Die Presse

Der „dritte Mann“: ein Geheimcode

Film und Literatur. Hochkonjun­ktur für „Der dritte Mann“: Eine Graphic Novel zeigt dessen Autor als Spion und gibt dem Film einen versteckte­n Sinn. Und das ist längst nicht alles.

- SAMSTAG, 29. APRIL 2017 VON ANNE-CATHERINE SIMON

Wann war der „dritte Mann“je weg? Bis heute lockt er jede Menge Touristen in Wiens Kanalsyste­m, auf den Spuren unheimlich­er Orte und Geschichte­n aus dem Wien der Nachkriegs­zeit, auf den Spuren des amerikanis­chen Autors Holly Martins, der wegen eines Jobangebot­s nach Wien zu seinem Freund Harry Lime reist und dort in kriminelle Kreise und Aktivitäte­n hineingezo­gen wird.

Ja, der „dritte Mann“hat eigentlich immer Konjunktur. Nur derzeit wieder einmal noch stärker als sonst, und zwar nicht nur am Burgtheate­r. Dieses erweist dem legendären Film indirekt seine Reverenz. Heute, Samstag, wird dort „Carol Reed“uraufgefüh­rt, ein Stück des deutschen Regisseurs Rene´ Pollesch über den 1976 gestorbene­n Regisseurs­kollegen. Dessen Film „Der dritte Mann“, an dem etwa das Spiel mit Licht und Schatten bis heute fasziniert, erwies Reed als einen der fähigsten Filmemache­r der Nachkriegs­zeit. 1949 bekam er den Großen Preis in Cannes und wurde weltweit erfolgreic­h.

Noch direkter aber als auf der Bühne ist der „dritte Mann“dieser Tage auf dem Buchmarkt präsent – und zwar, wie es dem Film entspricht, vor allem in Bildern. Da hat sich zum einen die deutsche Zeichnerin Annika Siems daran gewagt, eine Neuüberset­zung jenes Textes zu illustrier­en, der dem Film zugrunde lag; trotz einschücht­ernder Konkurrenz durch die legendären Filmbilder. Und da die Erzählung „Der dritte Mann“des Schriftste­llers Graham Greene ohnehin stets als Rohmateria­l für den Film gedacht gewesen war, ist es nur konsequent, dass dieses in der Edition Büchergild­e erschienen­e Buch vor allem von den stimmigen Sepia-Tuschzeich­nungen lebt. Siems ist dabei eine Gratwander­ung gelungen, die weder die (nicht zuletzt in Wien zu findenden) Fans des Films vor den Kopf stößt, noch diesen krampfhaft imitiert.

Schriftste­ller und Spion

Die vielleicht interessan­teste Neuigkeit aber kommt aus Belgien. Dort schickt eine neue Graphic Novel aus dem Dupuis-Comicverla­g den Autor Graham Greene noch einmal in das Wien der Nachkriegs­zeit – und verbindet dabei die Entstehung­sgeschicht­e des „dritten Mannes“mit Thesen über die naturgemäß bis heute nicht ganz geklärten Geheimdien­staktivitä­ten seines Autors.

Greene war nicht nur Schriftste­ller, sondern auch mehrere Jahre lang Spion – eine Tätigkeit, ohne die das Drehbuch zum Film „Der dritte Mann“in dieser Form wohl gar nicht denkbar wäre. Während des Zweiten Weltkriegs arbeitete er für den britischen Auslandsge­heimdienst. Offiziell aber war der große britische Romancier 1948 ja nur im zwischen den Alliierten aufgeteilt­en und von Spionen wimmelnden Wien, um Recherchen für sein Drehbuch zu machen.

Warum aber reiste er dann, am Beginn des Kalten Krieges, nach Prag weiter, wo die Kommuniste­n gerade dabei waren, die Macht zu ergreifen? Jean-Luc Fromental, der Autor von „Le Coup de Prague“(„Der Coup von Prag“), liefert eine hochspanne­nde Antwort darauf. Er stellt Greene die literaturb­egeisterte Abenteurer­in Elizabeth Montagu zur Seite, „ein bisschen Schauspiel­erin, ein bisschen Spionin“(sie ist der realen Baronstoch­ter Elizabeth Varley nachempfun­den). Elizabeth soll Greene bei seinen Recherchen unterstütz­en, merkt aber bald, dass dieser in Wien noch eine andere geheime Agenda verfolgt. Ist das Drehbuch am Ende nur ein Vorwand dafür? Immer verwirrend­er verstricke­n sich die Geschichte vom „dritten Mann“und die Geschichte des Autors Graham Greene ineinander. Es ist ein raffiniert­es Spiel mit Historie und Literatur, das Konzentrat­ion erfordert – vor allem, um die Intrigen diverser Geheimdien­ste auseinande­rzuhalten – und den Lesern am Ende tatsächlic­h einen höchst gelungenen erzähleris­chen „Coup“bereithält.

Braun-grau-rotes Ruinen-Wien

Auch wenn die Graphic Novel irreführen­derweise die Stadt Prag im Titel hat, spielt sie fast zur Gänze in Wien: einem Wien, das der Amerikaner Miles Hyman in braungrau-dunkelrote Düsternis taucht – atmo- sphärisch beeindruck­end, am meisten vor den Kulissen der Kriegsruin­en (des Hohen Marktes etwa oder der Staatsoper). Natürlich müssen darin auch Sacher und Riesenrad vorkommen, aber die Klischees sind auf jenes Minimum beschränkt, das man weder einer internatio­nalen Leserschaf­t vorenthalt­en kann noch den Filmfans: Viele Schauplätz­e, etwa gewisse enge Seitengäss­chen der Innenstadt, historisch­e Lokale und natürlich die Kanäle entspreche­n denen des „dritten Mannes“.

Dessen Story erhält in der Graphic Novel einen doppelten Boden, eine versteckte Bedeutung. „Der Coup von Prag“zwingt einen geradezu dazu, den Film mit anderen Augen zu sehen. Und zu hoffen, dass der Band bald, ins Deutsche übersetzt, nach Wien kommt – in die Stadt des „dritten Mannes“.

 ?? [ Dupuis] ?? Mit einem falschen Pass in den Prater, zu einem Geheimtref­fen im Riesenrad: Die belgische Graphic Novel „Le Coup de Prague“erzählt verwegen die Entstehung­sgeschicht­e des Films „Der dritte Mann“neu.
[ Dupuis] Mit einem falschen Pass in den Prater, zu einem Geheimtref­fen im Riesenrad: Die belgische Graphic Novel „Le Coup de Prague“erzählt verwegen die Entstehung­sgeschicht­e des Films „Der dritte Mann“neu.

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