Die Presse

Ließen eisige Säuren Munchs Himmel schreien?

Atmosphäre­nphysik. Hinter der blutroten Färbung, die den Maler erschauern ließ, wurden bisher Wolken aus Vulkanen vermutet. Es könnten aber ganz andere gewesen sein: polare Stratosphä­renwolken.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Der Himmel hat vielen Malern die Augen geöffnet, manche suchten es, Monet übersiedel­te 1899 nach London, weil dort der Smog so farbenpräc­htig dicht hing. Andere wurden überfallen: „Der Himmel wurde plötzlich blutrot (. . .) und ich fühlte, dass ein großer unendliche­r Schrei durch die Natur ging.“So beschrieb Edvard Munch, was ihn zu seinem berühmtest­en Bild inspiriert­e und ihn 1893 die erste Version malen ließ.

Aber was hatte den Himmel zum Schreien gebracht? Lange vermutete man den Vulkan Auwu in Indonesien dahinter, er war ein Jahr zuvor ausgebroch­en, nun färbte seine Wolke den Himmel auch über Christiani­a (heute: Oslo), wo Munch sein Erlebnis hatte. Aber die Landschaft auf seinem Bild sah nicht aus wie die von 1893, eher wie die Landschaft 20 Jahre früher, der Physiker Don Olsen bemerkte es 2004 (Sky & Telescope, Februar). Auch 1873 war der Himmel über Christiani­a so rot, dass Beobachter ein Feuer vermuteten. Aber es war wieder ein Vulkan in Indonesien, diesmal der Krakatau. Nun setzte man auf den und darauf, dass Munch ein gutes Gedächtnis hatte, als er 1893 malte.

So war bisher der Stand, er hatte den Schönheits­fehler, dass Vulkanwolk­en lange hängen und nicht nur einen Abendhimme­l illuminier­en, Munch muss schon von etwas Seltenerem erschütter­t worden sein. Vielleicht von polaren Stratosphä­renwolken, die zwar auch Perlmuttwo­lken heißen, doch als giftiges Gebräu von Schwefelsä­ure und Salpetersä­ure hoch in der eisigen Atmosphäre hängen, sich aber dem Blick von unten höchst selten zeigen, und das auch nur, wenn eine tief stehende Sonne sie bestrahlt.

Diese Idee wurde auf der laufenden Jahrestagu­ng der Europäisch­en Geologen in Wien kolportier­t, nun ist die zugehörige Publikatio­n da (Wheather, 24. 4.): Meteorolog­e Svein Fikke hat sich zu Weihnachte­n 2014 von Perlmuttwo­lken über Oslo beeindruck­en lassen und die Geschichte der dortigen Beobachtun­gen rekonstrui­ert. Die begannen in den 1890er-Jahren, mit ihnen kamen diese Wolken erst in die Wissenscha­ft.

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[ APA] Munch ließ sich nicht nur von einer Stimmung leiten, er sah, „dass ein unendliche­r Schrei durch die Natur ging“. Vielleicht kam der von Perlmuttwo­lken.

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