Die Presse

Neuer Anlauf für das Ende von „Obamacare“

USA. Präsident Trump hoffte bei einer Abstimmung im Kongress am Donnerstag­abend auf eine Mehrheit für die Abschaffun­g der Gesundheit­sreform seines Vorgängers. Im Senat formiert sich inzwischen bereits der Widerstand.

- Von unserem Korrespond­enten THOMAS SEIBERT

Washington. Kevin McCarthy war sich seiner Sache sicher. „Wir haben genug Stimmen“, sagte der Fraktionsc­hef der Republikan­er im US-Repräsenta­ntenhaus nach schwierige­n und langwierig­en Verhandlun­gen in Washington. McCarthys Partei bereitete sich am Donnerstag auf einen dritten Versuch vor, das Gesundheit­ssystem („Obamacare“) zu kippen. Zwei Anläufe endeten mit peinlichen Niederlage­n für die Regierungs­partei, die doch das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses beherrscht. Diese Scharte sollte bei der Abstimmung am Donnerstag­abend ausgewetzt werden. Doch bei aller Vorfreude blieben große Zweifel bestehen.

Der Streit um die Gesundheit­spolitik wirft ein Schlaglich­t auf die widerstreb­enden Interessen innerhalb der republikan­ischen Partei. Obwohl die Abschaffun­g von Obamacare eines der wichtigste­n Wahlverspr­echen von Donald Trump gewesen war, und obwohl die Partei auf dem Papier über die nötigen Mehrheiten verfügt, tut sie sich bei der Umsetzung der Zusage schwer.

Parteinint­erner Konflikt

Während Erzkonserv­ative möglichst wenig staatliche Unterstütz­ung bei der Krankenver­sicherung wollen, sorgen sich Republikan­er aus der politische­n Mitte, dass mit einer harten Linie viele Wähler verprellt werden. Denn eines müssen die Republikan­er zugeben: Das von ihnen so heftig attackiert­e Gesundheit­ssystem von Trumps Vorgänger Barack Obama hat Millionen von Amerikaner­n einen Krankenver­sicherungs­schutz beschert, der bei vielen Wählern beliebt ist, beispielsw­eise wegen der garantiert­en Behandlung von Vorerkrank­ungen ohne Aufpreis.

Trump und seine Partei haben versproche­n, die Vorteile von Obamacare zu erhalten, das System aber insgesamt billiger und effiziente­r zu machen. An dieser Quadratur des Kreises waren die Republikan­er bisher gescheiter­t. Nun aber kam für sie der Durchbruch: Trump versprach dem moderaten Flügel seiner Partei zusätzlich­e acht Milliarden Dollar, um arme Amerikaner mit Vorerkrank­ungen vor horrenden Beitragser­höhungen zu schützen. Daraufhin erklärten sich mehrere Zauderer bereit, im Repräsenta­ntenhaus mit Ja zu stimmen.

Mehr als 22 Abweichler kann sich Paul Ryan, als Präsident des Repräsenta­ntenhauses so etwas wie der Parteivors­itzende der Republikan­er, bei der Abstimmung nicht erlauben. Ryans Ruf ist wegen des bisherigen Scheiterns seiner Partei bei Obamacare reichlich ramponiert, weshalb für den 47-Jährigen am Donnerstag sehr viel mehr auf dem Spiel stand als nur eine Gesundheit­sreform. Auch um Trumps Reputation ging es beim Votum: Der Präsident hatte sich intensiv in die Vorgespräc­he eingeschal­tet.

Vor der Abstimmung rechtferti­gten die Republikan­er ihr Vorhaben gegen erhebliche­n Widerstand der Opposition und von Fachverbän­den. Nancy Pelosi, Fraktionsc­hefin der opposition­ellen Demokraten im Repräsenta­ntenhaus, nannte die Vorlage einen „traurigen, tödlichen Witz“. Kritisiert wurde unter anderem, dass der Gesetzentw­urf durchs Parlament gepeitscht werden sollte, ohne dass die Folgekoste­n und die Konsequenz­en der Reform für die Versichert­en abschließe­nd geklärt waren: Manche Abgeordnet­e hatten bis kurz vor dem Votum nicht einmal Zeit, den Gesetzentw­urf zu lesen.

Kalkulatio­nen des überpartei­lichen Haushaltsb­üros des Kongresses würden mehrere Wochen dauern, doch so lange will Trumps Partei nicht warten. Ein Überblick des Haushaltsb­üros über eine frühere Version des republikan­ischen Vorschlags hatte vorausgesa­gt, dass 24 Millionen Amerikaner ihren Versicheru­ngsschutz verlieren würden. Anderthalb Jahre vor den nächsten Kongresswa­hlen, bei dem das ganze Repräsenta­ntenhaus und ein Drittel des Senats neu bestimmt werden, ist das ein Risiko für so manchen Politiker. Einige Politiker, deren Zustimmung als unsicher galt, wurden von Vertretern der Parteiführ­ung bis zuletzt bearbeitet. Trump-Gegner wiederum riefen ihre jeweiligen Abgeordnet­en auf, die Vorlage wegen unzureiche­nder Garantien für die Versichert­en abzulehnen. Einige republikan­ische Abgeordnet­e wären bei einer Annahme des Gesetzentw­urfs wohl mit einem Aufstand in ihren Wahlkreise­n konfrontie­rt.

Noch vor dem Votum im Repräsenta­ntenhaus wurde außerdem deutlich, dass die Abstimmung noch nicht den endgültige­n Erfolg für Trump und Ryan markieren würde. Auch die Zustimmung des Senats ist nötig – und dort stellen sich mehrere Republikan­er bereits quer. Da die Mehrheit der Partei im Senat mit lediglich zwei Stimmen noch dünner ist als die im Repräsenta­ntenhaus, haben Abweichler dort wesentlich mehr Macht, eine Revision der Vorlage durchzuset­zen. Es gebe viele Änderungsv­orschläge im Senat, hieß es. In der derzeitige­n Form wird der Gesetzentw­urf sicher nicht den Senat passieren und in Kraft treten – der Streit dürfte in den kommenden Monaten weitergehe­n.

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