Wenn uns die Arbeit ausgeht
Vision. Roboter, Algorithmen und künstliche Intelligenz lassen viele Angst um ihren Job haben. Zukunftsforscher Franz Kühmayer macht sich Gedanken zum Tag der Arbeit.
Wir stehen nicht am Anfang der vierten industriellen Revolution, wir sind mittendrin. Zu dieser Erkenntnis kommt nicht nur Zukunftsforscher Franz Kühmayer, sie war auch Ausgangspunkt des 4 Gamechangers Festival, das diese Woche in Wien stattfand (mehr dazu auf Seite K3). Anders als die früheren drei industriellen Revolutionen (ausgelöst durch Dampfmaschine, Fließband und PC) ist diese komplexer, weil viele Bereiche gleichzeitig umbrechen. „Eine Lawine in Zeitlupe“, nennt Kühmayer sie, „die niemand aufhalten kann.“Zum Tag der Arbeit macht er sich Gedanken über eine Welt ohne Arbeit, wie wir sie kennen.
Bildung schützt nicht mehr
Die früheren industriellen Revolutionen hatten eine Gemeinsamkeit: Bildung bewahrte den Einzelnen vor Schaden. Auf der Bildungsleiter nach oben zu klettern war immer eine sichere Methode, drohendem Jobverlust zu entkommen, sagt Kühmayer. Diese Regel gilt nicht mehr. Weder können wir schneller und besser denken als Maschinen noch schneller und besser lernen als Algorithmen. Nicht nur der Wert der Bildung an sich, auch die Halbwertszeit einer beruflichen Qualifikation befindet sich im freien Fall. Die beste Gegenstrategie ist, nicht nur Fachwissen (wie unbedingt nötige IT- und Programmierkenntnisse) zu erwerben, sondern auch die Kompetenzen des 21. Jahrhunderts: kritisches sowie unternehmerisches Denken, Kommunikation, Kreativität und Initiative.
Was macht uns zu Menschen?
Digitale Systeme und künstliche Intelligenz nehmen uns nicht nur die niedrig qualifizierten Tätigkeiten ab, sondern auch die intelligenten. Kein Grund zur Sorge, findet Kühmayer: Sie treiben uns aus der Erwerbsarbeit hinaus und damit in der Evolution nach oben. Da der Mensch ein soziales und kreatives Wesen ist, wird er sich auf soziale und kreative Tätigkeiten verlegen. Gesellschaftlich wertvolle verbleibende Berufe wie die des Krankenpflegers und des Lehrers werden aufgewertet. Die Freude an der Tätigkeit wird steigen, die Gesellschaft Arbeit neu bewerten: „Uns geht nämlich nicht die Arbeit aus, sondern maximal die bezahlte Erwerbsarbeit, wie wir sie heute kennen.“
Wie der Wandel gelingen kann
IIDrei Fragen, meint Kühmayer, müssen vorab geklärt werden.
Wer soll von der Digitalisierung profitieren? Noch führe kein Weg an den Gafa-Giganten (Google, Apple, Facebook, Amazon) vorbei. Ziel müsse sein, die Produktivitätsvorteile in der Region zu halten und der Gesellschaft zukommen zu lassen. Wer schützt uns? Niemand. Die Unternehmen widmen sich der Digitalisierung aus wirtschaftlichen
IGründen intensivst. Die Politik hinkt weit nach. Kühmayer: „Der Geschwindigkeitsunterschied kann fatal sein.“Der Einzelne könne nur sein Wissen auf dem aktuellsten Stand halten, die genannten Kompetenzen erwerben und schärfen. Wie entkoppelt man Arbeit von Einkommen, Sozialleistung und -abgaben? Wenn Roboter unsere Arbeit übernehmen, sollen sie auch unsere Steuern zahlen und uns ein bedingungsloses Grundeinkommen sichern, meint Kühmayer. Doch das greift ihm zu kurz: Konsequent weitergedacht spiele Geld in der Ökonomie der Zukunft keine Rolle mehr. Und eines Tages, hofft er, werden wir Arbeitslosigkeit nicht mehr bekämpfen, sondern die wenigen, die noch arbeiten „müssen“, befreien: „Erst dann ist der 1. Mai ein richtiger Feiertag.“