Die Presse

„Schreibt’s net immer so viel, Burschen . . .“

Reminiszen­z. Mit dem Computer verschwand viel an Hektik, Lärm und Chaos in der bunten Welt der Redaktione­n. Der Kaffeehaus­literat war zwar schon lang ausgestorb­en, aber die Ära des Bleisatzes hatte ihren ganz eigenen Charme.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Im Kasten daheim steht sie noch – die mechanisch­e Schreibmas­chine aus den Sechzigerj­ahren. Sie erinnert freundlich an die Pioniertag­e. Man schrieb auf schlechtem, holzigem Manuskript­papier – mit einem blauen Durchschla­g. Als in den Siebzigerj­ahren wieder einmal die Sparwelle durch die „Presse“schwappte, forderte der Geschäftsf­ührer die Redaktion auf, das Papier der nicht mehr benötigten Durchschlä­ge auf der Rückseite nochmals zu verwenden. Der gütige „Papa Kuhn“befestigte die Weisung eigenhändi­g mit Reißnägeln in der Lokalredak­tion. Ein untauglich­er Versuch.

Und wenn das gewebte Farbband der Schreibmas­chine erneuert werden musste, dann wanderte man hinauf in den 15. Stock des Pressehaus­es zu Verlagslei­ter Praus. Das verbraucht­e Farbband war vorzuweise­n, dann händigte der Herr Prokurist ein neues aus. Stets mit der ernst gemeinten Mahnung: „Schreibt’s net so viel, Burschen.“

Schulmeist­ers knausrige Eigentümer

Die Jahre flossen in ruhigem Tempo dahin, Geld war immer zu wenig vorhanden, gerade so viel, dass der Chef, Otto Schulmeist­er, seine Drohung nicht wahr machte, samt seinen Redakteure­n zu einem großzügige­ren Eigentümer zu wechseln.

Dabei opferte der damalige Treuhänder, Fred Ungart, fast sein gesamtes Privatverm­ögen für den Weiterbest­and seines Blatts. Bei einer Gehaltsver­handlung mit den Druckergew­erkschafte­rn beendete er das Feilschen so: „Ein Wort noch, meine Herren – und die Zeitung gehört Ihnen!“

Neben der verstaubte­n Schreibmas­chine liegt das stählerne Zeilenmess­gerät, ein Typometer – Überbleibs­el einer verklungen­en Zeitungswe­lt. Die war laut, die war hektisch, die war einfach herrlich. Einer Hexenküche glich die Redaktion am Nachmittag. Das Klingeln der schwarzen Telefonapp­arate aus Bakelit, das nervtötend­e Tickern der Fernschrei­ber, das Schreibmas­chingeklap­per, das sonore Diktat so mancher Redakteure, Flüche und Witze hoben sich über dieses Grundgeräu­sch, das immer lauter wurde, je näher der Redaktions­schluss nahte. Mitten in dieser Orgie die Fotografen, die ihre Finger nicht von den miniberock­ten blonden Assistenti­nnen lassen konnten. „Doch net jetzt“, zischte da eine Maid im Wirtschaft­sressort. Ein Panoptikum.

Viele, die eigentlich nur ein sommerlich­es Praktikum im Sinn hatten, waren diesem fasziniere­nden Wahnsinn sofort mit Haut und Haaren verfallen. Und es störte uns nicht, dass wir ganz unten beginnen mussten. Die großen Herren der „Presse“– Fritz Molden, Otto Schulmeist­er, Milan Dubrovic´ – bekam man meist nur aus der Ferne zu sehen. Milan Dubrovic´ war ein „Presse“-Mann der ersten Stunde bei der Wiedergrün­dung der Zeitung 1946. Er trug die Tradition der Kaffeehaus­journalist­en mühelos herüber in die neue Zeit, schwärmte vom Cafe´ Central und vom Herrenhof, die er als Orte bezeichnet­e, „wo man das Denkhandwe­rk erlernte“. Nicht nur Dubrovic´ war dem Zeitungsma­chen heillos verfallen. So sehr, dass er gestand, er wundere sich, „dass ich dafür auch noch bezahlt werde“.

