Neuer Anlauf für das Ende von „Obamacare“
USA. Präsident Trump hoffte bei einer Abstimmung im Kongress am Donnerstagabend auf eine Mehrheit für die Abschaffung der Gesundheitsreform seines Vorgängers. Im Senat formiert sich inzwischen bereits der Widerstand.
Washington. Kevin McCarthy war sich seiner Sache sicher. „Wir haben genug Stimmen“, sagte der Fraktionschef der Republikaner im US-Repräsentantenhaus nach schwierigen und langwierigen Verhandlungen in Washington. McCarthys Partei bereitete sich am Donnerstag auf einen dritten Versuch vor, das Gesundheitssystem („Obamacare“) zu kippen. Zwei Anläufe endeten mit peinlichen Niederlagen für die Regierungspartei, die doch das Weiße Haus und beide Kammern des Kongresses beherrscht. Diese Scharte sollte bei der Abstimmung am Donnerstagabend ausgewetzt werden. Doch bei aller Vorfreude blieben große Zweifel bestehen.
Der Streit um die Gesundheitspolitik wirft ein Schlaglicht auf die widerstrebenden Interessen innerhalb der republikanischen Partei. Obwohl die Abschaffung von Obamacare eines der wichtigsten Wahlversprechen von Donald Trump gewesen war, und obwohl die Partei auf dem Papier über die nötigen Mehrheiten verfügt, tut sie sich bei der Umsetzung der Zusage schwer.
Parteininterner Konflikt
Während Erzkonservative möglichst wenig staatliche Unterstützung bei der Krankenversicherung wollen, sorgen sich Republikaner aus der politischen Mitte, dass mit einer harten Linie viele Wähler verprellt werden. Denn eines müssen die Republikaner zugeben: Das von ihnen so heftig attackierte Gesundheitssystem von Trumps Vorgänger Barack Obama hat Millionen von Amerikanern einen Krankenversicherungsschutz beschert, der bei vielen Wählern beliebt ist, beispielsweise wegen der garantierten Behandlung von Vorerkrankungen ohne Aufpreis.
Trump und seine Partei haben versprochen, die Vorteile von Obamacare zu erhalten, das System aber insgesamt billiger und effizienter zu machen. An dieser Quadratur des Kreises waren die Republikaner bisher gescheitert. Nun aber kam für sie der Durchbruch: Trump versprach dem moderaten Flügel seiner Partei zusätzliche acht Milliarden Dollar, um arme Amerikaner mit Vorerkrankungen vor horrenden Beitragserhöhungen zu schützen. Daraufhin erklärten sich mehrere Zauderer bereit, im Repräsentantenhaus mit Ja zu stimmen.
Mehr als 22 Abweichler kann sich Paul Ryan, als Präsident des Repräsentantenhauses so etwas wie der Parteivorsitzende der Republikaner, bei der Abstimmung nicht erlauben. Ryans Ruf ist wegen des bisherigen Scheiterns seiner Partei bei Obamacare reichlich ramponiert, weshalb für den 47-Jährigen am Donnerstag sehr viel mehr auf dem Spiel stand als nur eine Gesundheitsreform. Auch um Trumps Reputation ging es beim Votum: Der Präsident hatte sich intensiv in die Vorgespräche eingeschaltet.
Vor der Abstimmung rechtfertigten die Republikaner ihr Vorhaben gegen erheblichen Widerstand der Opposition und von Fachverbänden. Nancy Pelosi, Fraktionschefin der oppositionellen Demokraten im Repräsentantenhaus, nannte die Vorlage einen „traurigen, tödlichen Witz“. Kritisiert wurde unter anderem, dass der Gesetzentwurf durchs Parlament gepeitscht werden sollte, ohne dass die Folgekosten und die Konsequenzen der Reform für die Versicherten abschließend geklärt waren: Manche Abgeordnete hatten bis kurz vor dem Votum nicht einmal Zeit, den Gesetzentwurf zu lesen.
Kalkulationen des überparteilichen Haushaltsbüros des Kongresses würden mehrere Wochen dauern, doch so lange will Trumps Partei nicht warten. Ein Überblick des Haushaltsbüros über eine frühere Version des republikanischen Vorschlags hatte vorausgesagt, dass 24 Millionen Amerikaner ihren Versicherungsschutz verlieren würden. Anderthalb Jahre vor den nächsten Kongresswahlen, bei dem das ganze Repräsentantenhaus und ein Drittel des Senats neu bestimmt werden, ist das ein Risiko für so manchen Politiker. Einige Politiker, deren Zustimmung als unsicher galt, wurden von Vertretern der Parteiführung bis zuletzt bearbeitet. Trump-Gegner wiederum riefen ihre jeweiligen Abgeordneten auf, die Vorlage wegen unzureichender Garantien für die Versicherten abzulehnen. Einige republikanische Abgeordnete wären bei einer Annahme des Gesetzentwurfs wohl mit einem Aufstand in ihren Wahlkreisen konfrontiert.
Noch vor dem Votum im Repräsentantenhaus wurde außerdem deutlich, dass die Abstimmung noch nicht den endgültigen Erfolg für Trump und Ryan markieren würde. Auch die Zustimmung des Senats ist nötig – und dort stellen sich mehrere Republikaner bereits quer. Da die Mehrheit der Partei im Senat mit lediglich zwei Stimmen noch dünner ist als die im Repräsentantenhaus, haben Abweichler dort wesentlich mehr Macht, eine Revision der Vorlage durchzusetzen. Es gebe viele Änderungsvorschläge im Senat, hieß es. In der derzeitigen Form wird der Gesetzentwurf sicher nicht den Senat passieren und in Kraft treten – der Streit dürfte in den kommenden Monaten weitergehen.