Vom Mosern
Der österreichische Volksschauspieler Hans Moser hatte in allen vor allem durch ihn populär gewordenen Filmen eine eigenartige, individuelle, gewissermaßen privatsprachliche Art zu sprechen. Wie er die Wörter aussprach, diese seine unverwechselbare Art der Artikulation, entsprach in keinem Fall den Regeln eines Aussprachewörterbuchs, etwa denen des Siebs oder des Aussprache-Dudens. Und wenn er Mundart sprach, dann sicher auch nicht einfach „die“Wiener Mundart, sondern „seine“Wiener Mundart, kein Schönbrunnerisch und auch kein Vorstadtwienerisch, kein Honoratiorenwienerisch und auch nicht einfach proletarisch – selbst dann nicht, wenn er einen Honoratioren oder einen Domestiken darstellte.
Maria Hornung unterscheidet in der Einleitung zu ihrem „Wörterbuch der Wiener Mundart“, Wien 1988, Walter Steinhauser zitierend („250 Jahre Wienerisch“), zwischen „Rokokowienerisch“und „Schnörkelwienerisch“, „Altwienerisch“, „Neuwienerisch“sowie „Jungwienerisch“und bringt anschauliche Beispiele für diese Varietäten. Man könnte allein anhand der Autokorrekturen Hans Mosers in seinen Monologen und Dialogbeiträgen, wenn und wie er sich selbst dolmetscht und „korrigiert“, reiches Material für die diversen Sprachregister gewinnen.
Es entspricht der Not, die ein Sprachwissenschaftler bei der Analyse und Beschreibung dieser besonderen Moserschen Performanz und bei der Formulierung dieses Idioms hat und empfindet, dass er sich mit einem verbum proprium, einem nach dem Eigennamen gebildeten, nachgebildeten Wort, einem postnominalen Derivat behilft und zu der gängigen Wortschöpfung „mosern“kommt. Eigentlich ist dieser Begriff ein Ausdruck der Verlegenheit. Seine, Mosers, Sprache (Sprechweise) ist gewissermaßen ineffabile, unaussprechlich. Diesem Spruch widerspricht auch nicht, dass es kaum einen Schauspieler des deutschen Sprachraumes geben wird, der so sehr zur Nachahmung reizt und gereizt hat wie gerade er. Sein populärster, sozusagen professioneller Imitator ist sicherlich der Schauspieler, Sänger und Entertainer Peter Alexander. Aber man trifft heute noch landauf, landab auf ambitionierte und erstaunlich routinierte Nachäffer.
Am nächsten mag Moser an Attraktivität vielleicht der „binnendeutsch“sprechende und der sogenannten Standardvarietät verpflichtete Theo Lingen gekommen sein, mit dem er ja einige Male ein kurioses Kontrastpaar gebildet hat, vor allem in dem Film „Jetzt schlägt’s 13!“, wo der Diener Max (Lingen) vom Diener Ferdinand (Moser) abgelöst wird. Moser–Lingen, dieses Paar entspricht ganz dem oft beschriebenen und dargestellten Kontrast Norddeutsch–Süddeutsch, wie er etwa bereits bei Ludwig Thoma („Lausbubengeschichten“) thematisiert worden ist. Eine unerschöpfliche Quelle für Sprachkomik! Es wäre freilich eine Frage, wer von den beiden, Moser oder Lingen, sich vom Standard, also der abstrakten und idealen Norm, weiter entfernt hat, denn auch die Sprache Lingens, extrem grundiert von einem unorthodoxen Näseln, war so gesehen alles andere als normgerecht. Ein eigenes Verbum für Sprechen wie Lingen, also etwa „lingen“, ist mir aber nicht bekannt. Und das mag nicht nur daran liegen, dass der Name Lingen bereits wie ein Verbum aussieht und klingt.