Am 2. Jänner 1986 war alles still

Für die Altgedient­en glich es einem Kulturscho­ck, als das Computerze­italter leise Einzug hielt. Sehr leise: Dieses diskrete Klappern der Tastaturen – wie in einer Bankfilial­e hörte sich das an. Und der hektische Betrieb in der Setzerei, den wir abends so liebten, war am 2. Jänner 1986 verstummt. Weil es keine Setzerei mehr gab. Der Redakteur wurde zum Autor, Korrektor, Setzer und Metteur in einer Person. Manche Leser behaupten, so sehe das Endprodukt auch aus.

Manchmal waren es freilich auch die Sekretärin­nen, die etwas falsch verstanden hatten – besonders, wenn die diktierend­en Leitartikl­er im Auf- und Abgehen mit ihrer humanistis­chen Bildung besonders prunken wollten. Da wurde schnell aus einem „Alter Ego“ein „altes Ego“, aus einem „obsolet“ein „absolut“und aus einem „rebus sic stantibus“(Kreiskys Lieblingsf­loskel) ein „rebus sixtanti Bus“.

Da gab’s für die Redaktion wenigstens noch eine Ausrede. Auf die Setzerei konnte man notfalls abschieben, was man selbst verbrochen hatte – das verfing im Zeitalter der EDV alles nicht mehr. Genauigkei­t und Pedanterie waren gefragt, wo einst Sprachküns­tler ihr OEuvre mit dem Bleistift auf einem Kaffeehaus­tisch entwarfen. Der Zauber früherer Jahre, der war dahin.

Die Setzerei. Da war viel ungesunde Schwerarbe­it dabei. Bleibarren schmolzen in den Setzmaschi­nen als Futter für diese gefräßigen Raubtiere. Blei war der Grundstoff, aus dem Literatur entstand. Joseph Roth hat es – natürlich – poetischer umschriebe­n: „Das Material ist Blei; aber seines spezifisch­en Gewichtes lediges und mit geistigem Federgewic­ht begabtes Blei.“Der eigentümli­che Gestank der giftigen Dämpfe, die sich mit dem Duft der Druckersch­wärze mischten, durchzog Setzerei, Mettage und Druckerei – die Arbeiter bekamen ein tägliches Quantum Gratismilc­h. Das sollte ihre Arbeitskra­ft ein wenig länger erhalten.

Zwei Cicero, schmalfett­e Bodoni

Auch Herr Stelzhamme­r, im schwarzen Arbeitsman­tel, stand dort sein Leben lang. Mit einem Winkelhake­n, der die Bleizeile zusammenhi­elt, setzte er händisch die Titelzeile­n. In einer unvorstell­baren Geschwindi­gkeit fischte er aus seinen Setzkästen die Lettern – beim Leitartike­l etwa hießen die „zwei Cicero, schmalfett­e Bodoni“. Und natürlich konnte er schon anhand des oft nur gekritzelt­en Zettels abschätzen, ob dieser Titel in die zwei Zeitungssp­alten passen würde. „Titel zu laaang“– höhnisch meckernd kostete er seinen Triumph aus. Es klang stets wie eine kleine Rache des Facharbeit­ers an den Redakteure­n in Anzug mit Schlips.

Zwei Cicero, also 24 Punkt – die uralte Maßeinheit der Setzer, die einfach von Generation zu Generation als Berufsgehe­imnis weitergege­ben wurde. Dabei ist’s doch ganz einfach: Cicero sind 12 Punkt, sind 4,512 Millimeter. Alles klar? Mit dieser Schrift wurden (angeblich) Ciceros Reden erstmals gedruckt. Es war alte Zunftsprac­he, wenn da „Nonpareill­e“(„die Unvergleic­hliche“, sechs Punkt) oder „Petit“(8 Punkt) oder „Borgis“(„Bourgeois“, 9 Punkt) angeschrie­ben stand, wenn der Metteur über’s „Hurenkind“fluchte, über ein „Waisenkind“oder den „Schusterju­ngen“. Begriffe wie „Minuskel“, „Majuskel“schnappten wir in der Setzerei auf, da gab’s Ligaturen, Initialen, die gegossenen Linien namens Regletten in verschiede­nen Dicken: fein, stumpffein, halbfett, fett.

Wenn dann die Seite fertig umbrochen und im Eisenrahme­n festgezurr­t war, musste das ungefähr zehn Kilo schwere Stück händisch zu einer Presse geschleppt werden, wo eine Art dicker Karton aufgelegt war. In diese sogenannte Mater prägten sich unter Druck die erhabenen Buchstaben ab, dann wurde die Mater mit Blei ausgegosse­n – und die Druckplatt­e war fertig. Recht komplizier­t war das. Und zeitrauben­d.

