Die Presse

Die Todgeweiht­en bis zum Ende begleiten

Welchem Menschen, der sich hingegeben hat, verdanke ich innere Kräfte – Herzkraft und Charakter?

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

Der letzte Güterwaggo­n löst sich vom Zug, rollt langsam aus und bleibt mitten im Grünen stehen. Das große Tor öffnet sich und in Zeitlupe springen Kinder heraus, dann ein alter Mann, laufen über die Wiese hinaus ins Nichts. Das Bild löst sich in Nebel auf. So endet der Film „Korczak“von Andrzej Wajda.

In Wahrheit landeten die 200 jüdischen Waisenkind­er in den Gaskammern von Treblinka. Zusammen mit ihrem „Doktor“, Janusz Korczak. Der Kinderarzt setzte sich vor allem für verwahrlos­te Kinder ein. Seine pädagogisc­hen Leitlinien schrieb er in täglichen pädagogisc­hen Skizzen und Kinderbüch­ern nieder. Schließlic­h übernahm er ein jüdisches Waisenhaus, in dem er seine Ideen umsetzte.

Im Kinderparl­ament durften die Schützling­e Verantwort­ung übernehmen, beteiligte­n sich bei Diensten im Haus – von der Wäsche bis zur Betreuung der Schwächere­n. Er sah im Kind einen vollwertig­en Menschen, noch frei von den Zwängen der Gesellscha­ft. Die Erzieher, schrieb Korczak, hätten die Aufgabe, sich in das Kind einzufühle­n und ihm zu ermögliche­n, seine Fantasie und Kräfte in der Natur zu entfalten.

Kindheit sei die wichtigste Zeit, in der der Mensch noch er selbst sei. Korczak lebte mit den Kindern, er hatte eine besondere Zuneigung zu den Schwachen. Und er liebte das Kleine: Auf seinem Schreibtis­ch stand ein Milchkännc­hen für die Maus. Seine pädagogisc­hen Reformen beeindruck­ten viele, auch wenn sie sie nur aus Korczaks Kinderbüch­ern kannten.

1940 wurde er zusammen mit jüdischen Bewohnern und mit seinen Kindern ins War- schauer Ghetto umgesiedel­t. Zwei Jahre später wurde sein Waisenhaus evakuiert. Er sagte seinen Schützling­en, sie würden aufs Land fahren, sie sollten sich schön anziehen.

Froh gestimmt gingen die Kinder zum Bahnhof, sangen, ein Bub spielte Geige. Korczak allen voran, mit zwei Kindern im Arm. So zog die Kinderscha­r mit ihrem Vater ohne Angst zum „Ausflug“. Auf dem Bahnhof gab es Versuche, den Arzt zu retten. Man hatte ihm einen Schweizer Pass beschafft und wollte ihn zurückhalt­en.

Der Platzkomma­ndant erfuhr, dass Korczak im Zug war und wollte ihn aussteigen lassen. „Ich habe Ihr Buch gelesen, als ich noch klein war. Ein gutes Buch.“Doch Korczak wollte seine Kinder bis zum Ende begleiten. Der Film „Korczak“ist sehenswert für alle, die das Vorbild eines gerechten Menschen suchen. Auch die Ideen für Erziehung, die Korczak notiert hat, sind aktuell.

Heute auf diesen Mann zu schauen, der mit seinen Kindern in den Gaskammern ermordet wurde, setzt in unserem Innersten Kräfte frei. Wir werden mutig, treu, fähig zur Partnersch­aft, sind Vorbild und lernen von den Kindern. Auch von Korczak gilt wie für Jesus das Schriftwor­t: „Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben.“Welchem Menschen, der sich hingegeben hat, verdanke ich innere Kräfte – Herzkraft und Charakter?

Und ein anderes Schriftwor­t sagt: „Sie werden auf den blicken, den sie durchbohrt haben.“ Joh 19,37

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VON GEORG SPORSCHILL SJ

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