Hat Lingen alle Vokale so gesprochen, als stünden sie vor einem Nasal (m oder n oder dem Gutturalnasal ng), hat Lingen also „genäselt“, so hört man von Hans Moser oft, wenn man sein Sprechen gewissermaßen pathologisiert und zu einem Fall für den Logopäden macht („Pathologia illustrat physiologiam“, heißt es in der Sprachpsychologie des Friedrich Kainz), Moser also habe genuschelt. Für „nuscheln“vermerkt das Herkunftswörterbuch des Dudens: „undeutlich reden“. Das trifft zwar sicher für viele seiner Monologe und Dialogbeiträge in Filmen zu, terminologisch punktgenau ist dieser Terminus technicus aber nicht, da fehlt es an Semantik. Etymologisiert man aber das Wort nuscheln, dann ergräbt man als Etymon das Wort Nase, und es erweist sich als ein Synonym für näseln. Versöhnt man das Interpretamentum und das Etymon, Bedeutungsangabe und Wurzel, so ergibt sich „undeutlich, weil sehr oder zu nasal sprechen“. Damit hat man vielleicht doch wieder eher die Eigenart Lingens und kaum oder weniger diejenige Mosers beschrieben. – Werden wir doch einmal konkret und denken wir an die wohl allerpopulärste Sequenz im Werk Mosers, den Kisten-Sketch im Film „Hallo Dienstmann“(1952, Regie: Franz Antel), der immer und immer wieder nachgespielt, zitiert oder imitiert wird („Der Mann ist zu schwach“). In der von Kinowelt Home Entertainment vertriebenen Version kommt sie allerdings so, wie sie sozusagen als „Hörspiel“oft wiedergegeben wird, nicht vor.
Sie ähnelt freilich einer Szene im Film, jener Schlüsselstelle, wo der Dienstmann Anton Lischka (Hans Moser) seinen vermeintlichen Kollegen, den Professor Ferdinand Godai (Paul Hörbiger), der in einer Operettenaufführung („Hallo Dienstmann“) einen solchen spielt, zu Hilfe ruft, damit er ihm an dem schweren Gepäck der am Südbahnhof eingetroffenen Professorin Brandstätter behilflich sei. In beiden Fällen resultiert die Sprach- und Sprechkomik aus jenen Misslichkeiten, die dem Lischka vor allem daraus entstehen und erwachsen, dass er seine angestammte Mundart aus Rücksicht auf seine Kundschaft, also adressatenbezogen, verlässt und sich in gehobener Umgangssprache oder gar Hochsprache versucht. Er erreicht aber natürlich nicht das Hochdeutsche, sondern allenfalls das „Hachdeutsche“. Dieses ist bekanntlich ein mundartkundlicher Ausdruck für das sogenannte hyperkorrekte Hochdeutsch, weil aus dem vermeintlich mundartlich verdumpften A (O) eben auf „hach“für hoch verfallen wird.
Derartige „falsche Reihenschritte“, wie es der Dialektologe Anton Pfalz genannt hat, kommen bei Moser häufig vor, sicher auch an manchen Stellen, wo dies vom Drehbuch nicht vorgesehen war. Moser hatte diese „lächerliche“Art zu fallieren, gewissermaßen im Programm, war auf diesen Fehler konditioniert. (Da derartiges oft im Drehbuch nicht vorgesehen war, hat er auf diese Weise oft die Mitspieler, Schauspielerkolleginnen und -kollegen, in Verlegenheit gebracht, wovon viele Anekdoten künden . . .) So wird auf „Hachdeutsch“etwa aus interessant ein „unteressant“(weil das anlautende I irrtümlich für ein entrundetes Ü gehalten wird).
