Der seltsame Fall des Daniel M.
Spionage. Ein 54-Jähriger soll für die Schweiz deutsche Fahnder nach Steuer-CDs ausgespäht haben. Dieser „Agententhriller“nimmt nun eine weitere Wendung: Platzierte M. auch einen Maulwurf?
Berlin. „Sauerei“, „Skandal“raunt es in der wahlkämpfenden Landesregierung in Nordrhein-Westfalen (NRW). Landesinnenminister Norbert Walter-Borjans wähnt sich gar in einem „Agententhriller“. In dessen Zentrum steht Daniel M, ein 54-jähriger Schweizer. Am Freitag wurde er in einem Frankfurter Hotel verhaftet. Die Bundesanwaltschaft legt ihm Geheimdiensttätigkeit für eine fremde Macht zur Last.
So also fing die Affäre um M. an. Zunächst sickerte nur durch, dass M. bei der Ausforschung von deutschen Fahndern geholfen haben soll, die in die Beschaffung von Steuer-CDs involviert waren. Doch inzwischen hat der Fall mehrere Wendungen genommen, die jüngste: M. soll nach nach getaner Arbeit einen zweiten Auftrag erhalten haben, nämlich, eine Quelle im Geschäftsbereich der Finanzverwaltung in NRW zu platzieren. Das geht aus dem Haftbefehl hervor, aus dem die „Süddeutsche Zeitung“und der Schweizer „Blick“zitieren. Diese Operation Maulwurf (Budget: 90.000 Euro) ist offenbar gelungen. Anfang 2015 will M. den Berichten zufolge erfahren haben, dass die „platzierte Quelle zeitnah erste Informationen“liefere. Wurde der Maulwurf also aktiv? Und kennen Behörden bereits seine Identität? Es gibt viele offene Fragen.
„Das ist kein Streichelzoo“
Ziemlich sicher ist, dass der Auftrag von oben kam, aus der Chefetage des Schweizer Nachrichtendiensts (NDB). Der Vizevorsitzende pflegte dem Haftbefehl zufolge Kontakt mit M. Und sein Chef, Markus Seiler, deutete eine Rolle des NDB in der Affäre an: „Die nachrichtendienstliche Tätigkeit ist kein Streichelzoo“, sagte er jüngst. Zu den Aufgaben des NDB zähle Spionageabwehr im In- und Ausland. Es gelte zu verhindern, dass jemand „mit illegalen Mitteln Geheimnisse stiehlt“. Bankgeheimnisse etwa.
Seit 2006 kauft die Bundesrepublik Steuer-CDs an, allein NRW soll sich elf solcher Datenträger mit mutmaßlichen Steuerhinterziehern beschafft haben. Fanden sich Österreicher auf der Liste, wurde auch mit Wien geteilt. 18,19 Millionen zahlte NRW laut Innenminister für CDs. Ein gutes Geschäft. Insgesamt sollen seit 2010 durch die CDSammlung und die dadurch ausgelöste Welle von Selbstanzeigen 6,5 Milliarden Euro geflossen sein, 2,3 Milliarden allein in NRW. Verstimmungen mit der Schweiz waren jedoch im Preis inbegriffen.
Anfang 2012, so der Verdacht, wurde Ex-Polizist Daniel M. vom NDB angeheuert. In seiner Rolle als Spion der Eidgenossenschaft hat er einen einzigen Auftrag. Zunächst. Der NDB hatte, so der Verdacht, eine Liste mit deutschen Steuerfahndern angefertigt. Aber sie hatte Lücken. M. stopfte sie. Dabei half ihm Berichten zufolge ein deutscher Ex-Kriminaloberrat.
Die Schweizer Justiz stützte sich möglicherweise auf diese Liste, als sie mehrere deutsche Beamte im Zusammenhang mit dem Ankauf der Steuer-CDs wegen Wirtschaftsspionage und Verletzung des Bankgeheimnisses anzeigte. Nach Angaben des „Blick“wusste auch die parlamentarische Geheimdienstaufsicht von Spion M. und rechtfertigt sich: Die Deutschen hätten illegale Wirtschaftsspionage betrieben.
Der Fall ist aber noch grotesker: Denn illegale Wirtschaftsspionage unterstellte dem Schweizer Spion auch die Schweiz. 2015 wurde er vorübergehend festgenommen, berichtet „Bild“. War er ein Doppelagent? Deutsche Auftraggeber sollen ihn Berichten zufolge damit betraut haben, vertrauliche Daten der UBS-Bank, seinem damaligen Arbeitgeber, und anderer Schweizer Geldhäuser zu beschaffen. Es gibt Spekulationen, wonach die Deutschen erst wegen der Schweizer Ermittlungen auf M.s Spur kamen.
Diplomatische Spannungen
Der Fall hat diplomatische Verstrickungen. Sigmar Gabriel bat am Dienstag die Schweizer Botschafterin in sein Außenministerium. Nachdem die Existenz eines Maulwurfs enthüllt worden war, habe der Minister zudem seinen Schweizer Amtskollegen angerufen, so „Bild“. Zu einer Staatsaffäre wächst sich der Fall aber noch nicht aus. Zumal Berlin bekommen hat, was es wollte: Ab 2018 liefert die Schweiz automatisch Steuerdaten von deutschen und auch österreichischen Bankkunden.