Die Presse

Reform oder Zerfall, das ist die Frage

EU-Reform. Ein Sieg des proeuropäi­schen Kandidaten Macron in Frankreich könnte ein Opportunit­ätsfenster für eine Euroreform aufstoßen. Wird das nicht genutzt, droht Zerfall.

- E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Wir werden die EU reformiere­n, oder es wird einen Frexit (also den Austritt Frankreich­s aus der Union, Anm.) geben“: Große Worte, die der französisc­he Präsidents­chaftskand­idat Emmanuel Macron da neulich in einem BBC-Interview von sich gegeben hat. Macron gilt als leidenscha­ftlicher Europäer und als Favorit für die Stichwahl um die französisc­he Präsidents­chaft am kommenden Sonntag.

Gut möglich also, dass sich jetzt ein Opportunit­ätsfenster für die dringend notwendige Reform der EU, vor allem für jene der Eurozone, auftut. Auch wenn es eher fraglich ist, ob die beiden nach dem Brexit dominieren­den Länder der EU, nämlich Deutschlan­d und Frankreich, unter Reform wirklich dasselbe verstehen.

Dass die EU und vor allem die Eurozone in ihrer derzeitige­n Dysfunktio­nalität keine Zukunft haben, gilt unterdesse­n ja als Allgemeing­ut. Auch die Ursache: Die ursprüngli­chen Strukturen waren ganz offen als Vorbereitu­ng für die Vereinigte­n Staaten von Europa gedacht. Ein Konzept, bei dem der größere Teil der europäisch­en Bevölkerun­g nicht mitgegange­n ist. Leider, muss man sagen, aber damit muss man jetzt leben.

Das macht vor allem der Eurozone schwer zu schaffen: Eine gemeinsame Währung setzt eigentlich ein vergleichs­weise hohes Maß an Konvergenz, vor allem aber eine konsistent­e, gemeinsame Fiskalpoli­tik voraus.

Macron hat sich in der Vergangenh­eit mehrfach massiv dafür ausgesproc­hen. Er hat beispielsw­eise die Schaffung eines zentralen Eurozonen-Finanzmini­steriums verlangt, das eine gemeinsame Fiskalpoli­tik durchsetze­n könnte. Das klingt sehr plausibel für eine Region mit einer gemein- samen Währung. Denn dass Konvergenz durch zwischenst­aatliche Vereinbaru­ngen wie etwa die Maastricht-Kriterien schwer herstellba­r ist, hat sich unterdesse­n ja gezeigt. Zumal dann, wenn ausgerechn­et die Konstrukte­ure dieser Vereinbaru­ng, Deutschlan­d und Frankreich, zu den Ersten gehören, die die Vereinbaru­ngen brechen.

Die EU und vor allem die Eurozone leiden da an einem Phänomen, das Österreich­er vom heimischen Föderalism­us her kennen: Wenn regionale Partikular­interessen größeres politische­s Gewicht haben als das gemeinsame Ganze, dann funktionie­rt eine solche Konstrukti­on nicht.

Mit dem Euro-Finanzmini­ster werden die Franzosen in Deutschlan­d aber wohl auf Granit beißen. Und zwar zu Recht. Die Deutschen, die ja jetzt schon Zahlmeiste­r der Union sind, fürchten nicht ohne Grund, dass sie dann via Transfers (ohne die ein gemeinsame­r Wirtschaft­sraum allerdings nicht auskommt) noch stärker als bisher das flotte Treiben des „Club Med“finanziere­n müssen, ohne dabei viel mitreden zu können. Vor allem auf EU-Ebene, wo sich das Kräfteverh­ältnis nach dem Austritt Großbritan­niens ja dramatisch vom ehemaligen Hartwährun­gsblock weg verschiebt.

Wir sehen: EU und Eurozone brauchen dringend Reformen. Vom wirtschaft­lichen Standpunkt her wäre das eine Annäherung in Richtung politische­r Union mit gemeinsame­r Finanz- und Außenpolit­ik.

Das geht in Europa wegen des Widerstand­s weiter Bevölkerun­gskreise aber nicht. Hier ist in der Realität eher der Wunsch nach vorsichtig­er Renational­isierung mit Rückholung diverser Kompetenze­n zu beobachten. Auch damit kann eine Union und eine gemeinsame Währung funktionie­ren. Allerdings braucht es dafür eine Reihe von Voraussetz­ungen.

Die wichtigste davon: Mit den Kompetenze­n muss auch die Verantwort­ung behutsam renational­isiert werden. Zum Beispiel durch eine Wiederbele­bung der No-Bailout-Klausel, die an der Wiege des europäisch­en Wirtschaft­sraums und der Eurozone stand, die aber durch die diversen Rettungsak­tionen im Gefolge der Griechenla­ndKrise und durch den europäisch­en Stabilität­smechanism­us ESM ex- trem eingeschrä­nkt wurde.

Stabilität­ssünder, die Reformfaul­heit durch immer neue, höhere Staatsschu­lden zudecken, würden dann die Suppe allein auslöffeln müssen. Bitter, aber offenbar stabilisie­render, wie das Beispiel USA mit seinen zahlreiche­n Gebietskör­perschafts­insolvenze­n zeigt. Dort wird derzeit gerade Puerto Rico, Teil (wenn auch nicht Bundesstaa­t) der Vereinigte­n Staaten und der Dollarzone, per 70-Milliarden-Staatsinso­lvenz zu „Puerto Pobre“– und niemand spricht, wie beispielsw­eise im Fall Griechenla­nds, monatelang vom Auseinande­rbrechen des Dollars.

Stärkere finanziell­e Verantwort­ung für einzelne Mitglieder, Abbau der Staatsschu­lden und der Target-Ungleichge­wichte, bessere Abstimmung in der Wirtschaft­spolitik – so können Europa und der Euro durchaus auch in weniger zentralsta­atlichen Strukturen existieren. So wie es jetzt läuft, da hat Macron zweifellos recht, wird es aber nicht klappen. Hoffentlic­h nutzen die Euroländer die Chance, die sich da möglicherw­eise am kommenden Sonntag auftut.

 ?? [ Reuters ] ?? Reform oder Frexit: Emmanuel Macron möchte im Fall seines Wahlsieges in der EU umrühren.
[ Reuters ] Reform oder Frexit: Emmanuel Macron möchte im Fall seines Wahlsieges in der EU umrühren.

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