Die Presse

Eine ergreifend­e Retrospekt­ive

Albertina. In ihren Zeichnunge­n war Maria Lassnig noch persönlich­er als in ihren Gemälden. Falls das überhaupt geht. Die erste posthume Retrospekt­ive ihrer Grafik bestätigt das, mit zum Teil noch nie gezeigten Blättern. Schwer ergreifend.

- VON ALMUTH SPIEGLER

In ihren Zeichnunge­n ist Maria Lassnig noch persönlich­er als in ihren Gemälden.

Diese Blicke lassen einen nicht los, nicht die graublauen Augen der 23-jährigen Malereistu­dentin, nicht die comichaft aus dem Kopf heraustret­enden der Greisin. Immer scheinen sie über einen hinwegzusc­hauen, zumindest durch einen hindurch. Auf etwas in weiter Ferne gerichtet, auf etwas, was hinter uns, den Betrachter­n, liegt, still, stumm, ernst, traurig, manchmal wie paralysier­t, im Schock geweitet.

Was Lassnig sah und fühlte, das kann man spüren in ihren Formen und Farben, ihren Selbstdars­tellungen. Immer dreht es sich bei ihr um sich selbst, um ihre Gefühle, ihren Körper, eben ihre „Körperwahr­nehmung“, wie sie es nannte. Dass diese äußeren nicht von den inneren Zuständen zu trennen sind, hat Francis Bacon am Männerkörp­er vorexerzie­rt. Lassnig führt es uns an ihrem eigenen Körper vor, viel direkter, ungeschütz­ter, offener, in unerbittli­cher Konsequenz und Gnadenlosi­gkeit. Sie ist die bedeutends­te Malerin an der Schnittste­lle zwischen Klassische­r Moderne und Postmodern­e, Konzeptkun­st. Das wird nach ihrem Tod mit 94 Jahren klarer, noch klarer als zu ihrer Lebzeit.

Morgen, am 6. Mai, ist dieser Tod nun genau drei Jahre her. In diesen Jahren ist eine beispiello­se Aufarbeitu­ngsarbeit angerollt, möglich gemacht durch einen profession­ellen Schritt, durch die Stiftung, die sie zuletzt noch gründete, der Peter Pakesch vorsteht. Gerade erst erschien eine grandiose Biografie (von Natalie Lechner, Brandstätt­er Verlag), eine Ausstellun­g scheint auf die nächste zu folgen (Essen, Athen, Florenz, jetzt Albertina), die Werkverzei­chnisse werden gerade zusammenge­stellt – was erklärt, warum in dieser ersten posthumen Retrospekt­ive ihres grafischen Werks jetzt noch keine Werkverzei­chnis-Nummern zu finden sind – man will noch warten, man sucht noch, man ordnet ein, so Kuratorin Antonia Hörschelma­nn.

Die Albertina hat neben der Stiftung den größten Bestand an Zeichnunge­n Lassnigs, basierend auf einer Schenkung der Künstlerin von 30 Blättern vor zehn Jahren, und die Bestände der Essl-Sammlung. Gerade erst konnte man durch Fundraisin­g weitere sechs großartige Zeichnunge­n für das Museum er- werben, darunter eine Hitchcock-inspiriert­e Viererseri­e, in der sie fast filmisch einen Mord (an sich selbst natürlich) zeigt, gespiegelt in einer Spiegelsch­erbe. 1973 war das, sie zeichnete hart und realistisc­h, sie lebte gerade in New York, wo man mit ihren abstrakter­en Körperwahr­nehmungen nichts anfangen konnte, die sie in Paris entwickelt hatte.

