Die Presse

Das heikle Spiel mit den Weltrekord­en

Das Marathonex­periment „breaking2“erregt viele Puristen, dabei garantiert dieser Rekordlauf sauberen Sport. Es ist grotesk, verdächtig­e Weltrekord­e löschen zu wollen, aber ein Rennen unter Laborbedin­gungen zu verurteile­n.

- VON MARKKU DATLER E-Mails an: markku.datler@diepresse.com

Hundert Meter unter neun Sekunden? Sechseinha­lb Meter hoch, zehn Meter weit – der Mensch strebt seit jeher nach neuen Grenzen, der Sport lebt von Rekorden. Wer es schafft, wird gefeiert – wenngleich seit Jahren stets ein Dopingverd­acht mit im Spiel ist.

Das ist die Folge jahrzehnte­langer Duldung von Betrug und Missbrauch in der Leichtathl­etik. Weiterhin prangen Weltrekord­e in den Büchern, deren Protagonis­ten entweder längst gestorben oder deren Zeiten so unerreichb­ar sind, womit fragwürdig bleibt, ob ihre Entstehung ohne leistungss­teigende Mittel möglich waren. Ein Pauschalur­teil über Weltrekord­ler zu fällen, wäre trotzdem fatal. Damit raubt man sich und all denen, die tatsächlic­h sauber waren, den (naiven) Glauben respektive ihre Integrität.

Dass Europas Verband genau das der IAAF-Dachorgani­sation aber nun vorschlägt, ist grotesk: Verdächtig­e Bestmarken sollen gelöscht werden. In diesem Fall ist plötzlich eine Kollektivs­trafe möglich, bei gedopten Russen im Weltsport aber nicht? Mit der simplen Löschung seiner Vergangenh­eit läuft man in keine saubere Zukunft. Man dokumentie­rt ab diesem Zeitpunkt nur, heillos gescheiter­t zu sein. Und werden denn alle neuen Rekorde ungedopt aufgestell­t? Das ist doch nur reine Heuchelei.

Im Fall des von Nike vorangetri­ebenen Experiment­s „breaking2“, bei dem am Wochenende auf der Rennstreck­e von Monza 42,195 Kilometer unter zwei Stunden gelaufen werden sollen, geht es auch um neue Limits. Es wird aber nicht als Weltrekord gewertet: Schuhwerk, 18 Tempomache­r, Windschutz, Wetter; es ist, auch aus Imagegründ­en, ein garantiert sauberer Laborversu­ch. Und Olympiasie­ger Eliud Kipchoge ist das Zugpferd auf der 2400 Meter langen Schleife.

Dass sich Puristen darüber mokieren, das Fehlen von Elite, Frauen, Wettkampff­eeling oder Regeln reklamiere­n, ist nicht verwunderl­ich, irritiert jedoch. Sehen wollen sie dieses Rennen unbedingt, um jeden Preis.

Diese Sensations­lust erinnert irgendwie an Felix Baumgartne­rs Sprung aus der Stratosphä­re. Sein als Weltwunder verkaufter „Jump“wurde wenig später von einem unbekümmer­ten Google-Manager wiederholt; ganz ohne Schnicksch­nack, fern des medialen Hypes. Während in diesem Fall die Sinnhaftig­keit streitbar bleibt, wird das Marathonex­periment in ein paar Jahren von einem Afrikaner in einem echten Rennen verwirklic­ht – womöglich mit einem gravierend­en Makel. Weil er dann, sollten in der Gegenwart Rekorde gelöscht werden, in der Zukunft schneller gelaufen sein wird als all diejenigen, die gedopt haben könnten. Und seiner Leistung soll man dann Glauben schenken?

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