Die Presse

Heumarkt Neu: Ein Spekulatio­nsprojekt sieht anders aus

Canaletto würde den Turm in eine heutige Stadtansic­ht integriere­n.

- VON DIETMAR STEINER Dietmar Steiner (* 1951 in Wels) studierte Architektu­r in Wien und leitete von 1993 bis 2015 das Architektu­rzentrum in Wien.

Wer sich die vergangene­n Monate zum Projekt Heumarkt Neu die Kommentare in den sozialen Medien und die Postings in Online-Medien zu Gemüte führte, war verblüfft über die Falschmeld­ungen und Lügen, die über das Projekt verbreitet wurden. Selbst in Petitionen wurden Forderunge­n erhoben, die mit dem Projekt bereits erfüllt sind.

Denn: Es gibt kein Großprojek­t im Wien der vergangene­n Jahrzehnte, das vergleichb­ar fair und offen und transparen­t im ständigen Dialog mit der Stadtplanu­ng und allen Betroffene­n wie WEV und Konzerthau­s entwickelt wurde. Es gab Testprojek­te mit bedenklich­en Ergebnisse­n und einen untadelige­n internatio­nalen Wettbewerb mit eindeutige­m Sieger.

Isay Weinfeld ist ein hervorrage­nder Architekt, den seine respektvol­le, kultiviert­e moderne Architektu­r auszeichne­t. Ein Qualitätsa­nspruch, der vom Investor gewollt und garantiert wird. Weinfelds Kompositio­n mit SockelSche­ibe-Turm ist eine richtige Anwort für diesen Ort, und gibt dem Stadtraum und seinen Sichtachse­n eine neue Qualität. Und warten wir auf die endgültige­n Pläne, dann können wir über Materialit­ät und Details dieser Architektu­r diskutiere­n. Die derzeitige­n Pläne und Absichten dazu sind, selten für Wien, absolut qualitätso­rientiert.

Eine Investitio­n für die Stadt

Wer die veröffentl­ichten Zahlen und glaubwürdi­gen Kalkulatio­nen kennt, muss zugeben, dass es sich hier um eine Investitio­n für die Stadt handelt. Ein Spekulatio­nsprojekt sieht anders aus. Dies zeigt sich auch in den nach langen Verhandlun­gen ausgearbei­teten städtebaul­ichen Verträgen, die, grundbüche­rlich gesichert, einen bisher nicht gekannten Mehrwert für öffentlich­e Nutzungen garantiere­n.

Die wahren Profiteure dieses Projekts sind vor allem der WEV, Konzerthau­s, die Kongressst­adt Wien, und der öffentlich­e Raum. Das Risiko dafür trägt allein der In- vestor. Deshalb haben für mich die Gegenargum­ente keine Glaubwürdi­gkeit. Die Widmung wird einem Projekt angepasst. Das ist eine jahrzehnte­lange Forderung und Planungspr­axis, weil eine abstrakte Widmung ohne Projekt nur selten in der Realität aus städtebaul­ichen und architekto­nischen Gründen vernünftig umsetzbar ist, und immer wieder dafür adaptiert werden muss. Abgesehen davon, dass im konkreten Projekt durch die Umwidmung kein Spekulatio­nsgewinn realisiert werden kann. Es geht nur um eine andere, im Wettbewerb gefundene Figuration.

43 Meter Höhe! Und Schluss!?

So bleibt am Ende dieses qualitätso­rientierte­n Prozesses, in dem die Stadtplanu­ng Wiens und der Investor verantwort­ungsbewuss­t agierten, nur ein Argument dagegen: Das ist das Weltkultur­erbe. Oder besser, seine derzeitige­n Stimmen. Es ist eben kein Argument zur architekto­nischen Qualität, wenn man einfach eine Zahl festlegen will: 43 Meter Höhe! Und darüber darf nicht diskutiert werden? Der Bauplatz ist und war nie ein „gründerzei­tlicher Block“. Er ist ein besonderer Ort in der Stadtmorph­ologie, für den es einer besonderen Typologie bedarf. Deshalb darf auch die Kompositio­n von Volumen und Proportion beachtet werden. Selbst ein höherer Turm würde dem nicht schaden.

Der US-Soziologe Richard Sennett unterschie­d kürzlich in einem kritischen Kommentar zu den Projekten in London und Manhattan zwischen „core investment­s“und „opportunit­y investment­s“. Bei Ersteren zählt nur der Gewinn. Bei Letzteren erkennt ein Investor das Potenzial eines Ortes und macht dieses für die Stadt fruchtbar. Das kann am Heumarkt geschehen. Und Canaletto würde jederzeit den Turm in eine heutige Stadtansic­ht integriere­n.

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