Der „dritte Mann“: ein Geheimcode
Film und Literatur. Hochkonjunktur für „Der dritte Mann“: Eine Graphic Novel zeigt dessen Autor als Spion und gibt dem Film einen versteckten Sinn. Und das ist längst nicht alles.
Wann war der „dritte Mann“je weg? Bis heute lockt er jede Menge Touristen in Wiens Kanalsystem, auf den Spuren unheimlicher Orte und Geschichten aus dem Wien der Nachkriegszeit, auf den Spuren des amerikanischen Autors Holly Martins, der wegen eines Jobangebots nach Wien zu seinem Freund Harry Lime reist und dort in kriminelle Kreise und Aktivitäten hineingezogen wird.
Ja, der „dritte Mann“hat eigentlich immer Konjunktur. Nur derzeit wieder einmal noch stärker als sonst, und zwar nicht nur am Burgtheater. Dieses erweist dem legendären Film indirekt seine Reverenz. Heute, Samstag, wird dort „Carol Reed“uraufgeführt, ein Stück des deutschen Regisseurs Rene´ Pollesch über den 1976 gestorbenen Regisseurskollegen. Dessen Film „Der dritte Mann“, an dem etwa das Spiel mit Licht und Schatten bis heute fasziniert, erwies Reed als einen der fähigsten Filmemacher der Nachkriegszeit. 1949 bekam er den Großen Preis in Cannes und wurde weltweit erfolgreich.
Noch direkter aber als auf der Bühne ist der „dritte Mann“dieser Tage auf dem Buchmarkt präsent – und zwar, wie es dem Film entspricht, vor allem in Bildern. Da hat sich zum einen die deutsche Zeichnerin Annika Siems daran gewagt, eine Neuübersetzung jenes Textes zu illustrieren, der dem Film zugrunde lag; trotz einschüchternder Konkurrenz durch die legendären Filmbilder. Und da die Erzählung „Der dritte Mann“des Schriftstellers Graham Greene ohnehin stets als Rohmaterial für den Film gedacht gewesen war, ist es nur konsequent, dass dieses in der Edition Büchergilde erschienene Buch vor allem von den stimmigen Sepia-Tuschzeichnungen lebt. Siems ist dabei eine Gratwanderung gelungen, die weder die (nicht zuletzt in Wien zu findenden) Fans des Films vor den Kopf stößt, noch diesen krampfhaft imitiert.
Schriftsteller und Spion
Die vielleicht interessanteste Neuigkeit aber kommt aus Belgien. Dort schickt eine neue Graphic Novel aus dem Dupuis-Comicverlag den Autor Graham Greene noch einmal in das Wien der Nachkriegszeit – und verbindet dabei die Entstehungsgeschichte des „dritten Mannes“mit Thesen über die naturgemäß bis heute nicht ganz geklärten Geheimdienstaktivitäten seines Autors.
Greene war nicht nur Schriftsteller, sondern auch mehrere Jahre lang Spion – eine Tätigkeit, ohne die das Drehbuch zum Film „Der dritte Mann“in dieser Form wohl gar nicht denkbar wäre. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er für den britischen Auslandsgeheimdienst. Offiziell aber war der große britische Romancier 1948 ja nur im zwischen den Alliierten aufgeteilten und von Spionen wimmelnden Wien, um Recherchen für sein Drehbuch zu machen.
Warum aber reiste er dann, am Beginn des Kalten Krieges, nach Prag weiter, wo die Kommunisten gerade dabei waren, die Macht zu ergreifen? Jean-Luc Fromental, der Autor von „Le Coup de Prague“(„Der Coup von Prag“), liefert eine hochspannende Antwort darauf. Er stellt Greene die literaturbegeisterte Abenteurerin Elizabeth Montagu zur Seite, „ein bisschen Schauspielerin, ein bisschen Spionin“(sie ist der realen Baronstochter Elizabeth Varley nachempfunden). Elizabeth soll Greene bei seinen Recherchen unterstützen, merkt aber bald, dass dieser in Wien noch eine andere geheime Agenda verfolgt. Ist das Drehbuch am Ende nur ein Vorwand dafür? Immer verwirrender verstricken sich die Geschichte vom „dritten Mann“und die Geschichte des Autors Graham Greene ineinander. Es ist ein raffiniertes Spiel mit Historie und Literatur, das Konzentration erfordert – vor allem, um die Intrigen diverser Geheimdienste auseinanderzuhalten – und den Lesern am Ende tatsächlich einen höchst gelungenen erzählerischen „Coup“bereithält.
Braun-grau-rotes Ruinen-Wien
Auch wenn die Graphic Novel irreführenderweise die Stadt Prag im Titel hat, spielt sie fast zur Gänze in Wien: einem Wien, das der Amerikaner Miles Hyman in braungrau-dunkelrote Düsternis taucht – atmo- sphärisch beeindruckend, am meisten vor den Kulissen der Kriegsruinen (des Hohen Marktes etwa oder der Staatsoper). Natürlich müssen darin auch Sacher und Riesenrad vorkommen, aber die Klischees sind auf jenes Minimum beschränkt, das man weder einer internationalen Leserschaft vorenthalten kann noch den Filmfans: Viele Schauplätze, etwa gewisse enge Seitengässchen der Innenstadt, historische Lokale und natürlich die Kanäle entsprechen denen des „dritten Mannes“.
Dessen Story erhält in der Graphic Novel einen doppelten Boden, eine versteckte Bedeutung. „Der Coup von Prag“zwingt einen geradezu dazu, den Film mit anderen Augen zu sehen. Und zu hoffen, dass der Band bald, ins Deutsche übersetzt, nach Wien kommt – in die Stadt des „dritten Mannes“.