­n“. Denn „nur 30 Prozent der Projekte in Afrika werden nach der feierliche­n Unterzeich­nung auch wirklich realisiert“. Was oft kuriose Gründe hat.

Chinesisch­e Betriebsle­iter sind bevorzugte Ziele von Kidnappern. Weil Peking negative Berichters­tattung scheut, zahlt man diskret das Lösegeld, was kriminelle Nachahmer anlockt. Und dann wären da noch die afrikanisc­hen Arbeiter. Anders als ihre chinesisch­en Kollegen dürfen sie sich in Gewerkscha­ften organisier­en, Missstände anprangern und streiken. „Damit können Chinas Firmen nicht umgehen“– und ziehen sich oft deshalb zurück.

 ?? [ APA ] ?? Andere Tigerstaat­en sprangen weiter, als sie Chinas heutigen Entwicklun­gsstand hatten. Ho-Fung Hung erklärt, warum.
[ APA ] Andere Tigerstaat­en sprangen weiter, als sie Chinas heutigen Entwicklun­gsstand hatten. Ho-Fung Hung erklärt, warum.

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