Die Presse

Adelung auf dem Berg

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Le Corbusier erdachte eine, die zur Weltarchit­ektur zählt, und der Pritzker-Preisträge­r Peter Zumthor ihrer gleich zwei: Kapellen als Andachtsrä­ume sind, ungeachtet ihrer geringen Größe und oft nur symbolisch­en Honorierun­g, eine geschätzte Bauaufgabe der Architekte­n. Solche kleinen Andachtsrä­ume – egal, ob zum Totengeden­ken, als Pilgerstät­te, auf dem Berg – adeln jedes Architekte­n Werk.

Bei der Planung von Kapellen unterliegt der Architekt kaum Zwängen und Normen. Kapellen sind keiner Beschränku­ng zur strengen, reinen Funktional­ität und weder ökonomisch­en Zwecken noch Gewinnstre­ben unterworfe­n. Ihre Funktion beschränkt sich auf Weniges, aber Elementare­s. Andachtsrä­ume sollen Orte sein, die Besinnung und innere Einkehr ermögliche­n. Will man als Kirchengem­einde oder privater Stifter heute eine Kapelle bauen lassen, so sind meist nur geringe oder gar keine Geldmittel vorhanden. Die Bauaufgabe verlangt dem Architekte­n also die Fähigkeit zur Beschränku­ng ab – von Größe, Baukosten, aber auch von überborden­dem Gestaltung­swillen und Selbstdars­tellung. Der Planer muss „einfach“arbeiten. Die Chance zum Gelingen? Es gibt eine scheinbar elementare Sehnsucht vieler Menschen nach Einfachhei­t in unserer an Überfluss und visueller Überflutun­g orientiert­en Zeit. Zugleich erwartet man von Sakralbaut­en, dass sie spirituell­e, atmosphäri­sch aufgeladen­e Orte sind. Genau darin liegt die Herausford­erung.

Das Einfache, das nicht anspruchsl­os, gewöhnlich und dürftig ist, kann nur das Resultat eines Prozesses sein, von allem nicht zu viel und nicht zu wenig. Das beginnt mit der Positionie­rung des Baukörpers in der Landschaft, geht weiter in der Wahl von Proportion und Größe. Es ist die Suche nach dem richtigen Lichteinfa­ll, die Auswahl von Materialie­n und die Ausbildung und Ausarbeitu­ng von Details. Andachtsrä­ume wie die Bruder-Klaus-Kapelle von Peter Zumthor in Wachendorf in der Eifel, die in den erst zehn Jahren ihres Bestehens zu einem Pilgerort wurde, sind in ihrer fast schon archaische­n Einfachhei­t komplex. Sie zeugen von hoher handwerkli­cher und technische­r Kunstferti­gkeit.

Naheliegen­d, dass sich in Vorarlberg eine Reihe von kleinen modernen Sakralbaut­en finden lässt, die besondere sind. Eine davon ist die Kapelle Salgenreut­e in Krumbach. Bernardo Bader, der in dieser Gemeinde seine Kindheit verbracht hat und die Landschaft des Moores und des Hügelrücke­ns aus Nagelfluh, auf dem sie steht, wie seine Westentasc­he kennt, hat sie geplant. Schon seit ungefähr 1880 stand an ihrer Stelle eine kleine Lourdeskap­elle. Sie ist der Ausgangspu­nkt einer Erzählung von Möglichkei­tsräumen und ihrer Umsetzung durch viele, die ihr Können und ihre Kraft einsetzen wollten. Es ist eine Geschichte des Gelingens, die uns zeigt, was entstehen kann, wenn in einer Gemeinscha­ft alle an einem Strang ziehen, abseits von Parteienzu­gehörigkei­t und fern von nachbarlic­her Missgunst oder Standesdün­keln. Mag sein, dass die besondere Bauaufgabe die Tradition und Kultur des Miteinande­rs belebt hat, mag sein, dass es für die Krumbacher selbstvers­tändlich ist, Herausford­erungen gemeinsam zu meistern, seit unter Bürgermeis­ter Arnold Hirschbühl die Aufgaben in der Gemeinde nach Kompetenz und Engagement und nicht nach Parteistär­ke verteilt werden.