Eine andere unerschöpfliche Quelle, aus der Sprachkomik erfließt, sind die Fremdwörter. Fremdwörter sind bei Lischka-Moser wirklich Glückssache. So spricht er in der Szene mit Frau Professor Brandstätter von „Karolien“im Zusammenhang mit der Kraft, die ein Dienstmann für seine harte Arbeit braucht. Er meint natürlich Kalorien, der Anklang an den Mädchennamen Karolin und überhaupt die häufigen Schwierigkeiten mit R und L („palarell“statt parallel) führen und verführen ihn auf die falsche Spur. Es ist rührend, wie ihm der falsche Kollege Godai professoral gewissermaßen das falsche Wort ausbessert. Damit verrät der sich nicht nur als gebildet und besserwissend, sondern auch als einer, der bei der jungen Kollegin Brandstätter, die ihm ins Auge sticht, Eindruck machen will. Damit sticht er den Arbeitskollegen sozusagen aus, obwohl hier freilich sein alkoholisierter Zustand einem größeren Erfolg im Wege steht.
Verballhornt wird auch das Wort Konzession („konzessioniertes Gewerbe“). Ist es bei den „Karolien“die Fremdkorrektur durch den Kollegen, so ist es noch häufiger die erwähnte Autokorrektur, die auch zum Registerwechsel führt. So schimpft Lischka-Moser bei einer Gelegenheit in „Hallo Dienstmann“emotional und unbeherrscht mit dem Wort „Kas“, um sich gleich anschließend selbst zur Ordnung zu rufen und mit der Autokorrektur „Käse“auf die höhere Etage zu kommen. Genaugenommen existiert aber der Ausdruck für etwas Schlechtes mundartlich nur als „Kas“. Mosers „Käse“ist zwiefach komisch. Wer wirklich hochdeutsch spricht, der hat, was das Wortethos betrifft, andere, sozusagen feinere Möglichkeiten zu schimpfen . . . In einem denkwürdigen Fall misslingt die Verhochsprachlichung respektive die Autokorrektur jedoch. Lischka erklärt der Frau Professor Brandstätter, warum er die schwere Kiste so und nicht anders auf seinem Handwagen positioniert, und erwähnt die Schwachstelle an seinem Gefährt, das eine vordere Rad, das locker sitzt und die Neigung hat, „iba d’ Schreamsn“abzulaufen. Die Frau Professor fragt ratlos nach dem Sinn von „Schreamsn“und bringt den Dienstmann zum Stottern und ins Schwitzen.
Hier liegt der Fall offensichtlich nicht so einfach wie im Fall von „Kas“und „Käse“. Das mundartliche Wort „Schreamsn“existiert in der Hochsprache nicht. Der Mundartkundler lemmatisiert das Wort bekanntlich als Schremse, die Diphthongierung von E zu EA ergibt sich aus dem folgenden Nasal. Das ist, so gesehen, guter Wiener Brauch.
QSchrems für quer ist aber geografisch restringiert auf das Bairisch-Österreichische, wie die Wörterbücher ausweisen (Maria Hornung, „Wörterbuch der Wiener Mundart“, S. 665; Andreas Schmeller, „Bayerisches Wörterbuch“, 2,601). Außerdem ist es sicherlich auch sozial restringiert, denn die feine Brandstätter hat den Begriff nicht einmal in ihrem passiven Wortschatz. So wird die Verzweiflung Lischka-Mosers plausibel, resigniert verzichtet er auf eine umständliche Paraphrase.
Ähnlich ergeht es ihm im weiteren Verlauf des Sketches, in dem er mehr im Selbstgespräch und laut denkend sagt, er werde dem großen Gepäckstück, dem schweren Koffer, nun „krowodisch“kommen, was die bundesdeutsche Kundin ratlos macht. Das Wort kroatisch, um es standardsprachlich zu lemmatisieren, hat eine reiche semantische Tiefe. An der fraglichen Stelle bedeutet es so viel wie „von hinten“, „mit einem Kniff“oder mit dem sogenannten „Vorteil“. Dienstmänner haben eben eine unorthodoxe und verblüffende Methode, unter Ausnutzung der Hebelgesetze (Kraft mal Kraftarm ist gleich Last mal Lastarm) schwere Koffer zu schultern. Natürlich meldet sich in dem Wort auch die Nationalitätenproblematik der Monarchie, wie ja alle Völkernamen im Vielvölkerstaat im jeweils anderen Staatsgebiet als Schimpfnamen notierten. Das Schlaue ist zugleich immer anrüchig.
