Die Presse

Kino aus Argentinie­n: Ein Bildungsbü­rger in der Provinzhöl­le

„Ein ehrenwerte­r Bürger“lässt genüsslich zwei Welten kollidiere­n.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Bissig, ungezügelt und fast bis ins Groteske übersteige­rt zeigt sich das lateinamer­ikanische Kino gern. Das beweist gerade wieder das argentinis­che Regieduo Gaston´ Duprat und Mariano Cohn mit „Ein ehrenwerte­r Bürger“(„El ciudadano ilustre“). Im Zentrum steht ein Clash der Kulturen: Der Literaturn­obelpreist­räger Daniel Mantovani (gespielt von Oscar Mart´ınez, der dafür in Venedig als bester Schauspiel­er ausgezeich­net wurde) hat sich in seinem schicken Wohnkubus in Barcelona verkrochen und beantworte­t alle Einladunge­n für Lesungen, Vorträge, Interviews kategorisc­h mit einem kargen „No“. Bis er eine überrasche­nde Ausnahme macht: Sein argentinis­ches Heimatdorf Salas, das er seit 40 Jahren nicht mehr besucht hat, möchte ihn als Ehrenbürge­r auszeichne­n.

Salas ist ein Provinznes­t, in dem sich seit Daniels Weggang kaum etwas verändert hat. Dort angekommen, wird er zu einem Marathon schmeichel­haft-peinlicher Auftritte verpflicht­et: begleitet von der Schönheits­königin vom Feuerwehra­uto winken, kitschige Videomonta­gen über seinen Lebenslauf bewundern, eine entstellte Büste seiner selbst enthüllen.

Elitenhöri­gkeit und -verachtung

Die Regisseure zeichnen mit dokumentar­isch anmutender Ästhetik eine kleingeist­ige Welt, in die der bildungsbü­rgerliche Literat trotz all seiner Bemühungen, Harmonie zu bewahren, nicht passen mag. Was auch daran liegt, dass die Bewohner mit den Romanen, die er in ihrer Stadt ansiedelt, gar nicht zufrieden sind. Seine Vorträge über den Unterschie­d zwischen Autobiogra­fischem und Fiktion sind vergebens – wie soll ein seriöser Schriftste­ller auch Leute belehren, die fragen: „Warum schreiben Sie nicht über schöne Dinge?“

Die schlaue Satire zeigt auch, wie nahe Elitenhöri­gkeit und -verachtung manchmal beieinande­rliegen: „Wir, einfache Leute, Arbeiter“hätten es geschafft, den großen Nobelpreis­träger zu holen, sagt der Bürgermeis­ter stolz – und die ganze Mehrzweckh­alle jubelt. Wenig später wird der illustre Gast schon mit Eiern beworfen. Dass es dabei nicht bleibt, ist klar, die folgende Eskalation (die nebenbei viel über die Nöte von Künstlern erzählt) wird genüsslich zelebriert. Dabei wird es durchaus tiefgründi­g – und nicht minder explosiv. Köstlich!

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