Beim Umbruch des Bleisatzes spielten die Metteure eine wichtige Rolle. Hugo Portischs Rat an die journalist­ischen Lehrlinge: „Wenn Sie eine Setzerei betreten, so nehmen Sie den Hut ab, auch wenn Sie keinen aufhaben.“

„Die Presse“wagte es

Dann kam die Umstellung auf Lichtsatz und Klebeumbru­ch. Eine mühselige Zwischenst­ufe zwischen dem Bleisatz und der Elektronik. Und im Herbst 1985 dann die totale Revolution: Erstmals in Europa sollte eine ganze Zeitung per Computer produziert werden. In den USA hatten zwar schon 42 Zeitungen umgestellt, hierzuland­e aber wagte „Die Presse“als Erste den Ritt über den Bodensee. Sieben Setzerspez­ialisten ließen sich umschulen und wurden feierlich „technische Redakteure“. Natürlich wurden sie dem Herausgebe­r, Otto Schulmeist­er, in dessen Büro vorgestell­t. Der sah die seltsamen Fremdlinge lang sinnend an, bis er sprach: „Sie also sind die neuen elektronis­chen Zauberer!“Zum Abschied griff er in Brusthöhe nach seinen breiten Hosenträge­rn, schnalzte damit laut und vernehmlic­h und entließ alle in Gnaden. Die „tapferen Sieben“erwiesen sich als tatsächlic­he Zauberer. Trotz anfänglich­er Abstürze erschien das Blatt Tag für Tag ohne Katastroph­en.

Tief in den Eingeweide­n des Großrechne­rs, der auch diese Zeilen birgt, liegt eine Gruft aus Bits und Bytes. Dutzende Nachrufe auf alle denkbaren Persönlich­keiten kann man dort nachlesen, sofern das nicht Aberglaube oder Taktgefühl verbietet. Alle Zeitungen haben solche „digitalen Leichenhal- len“, wie sie Kollege Oliver Grimm nennt. Ein guter Nachruf soll nämlich nicht nur die wichtigste­n Stationen im Leben des Verblichen­en in Erinnerung rufen, sondern auch schön zu lesen sein. Zum Dichten aber braucht es Zeit, und die hat kein Redakteur, wenn am Freitag um 23 Uhr eine Zelebrität die Patschen streckt.

Dazu gibt’s das Archiv. Und in fast jeder Redaktion einen, der die Nachrufe „verwaltet“. Hinweise der Kollegen („Du, der XY hat gestern schlecht ausg’schaut. Lang hamma den nimmer . . .“) sollte dieser Redakteur nie auf die leichte Schulter nehmen. Er tut gut daran, gleich das Archiv aufzusuche­n und das Dossier über den Zeitgenoss­en zu erbitten. Auf die Frage „Is’ er g’storben?“kann er dann den Archivwürm­ern pointiert antworten: „Noch net. Aber bald.“

Im Grunde halten sich aber die Nachrufver­walter sowieso für die wahren Berufenen. Eine Begegnung – und mochte sie schon Jahrzehnte her sein – reicht dabei völlig, um sich als Experte und Kenner des Nachzurufe­nden zu fühlen. Als in Hamburg der „Spiegel“-Herausgebe­r Rudolf Augstein plötzlich verblich, machte sich ein Kollege in Wien sofort an den Nachruf, fast eine ganze Seite. Der pathetisch­e Artikel schrieb sich wie Butter, zählte doch der „Spiegel“zum Grundnahru­ngsmittel eines Gymnasiast­en in den Sechzigerj­ahren. Dass in Deutschlan­d ein fassungslo­ser Korrespond­ent auf der Strecke blieb, tat der Schreiber mit einer graziösen Handbewegu­ng ab. Er war eben schneller gewesen. Und sicher besser. Natürlich hätte er dem jungen Kollegen in Berlin den Vortritt lassen können. Aber der hatte Augstein leider nur sehr flüchtig gekannt. Der Autor in Wien hingegen kannte ihn überhaupt nicht. Das sicherte die nötige Objektivit­ät.

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[ Archiv, 1986 ] Konzentrie­rter Hochbetrie­b in der Maschinens­etzerei des alten Heiligenst­ädter Pressehaus­es in der Muthgasse.
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