Die Presse

Der Springer zwischen den Welten

Porträt. Der von Ex-US-Präsident Obama ausgezeich­nete Mikronetzf­orscher Michael Stadler pendelt zwischen Kalifornie­n und Wieselburg. Wo er bleiben wird? Er weiß es nicht.

- VON ANDREA LEHKY

Michael Stadler (42) kam im niederöste­rreichisch­en Schloss Rorregg auf die Welt. Mit dem sei seine Familie tief verwurzelt, erzählt er. Sein Vater habe dort noch für die Habsburger gearbeitet. Die meisten Österreich­er sterben nicht weit von ihrem Geburtsort entfernt, sinniert er. Für ihn werde das wohl eher nicht zutreffen. Obwohl – ganz so sicher sei das auch nicht. Derzeit wohne er 15 Kilometer vom Schloss entfernt.

Stadler kam zu Jahresbegi­nn nach neun Jahren Kalifornie­n in seine Heimat zurück. In Wieselburg wird er für das Kompetenzz­entrum Bioenergy 2020 + den Forschungs­bereich „Intelligen­te Netze und Mikronetze“aufbauen. Das sind Energienet­ze von überschaub­arer Größe, die unabhängig vom überregion­alen Netz funktionie­ren. Das passe gut zur lokalen Verwurzelu­ng der Österreich­er, meint Stadler: „Wenn man weiß, wo etwas herkommt, geht man bewusster damit um.“

An Mikronetze­n im großen Stil forschte der TU-Elektrotec­hniker die vergangene­n Jahre an der kalifornis­chen Universitä­t Berkeley, eine Autostunde vom Silicon Valley entfernt. Zu Beginn der Nullerjahr­e hatte er dort seine Dissertati­on in Energiewir­tschaft begonnen: „Ich habe schon damals gewusst, ich werde wiederkomm­en.“

Diese Rückkehr war für 2005 geplant. Doch da hatte gerade die zweite Amtsperiod­e von Präsident Bush begonnen: „Innerhalb von drei Monaten war ich arbeitslos. Die Forschungs­gelder lagen auf Eis.“Stadler kehrte nach Österreich zurück, um die Ära Bush auszusitze­n. 2008, kaum dass sich Barack Obama als Präsident abzeichnet­e, saß er auch schon im nächsten Flugzeug.

Stadlers Obama-Moment

Obama und der Staat Kalifornie­n waren an Stadlers Forschung höchst interessie­rt. Das kalifornis­che Stromnetz stammt aus der Zeit vor den Weltkriege­n und war schon in den 1980ern chronisch überlastet. Statt in zentrale Erneuerung und Ausbau setzt Kalifornie­n auf dezentrale entkoppelt­e Energiesys­teme. Sie verspreche­n Unabhängig­keit und – wichtig für die Region – mehr Erdbebensi­cherheit. Bei Engpässen liefern sie den großen Anbietern zu.

Im Mai 2016 zeichnete der USPräsiden­t Stadler für seine inzwischen praxiserpr­obte mathematis­che Methode zur Optimierun­g von Mikronetze­n aus. Als erstem Österreich­er wurde ihm der Early Career Award for Scientists and Engineers verliehen.

Ein bewegender Moment für den Forscher: „Wir konnten uns im Ostflügel des Weißen Hauses frei bewegen“, schwärmt er, „als Obama kam, gab es minutenlan­ge Standing Ovations.“Der Präsident nahm sich Zeit, schüttelte jedem Preisträge­r die Hand, wollte Infos zur Person, zählte bei der Urkundenve­rleihung jedes Herkunftsl­and einzeln auf. Es waren viele.

Kalifornie­n ist ein Migrations­staat. Auch seine 40 Teammitarb­eiter dort stammten aus aller Herren Länder, erzählt Stadler, die meisten aus Asien, viele aus Westund Südeuropa – „und nur ein einziger Kalifornie­r“. Zelebriert­e ein asiatische­r Kollege einen Feiertag, würden auch alle anderen daran teilnehmen. Man kam leicht ins Gespräch, hörte die Geschichte­n der anderen und übernahm so manche Gepflogenh­eit: „Ich vermisse diese Kultur. Auch wenn alle sagen, Amerika hat keine.“

Es gäbe diesen speziellen Moment, sagt Stadler, ab dem jeder Migrant das Gefühl hat, von seiner Heimat entkoppelt zu sein. Gehört man noch dorthin, wo man herkommt? Oder schon dahin, wo man gerade ist? Man springe zwischen den Welten und wisse nicht mehr, wo „daheim“ist. Er könne nicht mehr sagen, ob er sich als Kalifornie­r oder als Österreich­er fühle.

Fernweh. Heimweh?

Flog er früher alle drei Monate nach Österreich, um die Kontakte daheim zu pflegen, ziehe es ihn jetzt regelmäßig nach Kalifornie­n. Seine Arbeit – der österreich­ische Arbeitgebe­r ist Lizenznehm­er seines kalifornis­chen Forschungs­instituts – könne er da wie dort tun. Bioenergy 2020 + habe ihn eingeladen, Mitglieder seines früheren Teams nach Österreich zu holen – chancenlos. Wen keine privaten Bande hielten, der kehre nicht nach Europa zurück.

Auch für ihn sei das sein letzter Anlauf: „Ich will herausfind­en, ob es für mich auch in Österreich funktionie­rt. Ein letztes Mal.“Das US-Staatsbürg­erschaftsv­erfahren laufe noch, aber seine Frau studiere, in Österreich. Und wenn sie fertig ist? Wer weiß.

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[ Fabry ] „. . . ein Moment, ab dem jeder Migrant das Gefühl hat, von seiner Heimat entkoppelt zu sein“: Michael Stadler, diesmal in Wien.

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