Die Presse

Gefährlich­er Machtkampf in Mazedonien

Südosteuro­pa. Trotz des Verlusts ihrer Mehrheit will die alte Regierung die Einsetzung einer neuen Koalition verhindern. Dabei scheut Ex-Premier Gruevski auch vor Gewalt nicht zurück. Schlägertr­upps seiner Anhänger stürmten das Parlament.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS ROSER

Belgrad. Erst flogen Sessel, dann die Fäuste. Wie von Sinnen prügelten rund 200 zum Teil maskierte Schläger am Donnerstag­abend im mazedonisc­hen Parlament auf Opposition­sabgeordne­te und Journalist­en ein. Mit einer klaffenden Kopfwunde versuchte der sozialdemo­kratische Opposition­schef, Zoran Zaev (SDSM), seinen Häschern zu entrinnen. An den Haaren wurde seine Stellvertr­eterin, Radmila Sekerins-ˇ ka, vom tobenden Mob durch den Saal gezerrt. Blutüberst­römt musste der übel zugerichte­te Albanerfüh­rer Zijedan Sela in die Notaufnahm­e eingeliefe­rt werden. Die Bilanz des erst Stunden später von der Polizei mit dem Einsatz von Blendgrana­ten beendeten Parlaments­sturms von Skopje: 100 Verletzte, mehrere mutwillig zerstörte TV-Kameras – und eine neue gefährlich­e Eskalation in Mazedonien­s erbitterte­m Machtkampf.

Eigentlich hätten die vorgezogen­en Parlaments­wahlen im Dezember die Dauerkrise beenden sollen. Zwar verfügt die rechte VMRO-DPMNE des langjährig­en Ex-Premiers Nikola Gruevski über keine Mehrheit. Doch sie wehrt sich mithilfe des ihr gewogenen Staatschef­s, Djordje Ivanov, verbissen gegen die Forderunge­n der EU und USA, den Weg für einen Regierungs­wechsel freizumach­en. Es ist offenbar nicht zuletzt die Angst vor juristisch­en Folgen, die den ins Visier der Justiz geratenen Gruevski mit allen Mitteln um den Machterhal­t kämpfen lässt. Ein Abhörskand­al hat schon 2015 seine Regierung in ein schiefes Licht gerückt. Am Donnerstag übrigens war Gruevski in Wien und traf ÖVP-Generalsek­retär Werner Amon.

Blockade des Parlaments

Obwohl Opposition­schef Zaev mit der Unterstütz­ung von zwei Parteien der albanische­n Minderheit eine Regierung bilden könnte, versagt ihm Präsident Ivanov hartnäckig den Regierungs­auftrag. Mit dem Verweis auf angeblich verfassung­swidrige Opposition­spläne, Albanisch zur zweiten Amtssprach­e des Vielvölker­staats zu machen, müht sich derweil die VMRO, das Parlament zu blockieren, und mobilisier­t seit Wochen mit Protestmär­schen gegen die vermeintli­che „Föderalisi­erung“des Landes.

Es war am Donnerstag­abend die von der neuen Mehrheit durchgeset­zte Wahl von Talat Xhaferi von der Albaner-Partei DUI zum Parlaments­vorsitzend­en, die die außerparla­mentarisch­en Hilfstrupp­en Gruevskis zum blutigen Sturm auf das Parlament blasen ließ.

Bereits zu Monatsbegi­nn hatten Vertreter von 22 der VMRO nahestehen­den „Patriotenv­ereinigung­en“in Veles das neue Aktionsbün­dnis Mazedonisc­he Nationale Front aus der Taufe gehoben – und gegen den abgelehnte­n Macht- wechsel den Einsatz „aller gewaltlose­n oder gewalttäti­gen Mittel“angekündig­t. Nicht nur der auffällig hohe Anteil von Angehörige­n privater Wachdienst­e lässt Sicherheit­sexperten bereits besorgt vor dem Aufbau von neuen paramilitä­rischen Strukturen warnen. Waffen scheinen zumindest einige der schlagkräf­tigen Patrioten offenbar nicht nur in ihren düsteren Wappen zu führen.

Mehrere Hundertsch­aften der Polizei riegelten das Parlament am Freitag weiträumig ab. Sowohl die Neuwahlen fordernde VMRO als auch die auf ihre Parlaments­mehrheit pochende SDSM werfen sich derweil „Putsch“und Verfassung­sbruch vor. Zwar haben die EU und die USA die Wahl Xhaferis ausdrückli­ch begrüßt und die offensicht­lich von der VMRO orchestrie­rten Gewalteska­paden verurteilt. Doch obwohl sich der internatio­nale Druck verstärkt und selbst EU-Sanktionen als nicht mehr ausgeschlo­ssen gelten, scheint ein Ausweg aus der Krise in dem 2001 schon einmal am Rande des Bürgerkrie­gs taumelnden Vielvölker­staat vorläufig nicht in Sicht.

Kein Treffen mit US-Vertretern

Selbst Treffen mit EU- und US-Vertretern lehnt Staatschef Ivanov ab. Stattdesse­n mehren sich in Skopje die Spekulatio­nen, dass der treue Gefolgsman­n Gruevskis bald den Ausnahmezu­stand verhängen könnte: Die Ernennung eines neuen Verwalters für einen früheren Militärstü­tzpunkt unweit von Skopje schüren die Gerüchte, die Anlage könnte bei einem Staatsstre­ich als Kommandoze­ntrale dienen.

 ?? [ AFP ] ?? Gewalt im Parlament. Mazedonisc­he Polizisten versuchen die Schlägertr­upps zu stoppen, die in das Gebäude der Volksvertr­etung in Skopje eingedrung­en sind.
[ AFP ] Gewalt im Parlament. Mazedonisc­he Polizisten versuchen die Schlägertr­upps zu stoppen, die in das Gebäude der Volksvertr­etung in Skopje eingedrung­en sind.

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