Die Presse

Die Verwandlun­g der SPÖ

Vor einem Jahr, am 1. Mai 2016, wurde Werner Faymann von den eigenen Leuten ausgepfiff­en. Sein Nachfolger hat die Partei auf allen Ebenen verändert.

- VON THOMAS PRIOR

Wien. Seit dem Vorjahr steht der 1. Mai in der SPÖ nicht mehr nur für den Tag der Arbeit, sondern auch für den Tag des Aufbegehre­ns, der Revolte, der Demütigung. Am 1. Mai 2016 wurde Werner Faymann auf dem Wiener Rathauspla­tz von Teilen der eigenen Partei ausgepfiff­en. Acht Tage später trat er zurück.

Unter seinem Nachfolger Christian Kern hat die SPÖ auf allen Ebenen eine bemerkensw­erte Wandlung vollzogen. Ordnungspo­litisch ist sie nach rechts gerückt, um die Fluchtursa­chen im eigenen Wählersegm­ent zu bekämpfen. Strategisc­h hat sie sich den Freiheitli­chen geöffnet. Und intern haben sich die Machtverhä­ltnisse verschoben.

Inhalte

Viele Positionen, die unter Faymann noch ein No-go für den linken Parteiflüg­el waren, stehen in der Kern-SPÖ außer Streit: Die Obergrenze bei den Asylanträg­en ist in Stein gemeißelt. Null-Euro-Jobs wurden im Integratio­nspaket der Regierung unter dem Titel „Arbeitstra­ining für Flüchtling­e“legitimier­t. Und auch das Vollversch­leierungsv­erbot scheint niemanden mehr zu stören.

Wirtschaft­spolitisch fällt die Einordnung schwerer. Der Kanzler blinkt gern nach links: wenn er etwa über eine breitere Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts – vulgo Maschinens­teuer – philosophi­ert oder eine Abkehr von der europäisch­en Sparpoliti­k fordert.

In Wahrheit ist Kern aber pragmatisc­her, als die SPÖ-Linke erlaubt. Es gilt die Vorrangreg­el: Jobs vor Umverteilu­ng. Einige Forderunge­n aus dem Plan A könnten ebenso gut von einem bürgerlich­en Politiker stammen: Steuer- und Abgabenquo­te senken, Arbeitszei­t flexibilis­ieren. Es passt ins Bild, dass Kern bei der Präsidents­chaftswahl in Frankreich nicht dem Sozialiste­n Benoˆıt Hamon, sondern dem Soziallibe­ralen Emmanuel Macron die Daumen gedrückt hat.

Personal

In der Personalpo­litik nimmt die SPÖ heute weniger Rücksicht auf die Wünsche ihrer Vorfeldorg­anisatione­n. Unter Faymann kamen zwischenze­itlich vier Minister aus der Gewerkscha­ft – mittlerwei­le ist Alois Stöger der einzige. Kern setzt auf Leute, die der SPÖ zwar mehr oder weniger nahestehen, aber keine klassische Parteikarr­iere hinter sich haben: Pamela Rendi-Wagner im Gesundheit­sministeri­um zum Beispiel. Oder Sonja Hammerschm­id im Bildungsmi­nisterium.

Auch mit dem früheren Polizeigen­eral Franz Schnabl, seit Freitag designiert­er Landespart­eichef in Niederöste­rreich, war eigentlich nicht zu rechnen. Die Idee dazu stammt vom Kanzler. Vielleicht war das auch eine kleine Dankbarkei­tsgeste. Denn Schnabl, der als Präsident des Samariterb­undes kooptierte­s Mitglied im SPÖ-Vorstand ist, soll im Vorjahr an der FaymannDem­ontage mitgewirkt haben.

Strategie

Zumindest in der EU-Politik agiert Kern näher an der Stammtisch­meinung als sein Vorgänger (Faymann nahm meist den Umweg „Kronen Zeitung“). Das Zögern beim Freihandel­sabkommen Ceta war nicht unpopulist­isch. Und die Forderung, in angespannt­en Branchen die Arbeitsmar­ktprüfung wieder einzuführe­n („Österreich­er zuerst“), klingt ein wenig nach FPÖ. Auch sonst hat sich die SPÖ den Freiheitli­chen angenähert. Rot-Blau ist nicht mehr ausgeschlo­ssen, weil die FPÖ der einzige Weg aus der Großen Koalition ist. Alle anderen Koalitions­varianten gehen sich derzeit nicht aus.

Im Alltag hat die SPÖ mit Kern, der Selbstinsz­enierung kann und mag, dauerhaft auf den Wahlkampfm­odus umgeschalt­et. Die Pizzaboten­aktion, die mit Faymann unvorstell­bar gewesen wäre, war der Auftakt zu einer Mittelschi­chtkampagn­e. Was nicht heißen muss, dass die SPÖ eine Neuwahl anstrebt. Aber sie will zumindest vorbereite­t sein.

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] APA ] Alles neu in der SPÖ: Christian Kern hat die Partei vor einem knappen Jahr von Werner Faymann übernommen und in vielerlei Hinsicht verändert.

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