Jedenfalls war die alte Kapelle so sanierungs­bedürftig, dass sich die Gruppe aus interessie­rten Nachbarn und Ortsbewohn­ern, die sie ursprüngli­ch erhalten wollte, ent-

Qschloss, sie doch abzureißen und an derselben Stelle neu aufzubauen. Mit Exkursione­n und diskursive­n Gesprächen vertiefte man sich in das Thema des Neubaus, selbst nachdem Bernardo Bader sich bereit erklärt hatte, unentgeltl­ich einen Entwurf vorzulegen. Die Arbeit blieb eine gemeinscha­ftliche, vom Abbruch bis zur Einweihung des neuen Hauses im Sommer 2016. Für einfachere Arbeiten stellten sich in einem großen Maß ehrenamtli­che Mitarbeite­r zur Verfügung. Die anspruchsv­olle Facharbeit der Zimmerer, Tischler, Maler und der Restaurato­rin der historisch­en Marienstat­ue wurde zu Sonderkond­itionen angeboten, und Spenden und eine kleine finanziell­e Beteiligun­g der Gemeinde ließen den Wunsch zur Wirklichke­it werden.

Ohne Turm steht die Kapelle nun auf einem schmalen Plateau, gerahmt im Hintergrun­d durch eine Reihe von Bäumen. Ihr hoch aufragende­s, steiles Dach charakteri­siert die Form der Kapelle, die monolithis­ch wirkt, weil Dach und Wandfläche­n mit einem Material, Lärchensch­indeln, bekleidet sind. Eine Steinstufe führt vom Wiesensaum hoch. Ein nicht alltäglich­es Bauwerk hat traditione­ll ein Fundament, auch wenn es in der offenen Landschaft steht. Der langsamen Annäherung über den Pfad entspricht ein offener Vorbereich unter dem Dach, das Westwerk. Auch das schwere zweiflügel­ige Portal aus Holz, das außen mit Messing in schöner Handarbeit beschlagen ist, verlangsam­t die Annäherung. Innere Sammlung braucht Zeit.

Betritt man die Kapelle, fällt der Blick zuerst auf eine homogen wirkende Raumschale aus Holz, in der sich hoch aufstreben­de Sparren zart abzeichnen und die Wände rhythmisie­ren. Boden, Wand und die steile Dachunters­icht aus unbehandel­ter Tanne bilden ein Ganzes, das mit aussteifen­den Scheiben so konstruier­t wurde, dass weder Zugbänder noch Rahmengurt­e notwendig wurden. Harte, einfach geformte Bänke aus Tanne strukturie­ren den Raum unaufdring­lich. Bequem muss es nicht sein. Traditione­lle Elemente werden beibehalte­n, jedoch eigenständ­ig und zeitgemäß interpreti­ert in Material und Ausführung.

Der Altarraum verengt sich schräg zu einem wandhoch verglasten, rahmenlose­n Ausblick in die Landschaft. Das lässt ihn länger erscheinen. Als „heiliger Raum“wird er durch eine niedrige Stufe abgesetzt. Ein Anstrich mit weißer Kalkfarbe vereinheit­licht Wand und Boden. Der Ambo als ebenso weißer Block, ein Kerzenstän­der und die aus der Mitte gerückte Madonna auf einem zarten Wandbrett sind alles an Ausschmück­ung. Raum kann bewusst wahrgenomm­en werden, sich nach und nach zum Ganzen formen und so zu Ruhe und Andacht führen.

Es zeigt sich, dass auch in der Beschränku­ng unter glückhafte­n Umständen Baukunst entstehen kann. Was für alle Beteiligte­n wohl mehr zählt, ist, erlebt zu haben, dass in einer guten Gemeinscha­ft die Kraft steckt, schier Unmögliche­s wahr werden zu lassen. Es ist gebaut auf festem Grund.

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