Briten stehen geschlossen hinter Theresa May
EU/Großbritannien. In Brüssel stellen die Staatsund Regierungschefs der EU-27 heute die Weichen für den Brexit. Die britische Premierministerin will mit „starker Führung“kontern.
London. Sie werde keinen „running commentary“zu den Brexit-Verhandlungen abgeben, hatte die britische Premierministerin Theresa May unmittelbar nach ihrer Amtsübernahme angekündigt. Das hielt sie weitgehend durch. Doch die Warnung der deutschen Kanzlerin, Angela Merkel, vor dem heutigen EU-Gipfel in Brüssel, dass London nach dem Austritt „nicht mehr die gleichen Privilegien“haben werde wie als Mitglied der Union, provozierte May zu der Replik: „Das beweist nur einmal mehr die Notwendigkeit starker Führung.“
Diese verspricht die Premierministerin dem Land seit ihrer überraschenden Entscheidung für vorzeitige Neuwahlen unablässig. In der letzten Fragestunde vor Auflösung des Parlaments in dieser Woche schaffte es in offensichtlicher Parteiregie nahezu jeder Abgeordnete der Konservativen, den Slogan von der „strong and stable leadership“unterzubringen. May hat die Neuwahlen damit begründet, dass sie ein starkes Mandat für die EU-Verhandlungen braucht.
Darin will sie, wie sie mehrfach betont hat, auf harte Positionen setzen. „Brexit means Brexit“, und für May bedeutet das Austritt aus dem Binnenmarkt und der Zollunion. Das war bis zuletzt auch parteiintern nicht unumstritten. So erklärte die profilierte Abgeordnete Anna Soubry: „Ein harter Brexit wäre das Schlimmste, was passieren könnte.“Im Wahlkampf aber haben die Konservativen nun ihre Reihen geschlossen. Die weitere Unterstützung der proeuropäischen Plattform Open Europe sei „als Mitglied der Konservativen unhaltbar“schrieb Soubry diese Woche gemeinsam mit einer Reihe anderer bisheriger Tory-Rebellen.
Labour gespalten
Diese Geschlossenheit der Konservativen steht in umso auffälligerem Kontrast zu der oppositionellen Labour Party, die in der Frage des Brexit so gespalten und zerstritten ist, dass sie im Wahlkampf am liebsten über alles andere sprechen möchte. Die Vorstel- lung der offiziellen Parteiposition zum Brexit durch Europasprecher Keir Starmer in dieser Woche wurde zu einem Debakel. Während Starmer sich für ein Ende der Personenfreizügigkeit aussprach, widersprach ihm Parteichef Jeremy Corbyn wenige Stunden später in aller Öffentlichkeit.
Der einzige Punkt, in dem in der Partei Einigkeit zu bestehen scheint, ist, dass man das Ergebnis der Volksabstimmung vom vergangenen Jahr akzeptiert und kein weiteres Referendum befürwortet, wie es etwa die Liberaldemokraten fordern. Die öffentliche Selbstvernichtung der Labour Party ließ ExPremier Tony Blair diese Woche nicht nur in einem Interview aussprechen, was ohnehin jeder weiß: „Theresa May wird diese Wahl gewinnen.“Er forderte auch: „Jetzt ist es Zeit, über Parteigrenzen hinweg zu denken.“Wenn schon der Brexit unausweichlich sei, stelle sich zur Verhinderung der härtesten Version der Scheidung die Frage: „Ist es möglich, dass wir so viele Abgeordnete wie möglich wählen, die unvoreingenommen in diese Verhandlungen gehen wollen?“Von der Labour-Führung wurde dem ehemaligen Parteichef nur kühl beschieden, seine Intervention sei „nicht hilfreich“.
Dabei spricht der alte Politik-Fuchs aus, was immer mehr Briten offenbar ebenso sehen. Nach einer in dieser Woche veröffent- lichten Umfrage der „Times“erklärten 45 Prozent der Wähler, der Brexit sei ein Fehler gewesen, während 43 Prozent den EU-Austritt weiterhin für die richtige Entscheidung halten. Das Referendum im Juni 2016 hatte mit 51,9 zu 49,1 Prozent für den Austritt geendet. „Der Brexit wird gewisse Kompromisse und Enttäuschungen bringen“, sagte Anthony Well vom Meinungsforschungsinstitut YouGov. „Das beginnen die Menschen nun zu spüren, und das führt zu einem gewissen Bregret.“Diese mittlerweile recht häufig auftretende Wortschöpfung ist ein Kompositum aus „Brexit“und „regret“, also Bedauern.
61 Prozent Zustimmung
Spürbar werden die Folgen zuallererst in der Wirtschaft. Mit 0,3 Prozent Wachstum fiel die britische Wirtschaft im ersten Quartal 2017 deutlich hinter das Vorjahr. „Die Botschaft ist klar: Steigende Preise haben begonnen, die Haushalte zu treffen“, sagte der Volkswirt Chris Williamson.
Dennoch steht das Volk geschlossen hinter Premierministerin May. Sie verzeichnet derzeit mit 61 Prozent Zustimmung die höchsten Raten eines Regierungschefs seit 40 Jahren. In stürmischer See fragen die Briten offenbar nicht, wer die Winde entfacht hat, sondern wollen den Kapitän nicht austauschen.