„Trump gefährlicher als Nixon“
US-Medien. Carl Bernstein, Reporterlegende und Mitaufdecker des Watergate-Skandals, Mahner gegen Trump, hielt die Eröffnungsrede bei den Journalismustagen in Wien.
Noch fast 35 Jahre nach seinem großen Coup umgibt Carl Bernstein ein gewisser Glamour. Die Aufdeckung des Watergate-Skandals, die 1974 schließlich zum Sturz des US-Präsidenten Richard Nixon geführt hatte, brachte Bernstein und Bob Woodward, seinem kongenialen Kollegen bei der „Washington Post“, Legendenstatus ein. Davon zehren beide noch heute, und darum sind sie gesuchte Gastredner über Ethik und Journalismus auf den Podien dieser Welt – wie Donnerstagabend bei Bernsteins Soloauftritt im Semperdepot, als er die Eröffnungsrede bei den Journalismustagen gehalten hat (sie stehen unter dem Titel „Der Wert der Wahrheit“) und Rede und Antwort zu Fake News und Donald Trump gestanden hat.
Wer kann von sich schon behaupten, von Dustin Hoffman (in „Die Unbestechlichen“) oder Jack Nicholson (in „Sodbrennen“) verkörpert worden zu sein? Immer noch taucht der 73-Jährige regelmäßig in der Frühstücksshow „Morning Joe“auf MSNBC oder auf CNN auf, als Ehrenredner an US-Universitäten, als Laudator bei Preisverleihungen – und mitunter als Autor. Erst am Wochenende firmierte er – zusammen mit Woodward, seinem journalistischen Zwilling – als Stargast beim White House Correspondents’ Dinner in Washington und als lebendes Mahnmal gegen die Hybris der Macht.
Der Auftritt des Duos Bernstein/Woodward sollte ein Warnsignal für Donald Trump sein, der der Gala, der traditionellen Selbstinszenierung des US-Journalismus, demonstrativ ferngeblieben war, um zur gleichen Zeit seine Anhänger bei einer Kundgebung in Pennsylvania gegen die sogenannte Lügenpresse aufzustacheln. „Wir sind nicht Fake News“, schallte als Echo aus Washington zurück. „Seht her“, sollte wohl die Botschaft an das Weiße Haus lauten, „wir können auch Donald Trump zu Fall bringen.“
Der Präsident führt einen regelrechten Privatkrieg gegen die Presse. Nach den wiederholten Schimpftiraden gegen die etablierten US-Medien, die Trump als „Feinde des amerikanischen Volks“und als „Versager“denunziert hatte, schlug Carl Bernstein mit einer Breitseite gegen den Präsidenten zurück. Trumps Attacken seien noch heimtückischer als jene von Richard Nixon und obendrein potenziell gefährlicher, sagte er. Es sei ein „demagogischer Angriff gegen die Institutionen der Demokratie“. Der Stil Donald Trumps würde ihn an Autokraten und Diktatoren erinnern, ereiferte er sich.
Es sind kämpferische, aber auch glorreiche Zeiten für die US-Medien. Lang hatten sie über die Krise in der Branche und das Zeitungssterben lamentiert, waren dabei mitunter in Selbstmitleid versunken. Doch die Wahl und die Präsidentschaft Trumps haben ihre Bedeutung neu aufgeladen und ein Interesse entfacht, was sich in Rekordzahlen von Online-Abos für die „New York Times“und „Washington Post“niederschlägt. Die beiden Zeitungen profitieren von der Polarisierung, sie haben in ihre Redaktionen investiert und ihre Berichterstattung aus Washington ausgebaut.
Vor allem der investigative Journalismus steht vor einer neuen Blüte. Die „Washington Post“erscheint unter dem etwas pathetischen Motto „Die Demokratie stirbt in der Dunkelheit“. Carl Bernstein dürfte diese Ent- wicklung mit Genugtuung erfüllen, scheint doch zumindest bei der „Washington Post“mit dem Einstieg des Amazon-Gründers und Multimilliardärs Jeff Bezos der jahrelange Niedergang des Blatts gestoppt.
Bücher über Papst und Hillary Clinton
Dabei hatte Bernstein die „Post“bereits vor vierzig Jahren verlassen. Der Ruhm stieg ihm zu Kopf, er ließ sich bei Dinnerpartys feiern, versuchte sich als TV-Reporter, Kriegskorrespondent und Buchautor – unter anderem über Papst Johannes Paul II., Hillary Clinton und seine kommunistischen Eltern. Zeitweise machte er mehr durch seine Affären – etwa mit der Frau des britischen Botschafters und Tochter des Premiers – und die Scheidung von Nora Ephron von sich reden. Die Drehbuchautorin und Hollywood-Regisseurin setzte ihn im Schlüssellochporträt „Sodbrennen“als Filou in Szene. Ihr gemeinsamer Sohn Jacob schreibt inzwischen für die „New York Times“. Bernstein selbst fand als Mahner gegen Trump eine neue Mission.