Die Presse

Wenn uns die Arbeit ausgeht

Vision. Roboter, Algorithme­n und künstliche Intelligen­z lassen viele Angst um ihren Job haben. Zukunftsfo­rscher Franz Kühmayer macht sich Gedanken zum Tag der Arbeit.

- VON ANDREA LEHKY

Wir stehen nicht am Anfang der vierten industriel­len Revolution, wir sind mittendrin. Zu dieser Erkenntnis kommt nicht nur Zukunftsfo­rscher Franz Kühmayer, sie war auch Ausgangspu­nkt des 4 Gamechange­rs Festival, das diese Woche in Wien stattfand (mehr dazu auf Seite K3). Anders als die früheren drei industriel­len Revolution­en (ausgelöst durch Dampfmasch­ine, Fließband und PC) ist diese komplexer, weil viele Bereiche gleichzeit­ig umbrechen. „Eine Lawine in Zeitlupe“, nennt Kühmayer sie, „die niemand aufhalten kann.“Zum Tag der Arbeit macht er sich Gedanken über eine Welt ohne Arbeit, wie wir sie kennen.

Bildung schützt nicht mehr

Die früheren industriel­len Revolution­en hatten eine Gemeinsamk­eit: Bildung bewahrte den Einzelnen vor Schaden. Auf der Bildungsle­iter nach oben zu klettern war immer eine sichere Methode, drohendem Jobverlust zu entkommen, sagt Kühmayer. Diese Regel gilt nicht mehr. Weder können wir schneller und besser denken als Maschinen noch schneller und besser lernen als Algorithme­n. Nicht nur der Wert der Bildung an sich, auch die Halbwertsz­eit einer berufliche­n Qualifikat­ion befindet sich im freien Fall. Die beste Gegenstrat­egie ist, nicht nur Fachwissen (wie unbedingt nötige IT- und Programmie­rkenntniss­e) zu erwerben, sondern auch die Kompetenze­n des 21. Jahrhunder­ts: kritisches sowie unternehme­risches Denken, Kommunikat­ion, Kreativitä­t und Initiative.

Was macht uns zu Menschen?

Digitale Systeme und künstliche Intelligen­z nehmen uns nicht nur die niedrig qualifizie­rten Tätigkeite­n ab, sondern auch die intelligen­ten. Kein Grund zur Sorge, findet Kühmayer: Sie treiben uns aus der Erwerbsarb­eit hinaus und damit in der Evolution nach oben. Da der Mensch ein soziales und kreatives Wesen ist, wird er sich auf soziale und kreative Tätigkeite­n verlegen. Gesellscha­ftlich wertvolle verbleiben­de Berufe wie die des Krankenpfl­egers und des Lehrers werden aufgewerte­t. Die Freude an der Tätigkeit wird steigen, die Gesellscha­ft Arbeit neu bewerten: „Uns geht nämlich nicht die Arbeit aus, sondern maximal die bezahlte Erwerbsarb­eit, wie wir sie heute kennen.“

Wie der Wandel gelingen kann

IIDrei Fragen, meint Kühmayer, müssen vorab geklärt werden.

Wer soll von der Digitalisi­erung profitiere­n? Noch führe kein Weg an den Gafa-Giganten (Google, Apple, Facebook, Amazon) vorbei. Ziel müsse sein, die Produktivi­tätsvortei­le in der Region zu halten und der Gesellscha­ft zukommen zu lassen. Wer schützt uns? Niemand. Die Unternehme­n widmen sich der Digitalisi­erung aus wirtschaft­lichen

IGründen intensivst. Die Politik hinkt weit nach. Kühmayer: „Der Geschwindi­gkeitsunte­rschied kann fatal sein.“Der Einzelne könne nur sein Wissen auf dem aktuellste­n Stand halten, die genannten Kompetenze­n erwerben und schärfen. Wie entkoppelt man Arbeit von Einkommen, Sozialleis­tung und -abgaben? Wenn Roboter unsere Arbeit übernehmen, sollen sie auch unsere Steuern zahlen und uns ein bedingungs­loses Grundeinko­mmen sichern, meint Kühmayer. Doch das greift ihm zu kurz: Konsequent weitergeda­cht spiele Geld in der Ökonomie der Zukunft keine Rolle mehr. Und eines Tages, hofft er, werden wir Arbeitslos­igkeit nicht mehr bekämpfen, sondern die wenigen, die noch arbeiten „müssen“, befreien: „Erst dann ist der 1. Mai ein richtiger Feiertag.“

 ?? [ Pixabay ] ?? Wer nicht mehr arbeiten muss, kann sich auf soziale und kreative Tätigkeite­n verlegen, sagt Kühmayer.
[ Pixabay ] Wer nicht mehr arbeiten muss, kann sich auf soziale und kreative Tätigkeite­n verlegen, sagt Kühmayer.

Newspapers in German

Newspapers from Austria