Das Schweigen Lischka-Mosers angesichts der Ignoranz seiner Kunden ist aber alles andere als eine Leerstelle, dieses Schweigen ist buchstäblich beredt. So ist Hans Moser überhaupt nicht nur ein Rhetorikkünstler und ein Rhetor sui generis, wenn er spricht, sondern vor allem ein grandioser Meister des Nonverbalen, des Pantomimischen und Gestischen. Er kann auf vielerlei Art verstummen und schweigen, empört, resigniert, belustigt sein. Mosern bedeutet vor allem, nicht nur die Rhetorik des Verhaspelns, sondern noch mehr die Rhetorik des Schweigens zu beherrschen.
Hans Moser, der Linguist! Ein eigenes Kapitel der Moserschen Sprachbetrachtung, also der Reflexion auf sein Sprechen, bietet „Liebe ist zollfrei“(1941, Regie: E. W. Emo). Dieser Film strotzt in zeittypischer Nazi-Manier vor zynischen Seitenhieben auf die parlamentarische Demokratie. Politiker werden als durch und durch korrupte Kerle gezeigt, Österreich als Land befindet sich dauernd am Rande des Bankrotts, hoffnungslos überfremdet mit Ausländern. Moser hat aber die Lacher immer noch auf seiner Seite, denn hier wird gewissermaßen nicht nur objektsprachlich, sondern auch metasprachlich „agiert“. Er spielt den Zollinspektor Lorenz Hasenhüttl, der seinen Dienst in der österreichisch-schweizerischen Grenzstation Feldkirch in Vorarlberg versieht, und spricht freilich nicht Alemannisch; im Gegenteil, er macht sich darüber, das heißt über das Schwayzerdütsch, lustig, bezeichnet seine Kollegen dementsprechend als „GrüezziBrüder“und wird dabei auch noch herrschende Ressentiments gegen den neutralen Staat los. Moser gibt eher einen Wiener, den es ins Ländle verschlagen hat.
Das legt auch die Wiedersehensfreude mit dem Portier des Wiener Finanzministeriums als einem alten Kriegskameraden nahe („Servus Haserl, altes Hütterl!“). Als Mann des Zolls tut er sich etwas zugute auf seine Sprachenkenntnisse, widerlegt aber durch kuriose Beispiele in Englisch (gegenüber einer Amerikanerin, die einen Papagei einführen will) und Französisch die von ihm behaupteten Kompetenzen wieder. Diese Dialoge in fremden Sprachen sind nicht einfach nur absurd, sie verhöhnen Fremdsprachenkenntnisse prinzipiell. Dabei spricht Hasenhüttl-Moser jenes österreichische Englisch, das man heute noch häufig in Zügen der Österreichischen Bundesbahn vonseiten der Schaffner über die Lautsprecher zu hören bekommen kann. Es handelt sich im Wesentlichen auch um jenes Englisch, das Ernst Jandl, der Englischlehrer und Konkrete Poet, in einigen Lautgedichten ironisch zelebriert.
So wie Moser sprachlich alle Grenzen überschreitet und niederrennt, so sorgt er auch als Amtsleiter im Dienst für heillose Verwirrungen, weil er es einmal mehr darauf ankommen lässt, das Gesetz selbst in die Hand zu nehmen. Harmonisch und rührend ist aber nach dem fulminanten Chaos das Ende, eben ein Happy End. Zu dem verliebten Schweizer Diplomaten Hürliman und seiner halbseidenen Freundin sagt der nun beförderte Zolloberinspektor, ihre „Lichter“würden wunderbar leuchten wie bei Reh und Bock. Und zu dem darob verblüfften Hürliman sagt der Linguist Moser erklärend: „So sagt der Volksmund.“