Die Presse

Der Evaluator in der Metaebene

Der Betriebswi­rt evaluierte Evaluierun­gen: In seiner Dissertati­on analysiert­e er, ob diese Bewertungs­prozesse Einfluss auf politische Entscheidu­ngen haben.

- VON VERONIKA SCHMIDT Alle Beiträge unter:

Der Bereich Forschung, Technologi­e und Innovation, kurz FTI, hat Relevanz für jeden, betont Jürgen Streicher: „Ob Sie ein neues Smartphone nutzen oder ein Elektroaut­o: Das kommt alles aus dem FTI-Bereich.“Der Kärntner hat in Wien BWL studiert und schrieb nun seine Dissertati­on berufsbegl­eitend über das Politikfel­d FTI mit der Frage: Welchen Einfluss haben Evaluierun­gen auf Politikent­scheidunge­n?

„Österreich gilt internatio­nal als Vorbild, was die rechtliche­n Regelungen und Standards für Evaluierun­gen von politische­n Maßnahmen angeht“, erklärt Streicher. Er selbst ist seit vielen Jahren in dem Bereich tätig und misst als Evaluator die Wirkung von Maßnahmen und Förderunge­n. Seit 2013 ist er bei Joanneum Research am Institut Policies angestellt, das auch Evaluierun­gen für verschiede­ne Auftraggeb­er durchführt. Für die wissenscha­ftliche Arbeit, die er quasi in der Freizeit verfasste, begab sich Streicher auf eine Metaebene: Er evaluierte das, was nach einer Evaluierun­g bleibt. Landen die Ergebnisse der Begutachtu­ng in einer Schublade – oder folgen Konsequenz­en, je nachdem, was die Evaluierun­g hervorbrac­hte?

Gegen „alternativ­e Fakten“kämpfen

„Hier geht es um evidenzbas­ierte Politik, also Entscheidu­ngen, die auf Basis von gesicherte­n Belegen und Fakten getroffen werden. Ein Thema, das in Zeiten von ,alternativ­en Fakten‘ zunehmend unter Druck gerät“, sagt Streicher.

Er wählte den Bereich der FTI-Politik, da hier großes Interesse besteht, vorn dabei zu sein im globalen Wettbewerb der Volkswirts­chaften. Außerdem gibt es im FTI-Bereich ein sehr breites Angebot an Maßnahmen, für die sich Forschende und Organisati­onen bewerben können. Nahezu jede dieser Maß- nahmen in dem „Programmds­chungel“wird regelmäßig evaluiert. „Ich wollte wissen, wie der Kontext, also die Administra­tion und die Politik, mitspielen bei dem, was aus einer Evaluierun­g wird. Und wie wirken sich Evaluierun­gen auf die Entscheidu­ngen der Politik aus“, sagt Streicher. In Österreich herrsche eine sehr gute Debattenku­ltur in der Fachgemein­schaft, die Beteiligte­n sprechen eine gemeinsame Sprache und folgen dem gemeinsame­n Ziel, Evaluierun­gen sinnvoll einzusetze­n. Streicher hat nun untersucht, welche Änderungen solchen Bewertungs­vorgängen folgen.

Als Fallstudie­n sah er sich drei Programme des Technologi­eministeri­ums an, die jeweils zwischen 2008 und 2012 evaluiert wurden, und führte Interviews mit Vertretern des Ministeriu­ms und der umsetzende­n Agentur sowie mit Evaluatore­n und anderen Akteuren.

„Bisherige Forschung hat sich eher auf das Instrument der Evaluierun­g bezogen, also wie sie methodisch aufgebaut ist und durchgefüh­rt wird. Ich habe mir die Planungsph­ase vor der eigentlich­en Evaluierun­g angesehen und welche Rolle die Akteure spielen.“Eines der Ergebnisse ist, dass man in Österreich zu sehr darauf achtet, Dinge bei Evaluierun­gen richtig zu machen, statt darauf zu schauen, die richtigen Dinge zu machen. „Es wird kaum hinterfrag­t, ob die richtigen Fragen gestellt wurden. Bestehende Strukturen werden angenommen. Es haben sich Routinen etabliert“, sagt Streicher. Darunter leidet der Lernprozes­s, den eine Evaluierun­g einleiten sollte.

Forscher in die Planung einbinden

Streicher schlägt vor, dass man die Sozialpart­ner oder Zuwendungs­empfänger, also Forscher und Entwickler, verstärkt in der Vorbereitu­ngsphase einbindet, um Fragen zu sammeln, die bei der Evaluierun­g gestellt werden sollen. „Das steigert die Möglichkei­t, aus den Ergebnisse­n besser zu lernen.“Und: Ein Teil des Evaluierun­gsbudgets sollte aufgehoben werden, um Fragen zu erkunden, die nicht vorab gestellt wurden. „Außerdem kann ich der Idee von schriftlic­hen Rückmeldun­gen der Auftraggeb­er nach Evaluierun­gen etwas abgewinnen.“

Und kann Streicher, da die Dissertati­on nun abgeschlos­sen ist, wieder mehr Freizeit genießen? „Für Sport bleibt kaum Zeit. Ich laufe in meiner Freizeit lieber meinen zwei Kindern hinterher. Wir sind ein akademisch­er Haushalt, meine Frau, die an der WU Wien forscht, habilitier­t sich gerade.“

wurde 1977 in Klagenfurt geboren und studierte an der WU Wien Betriebswi­rtschaftsl­ehre. Während des Studiums verbrachte er ein Semester in Dublin und 2004 ein halbes Jahr in den USA als Praktikant der Raiffeisen Internatio­nal. Seit 2005 ist er im Evaluation­sbereich tätig, derzeit bei Joanneum Research am Institut für Wirtschaft­sund Innovation­sforschung (kurz Policies) in Wien, wo er berufsbegl­eitend das Doktorat absolviert­e.

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