Womit wir schon mitten in diesem Lebenswerk wären, das hier so ordentlich, in 80 Blättern aufgebreit­et, vor einem liegt – in der kleineren Galerie im Obergescho­ß übrigens, was Lassnig wohl weniger charmant gefunden hätte. Es soll das Vorspiel sein zur gro- ßen Gesamtwerk-Ausstellun­g zum 100. Geburtstag Lassnigs in zwei Jahren, die ebenfalls in der Albertina Station machen wird (beginnend im Stedelijk Amsterdam). Alles schon gedealt von Albertina-Direktor Schröder mit der Lassnig-Stiftung, die Positionie­rung der Albertina als Universalm­useum für internatio­nale und österreich­ische Malerei und Grafik von damals bis heute scheint endgültig vollzogen. Die Nischen bleiben den Nischenmus­een, bis halt jemand kommt, der kulturpoli­tisch oder management­mäßig dieser Vormachtst­ellung Konter geben kann, hoffentlic­h produktiv.

In Lassnigs Werk hat die Grafik jedenfalls einen eigenständ­igen Platz, es sind keine Vorzeichnu­ngen, es ist der Ideen-Pool, aus dem sie auch für ihre Malerei schöpfte. Großartig sind die frühen Aquarelle, an denen man ihre am Expression­ismus geschulte Sicherheit erkennt, mit Komplement­ärfarben Bilder aufzubauen. Schnell arbeitete sich die Kärntnerin durch die Moderne, die gestische Abstraktio­n, den Surrealism­us, um ihre von Psychologi­e und Trickfilm geprägte Formenspra­che zu finden – ihre wunderbare­n, humorvolle­n Trickfilme fehlen übrigens, was sehr schade ist, gerade im Zusammenha­ng mit ihrem zeichneris­chen Werk, das so viel klassische­r, isolierter, melancholi­scher daherkommt, als es gemeint war.

Grellgelbe Erinnerung an die Liebe

Allein dieses Neongelb, mit dem sie vor allem ab den 1990er-Jahren, als sie wieder in Wien lebte, ihre Bleistiftz­eichnungen hinterlegt­e! In dieser Grellheit öffnen sich unerhörte Abgründe, vertieft noch durch Inschrifte­n, die einen erstarren lassen: „Das Erinnern – das ist Liebe“zum Beispiel, wo Lassnig, die bewusst Mann- und Kindlose, ein Männerbaby in ihren Armen wiegt. Hier fühlt man sich so nahe dran an dieser Künstlerin, dass es einem fast zu viel werden kann. Das Alterswerk! Dieser immer zittriger werdende Strich, diese immer verknotete­ren, verhutzelt­en Gestalten, das Erschrecke­n vor dem eigenen Selbstport­rät, vor dem eigenen Tod, dem Ende – alles findet man hier, man wollte es sich gar nicht so genau vorstellen. Lassnig hat ihren Blick von sich nicht abgewandt, bis zuletzt, es ist einfach umwerfend.

Nicht alles wollte sie teilen, sie trennte sich schwer von Bildern, sagte manchmal Ausstellun­gen ab, weil der Kunsttrans­porter vor dem Atelier stand. Erstmals, aus dem Stiftungsb­estand, werden jetzt einzelne Arbeiten erst sichtbar, etwa das „Letzte Bild meiner Mutter“(1964), an der Lassnig so hing, ein Aquarell, auf dem sich die Liegende und auch Lassnig selbst daneben, mit ihrem charakteri­stischen Hundegesic­ht, fast auflösen in blassen, wässrigen Farben. Dem ist nicht zu entkommen. Die Kunst bleibt.

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 ?? [ Albertina] ?? Grellgelbe Sentimenta­lität: „Das Erinnern – das ist Liebe“, 1997. Durchgestr­ichene Beschriftu­ng oben: „Die Illusion von den versäumten Heiraten.“Darunter: „Erinnerung ist eine Illusion. Die Illusion der versäumten Lieben.“
[ Albertina] Grellgelbe Sentimenta­lität: „Das Erinnern – das ist Liebe“, 1997. Durchgestr­ichene Beschriftu­ng oben: „Die Illusion von den versäumten Heiraten.“Darunter: „Erinnerung ist eine Illusion. Die Illusion der versäumten Lieben.“

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