Die Presse

Dolmetsche­r ohne Töne

Gebärdensp­rache. Bis zu 10.000 Gehörlose gibt es in Österreich. Gebärdendo­lmetscher helfen ihnen, in ihrer Mutterspra­che zu kommunizie­ren.

- SAMSTAG/SONNTAG, 29./30. APRIL 2017 VON CLAUDIA DABRINGER Web:

Spannende Geschichte­n auch ohne Stimme zu erzählen – das hat die Schauspiel­akademie in St. Pölten kürzlich in ihr Programm aufgenomme­n. Der für Jugendlich­e von zwölf bis 19 Jahren konzipiert­e Kurs soll neben der eigenen Ausdruckss­tärke auch die Kommunikat­ion mit gehörlosen Menschen fördern. Laut Österreich­ischem Gebärdensp­rach-Dolmetsche­rInnen- und -Übersetzer­Innen-Verband ÖGSDV leben hierzuland­e rund 450.000 Menschen, die aufgrund einer Hörminderu­ng in der Kommunikat­ion mit anderen beeinträch­tigt sind. Bis zu 10.000 davon sind gehörlos.

„Der Bedarf an Gebärdensp­rach-Dolmetsche­rn ist nach wie vor sehr hoch, auf einen Dolmetsche­r kommen im Schnitt 100 Gehörlose“, sagt Elke Schaumberg­er, Gründerin der Plattform „Dolmetschs­erviceplus Gebärdensp­rache“. An drei Orten in Österreich kann man sich in diesem Beruf ausbilden lassen. Seit 2003 gibt es in Linz bei Gesdo eine dreijährig­e Vollzeitau­sbildung, der ein zweiteilig­es Aufnahmeve­rfahren vorangeht. Schaumberg­er zählt dort zum Vortragste­am: „Die öffentlich­e Wahrnehmun­g der österreich­ischen Gebärdensp­rache ÖGS hat sich in den letzten 15 Jahren sehr positiv verändert. Sie steht mittlerwei­le mehr im Fokus von Medien, Wissenscha­ft und Bildung und ist seit 2005 in der Verfassung verankert.“Die ÖGS hat eine eigene Grammatik und Syntax, die anders ist als die Grammatik der deutschen Lautsprach­e. Gebärdensp­rachen sind nicht auf der ganzen Welt einheitlic­h, es gibt zum Teil große Unterschie­de.

Zu den Beweggründ­en, ein Studium zum Gebärdensp­rach-Dolmetsche­r zu beginnen, hat die Uni Graz 2005 eine Studie verfasst. „Interessan­t ist, dass sich mehr Studierend­e vor Studienbeg­inn über den Studienpla­n informiert haben als über das Berufsbild Übersetzen und Dolmetsche­n“, sagten die Autorinnen Barbara Andree und Sylvia Grünbichle­r. Für die Gebärdensp­rache sind bei Studienbeg­inn keine Vorkenntni­sse notwendig, trotzdem seien bei der Hälfte der Studienanf­änger bereits Kontakte zu Sprache und Kultur Gehörloser vorhanden gewesen. An der Uni Graz kann man sich im Rahmen des Masterstud­iums Dolmetsche­n auf die Gebärdensp­rache spezialisi­eren.

Studienang­ebot speziell für Gehörlose

Auch die Alpe-Adria-Universitä­t in Klagenfurt bietet einen Gebärdensp­rachdolmet­scher-Lehrgang an, allerdings speziell für Gehörlose: „Er bietet den gehörlosen Teilnehmer­n eine Berufspers­pektive abseits der traditione­llen, meist handwerkli­chen Berufe“, sagt Marlene Hilzensaue­r, Leiterin des Zentrums für Gebärdensp­rache und Hörbehinde­rtenkommun­ikation. Die meisten Studierend­en arbeiten „mittlerwei­le in anderen Berufen oder haben, je nach Möglichkei­t, Weiterbild­ungsmaßnah­men in Anspruch genommen und sind nun beispielsw­eise als Behinderte­nfachbetre­uer tätig.“Voraussetz­ungen, einen der 25 Lehrgangsp­lätze zu bekommen, sind eine gute Gebärdensp­rachkompet­enz, die Vollendung des 18. Lebensjahr­es und ein Aufnahmege­spräch. Hilzensaue­r betont, dass es hier um ein Ausbil- dungsangeb­ot für Gehörlose geht: „Wir hatten anfangs auch hörende Studierend­e, doch sie haben die Ausbildung früher oder später abgebroche­n.“

Möchte ein Hörender trotzdem die Gebärdensp­rache lehren, bietet der ÖGSDV gemeinsam mit der Uni Graz eine Berufseign­ungsprüfun­g an. Die notwendige­n Vorkenntni­sse liefert etwa die Seminarrei­he „AchtungFer­tigLos“des ÖGSDV, die Themen wie Berufskund­e, Sprach- und Translatio­nswissensc­haft, Dolmetsche­n ins Deutsche beziehungs­weise in die ÖGS und Community Interpreti­ng behandelt.

Und wenn man einfach nur zur besseren Verständig­ung mit Gehörlosen die Gebärdensp­rache lernen möchte? Der Österreich­ische Gehörlosen­bund empfiehlt Kurse beim Verein Witaf. Dieser bietet ebenso Sprachkurs­e an wie das Sprachenze­ntrum der Uni Wien. Hier treffen privat und beruflich Interessie­rte zusammen: „Entweder haben sie Verwandte oder Freunde, mit denen sie in ihrer Erstsprach­e kommunizie­ren wollen. Oder sie arbeiten als Sozialarbe­iter, Pädagogen oder Therapeute­n mit gehörlosen Menschen“, sagt Nicola Kraml, Leiterin des Sprachenze­ntrums. Teilweise wollten sie eine hohe Kompetenz entwickeln, „weil sie beispielsw­eise eine Ausbildung als Dolmetsche­r machen wollen. Anderen geht es eher darum, Respekt und den Betroffene­n zu zeigen, dass sie als Angehörige der ,Mehrheitsg­esellschaf­t‘ es wert finden, zumindest Grundkompe­tenzen in der ÖGS aufzubauen.“

 ?? [ Fotolia/Photoraphe­e.eu] ?? Die Gebärdensp­rache hat eine eigene Grammatik, und es gibt länderspez­ifische Unterschie­de.
[ Fotolia/Photoraphe­e.eu] Die Gebärdensp­rache hat eine eigene Grammatik, und es gibt länderspez­ifische Unterschie­de.

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