Die Verwandlung der SPÖ
Vor einem Jahr, am 1. Mai 2016, wurde Werner Faymann von den eigenen Leuten ausgepfiffen. Sein Nachfolger hat die Partei auf allen Ebenen verändert.
Wien. Seit dem Vorjahr steht der 1. Mai in der SPÖ nicht mehr nur für den Tag der Arbeit, sondern auch für den Tag des Aufbegehrens, der Revolte, der Demütigung. Am 1. Mai 2016 wurde Werner Faymann auf dem Wiener Rathausplatz von Teilen der eigenen Partei ausgepfiffen. Acht Tage später trat er zurück.
Unter seinem Nachfolger Christian Kern hat die SPÖ auf allen Ebenen eine bemerkenswerte Wandlung vollzogen. Ordnungspolitisch ist sie nach rechts gerückt, um die Fluchtursachen im eigenen Wählersegment zu bekämpfen. Strategisch hat sie sich den Freiheitlichen geöffnet. Und intern haben sich die Machtverhältnisse verschoben.
Inhalte
Viele Positionen, die unter Faymann noch ein No-go für den linken Parteiflügel waren, stehen in der Kern-SPÖ außer Streit: Die Obergrenze bei den Asylanträgen ist in Stein gemeißelt. Null-Euro-Jobs wurden im Integrationspaket der Regierung unter dem Titel „Arbeitstraining für Flüchtlinge“legitimiert. Und auch das Vollverschleierungsverbot scheint niemanden mehr zu stören.
Wirtschaftspolitisch fällt die Einordnung schwerer. Der Kanzler blinkt gern nach links: wenn er etwa über eine breitere Finanzierung des Sozialstaats – vulgo Maschinensteuer – philosophiert oder eine Abkehr von der europäischen Sparpolitik fordert.
In Wahrheit ist Kern aber pragmatischer, als die SPÖ-Linke erlaubt. Es gilt die Vorrangregel: Jobs vor Umverteilung. Einige Forderungen aus dem Plan A könnten ebenso gut von einem bürgerlichen Politiker stammen: Steuer- und Abgabenquote senken, Arbeitszeit flexibilisieren. Es passt ins Bild, dass Kern bei der Präsidentschaftswahl in Frankreich nicht dem Sozialisten Benoˆıt Hamon, sondern dem Sozialliberalen Emmanuel Macron die Daumen gedrückt hat.
Personal
In der Personalpolitik nimmt die SPÖ heute weniger Rücksicht auf die Wünsche ihrer Vorfeldorganisationen. Unter Faymann kamen zwischenzeitlich vier Minister aus der Gewerkschaft – mittlerweile ist Alois Stöger der einzige. Kern setzt auf Leute, die der SPÖ zwar mehr oder weniger nahestehen, aber keine klassische Parteikarriere hinter sich haben: Pamela Rendi-Wagner im Gesundheitsministerium zum Beispiel. Oder Sonja Hammerschmid im Bildungsministerium.
Auch mit dem früheren Polizeigeneral Franz Schnabl, seit Freitag designierter Landesparteichef in Niederösterreich, war eigentlich nicht zu rechnen. Die Idee dazu stammt vom Kanzler. Vielleicht war das auch eine kleine Dankbarkeitsgeste. Denn Schnabl, der als Präsident des Samariterbundes kooptiertes Mitglied im SPÖ-Vorstand ist, soll im Vorjahr an der FaymannDemontage mitgewirkt haben.
Strategie
Zumindest in der EU-Politik agiert Kern näher an der Stammtischmeinung als sein Vorgänger (Faymann nahm meist den Umweg „Kronen Zeitung“). Das Zögern beim Freihandelsabkommen Ceta war nicht unpopulistisch. Und die Forderung, in angespannten Branchen die Arbeitsmarktprüfung wieder einzuführen („Österreicher zuerst“), klingt ein wenig nach FPÖ. Auch sonst hat sich die SPÖ den Freiheitlichen angenähert. Rot-Blau ist nicht mehr ausgeschlossen, weil die FPÖ der einzige Weg aus der Großen Koalition ist. Alle anderen Koalitionsvarianten gehen sich derzeit nicht aus.
Im Alltag hat die SPÖ mit Kern, der Selbstinszenierung kann und mag, dauerhaft auf den Wahlkampfmodus umgeschaltet. Die Pizzabotenaktion, die mit Faymann unvorstellbar gewesen wäre, war der Auftakt zu einer Mittelschichtkampagne. Was nicht heißen muss, dass die SPÖ eine Neuwahl anstrebt. Aber sie will zumindest vorbereitet sein.