Die Presse

Briten stehen geschlosse­n hinter Theresa May

EU/Großbritan­nien. In Brüssel stellen die Staatsund Regierungs­chefs der EU-27 heute die Weichen für den Brexit. Die britische Premiermin­isterin will mit „starker Führung“kontern.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Sie werde keinen „running commentary“zu den Brexit-Verhandlun­gen abgeben, hatte die britische Premiermin­isterin Theresa May unmittelba­r nach ihrer Amtsüberna­hme angekündig­t. Das hielt sie weitgehend durch. Doch die Warnung der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, vor dem heutigen EU-Gipfel in Brüssel, dass London nach dem Austritt „nicht mehr die gleichen Privilegie­n“haben werde wie als Mitglied der Union, provoziert­e May zu der Replik: „Das beweist nur einmal mehr die Notwendigk­eit starker Führung.“

Diese verspricht die Premiermin­isterin dem Land seit ihrer überrasche­nden Entscheidu­ng für vorzeitige Neuwahlen unablässig. In der letzten Fragestund­e vor Auflösung des Parlaments in dieser Woche schaffte es in offensicht­licher Parteiregi­e nahezu jeder Abgeordnet­e der Konservati­ven, den Slogan von der „strong and stable leadership“unterzubri­ngen. May hat die Neuwahlen damit begründet, dass sie ein starkes Mandat für die EU-Verhandlun­gen braucht.

Darin will sie, wie sie mehrfach betont hat, auf harte Positionen setzen. „Brexit means Brexit“, und für May bedeutet das Austritt aus dem Binnenmark­t und der Zollunion. Das war bis zuletzt auch parteiinte­rn nicht unumstritt­en. So erklärte die profiliert­e Abgeordnet­e Anna Soubry: „Ein harter Brexit wäre das Schlimmste, was passieren könnte.“Im Wahlkampf aber haben die Konservati­ven nun ihre Reihen geschlosse­n. Die weitere Unterstütz­ung der proeuropäi­schen Plattform Open Europe sei „als Mitglied der Konservati­ven unhaltbar“schrieb Soubry diese Woche gemeinsam mit einer Reihe anderer bisheriger Tory-Rebellen.

Labour gespalten

Diese Geschlosse­nheit der Konservati­ven steht in umso auffällige­rem Kontrast zu der opposition­ellen Labour Party, die in der Frage des Brexit so gespalten und zerstritte­n ist, dass sie im Wahlkampf am liebsten über alles andere sprechen möchte. Die Vorstel- lung der offizielle­n Parteiposi­tion zum Brexit durch Europaspre­cher Keir Starmer in dieser Woche wurde zu einem Debakel. Während Starmer sich für ein Ende der Personenfr­eizügigkei­t aussprach, widersprac­h ihm Parteichef Jeremy Corbyn wenige Stunden später in aller Öffentlich­keit.

Der einzige Punkt, in dem in der Partei Einigkeit zu bestehen scheint, ist, dass man das Ergebnis der Volksabsti­mmung vom vergangene­n Jahr akzeptiert und kein weiteres Referendum befürworte­t, wie es etwa die Liberaldem­okraten fordern. Die öffentlich­e Selbstvern­ichtung der Labour Party ließ ExPremier Tony Blair diese Woche nicht nur in einem Interview ausspreche­n, was ohnehin jeder weiß: „Theresa May wird diese Wahl gewinnen.“Er forderte auch: „Jetzt ist es Zeit, über Parteigren­zen hinweg zu denken.“Wenn schon der Brexit unausweich­lich sei, stelle sich zur Verhinderu­ng der härtesten Version der Scheidung die Frage: „Ist es möglich, dass wir so viele Abgeordnet­e wie möglich wählen, die unvoreinge­nommen in diese Verhandlun­gen gehen wollen?“Von der Labour-Führung wurde dem ehemaligen Parteichef nur kühl beschieden, seine Interventi­on sei „nicht hilfreich“.

Dabei spricht der alte Politik-Fuchs aus, was immer mehr Briten offenbar ebenso sehen. Nach einer in dieser Woche veröffent- lichten Umfrage der „Times“erklärten 45 Prozent der Wähler, der Brexit sei ein Fehler gewesen, während 43 Prozent den EU-Austritt weiterhin für die richtige Entscheidu­ng halten. Das Referendum im Juni 2016 hatte mit 51,9 zu 49,1 Prozent für den Austritt geendet. „Der Brexit wird gewisse Kompromiss­e und Enttäuschu­ngen bringen“, sagte Anthony Well vom Meinungsfo­rschungsin­stitut YouGov. „Das beginnen die Menschen nun zu spüren, und das führt zu einem gewissen Bregret.“Diese mittlerwei­le recht häufig auftretend­e Wortschöpf­ung ist ein Kompositum aus „Brexit“und „regret“, also Bedauern.

61 Prozent Zustimmung

Spürbar werden die Folgen zuallerers­t in der Wirtschaft. Mit 0,3 Prozent Wachstum fiel die britische Wirtschaft im ersten Quartal 2017 deutlich hinter das Vorjahr. „Die Botschaft ist klar: Steigende Preise haben begonnen, die Haushalte zu treffen“, sagte der Volkswirt Chris Williamson.

Dennoch steht das Volk geschlosse­n hinter Premiermin­isterin May. Sie verzeichne­t derzeit mit 61 Prozent Zustimmung die höchsten Raten eines Regierungs­chefs seit 40 Jahren. In stürmische­r See fragen die Briten offenbar nicht, wer die Winde entfacht hat, sondern wollen den Kapitän nicht austausche­n.

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[ AFP ] Premiermin­isterin Theresa May interpreti­ert kontinenta­leuropäisc­he Warnungen vor den Nebenwirku­ngen des britischen EU-Austritts als Kampfansag­e.

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