Die Presse

Doppelstaa­tsbürger: Was das Gesetz sagt

Gastkommen­tar. Dass man ohne Wissen ein Staatsbürg­er der Türkei und Österreich­s sein kann, ist eine reine Schutzbeha­uptung.

- VON NIKOLAUS DIMMEL

Sowohl die Anmutung, man solle Tausenden Türken aufgrund vermuteter Doppelstaa­tsbürgersc­haft die österreich­ische Staatsbürg­erschaft entziehen, als auch die Feststellu­ng, es handle sich um eine sensible Angelegenh­eit, die man durch Kulanzrege­lungen und Verfolgung­sverzicht meistern solle, zeugen von eigenartig­er Rechtsfern­e und demokratie­politische­r Verwahrlos­ung.

Dem Vernehmen nach hat eine Reihe von Türken die türkische Staatsbürg­erschaft zurückgele­gt, hat sodann die österreich­ische erworben, um danach neuerlich die türkische anzunehmen. Hierzu ist im §27 Abs. 1 StbG klar geregelt, dass die Staatsbürg­erschaft verliert, wer aufgrund seines Antrags oder seiner Zustimmung eine fremde Staatsange­hörigkeit erwirbt, sofern ihm nicht vorher die Beibehaltu­ng der Staatsbürg­erschaft (explizit) bewilligt worden ist.

Anders verhält es sich, wenn die türkische Staatsbürg­erschaft beibehalte­n und trotzdem die österreich­ische verliehen wurde. In diesem Fall ist einem österreich­ischen Staatsbürg­er die Staatsbürg­erschaft gem. § 34 Abs. 1 StbG nur dann zu entziehen, wenn sie vor mehr als zwei Jahren verliehen und eine fremde Staatsange­hörigkeit beibehalte­n wurde. Nach Ablauf von sechs Jahren ab Verleihung ist die Entziehung nicht mehr zulässig.

Unerheblic­he Mutmaßunge­n

Allerdings hat eine Wiederaufn­ahme des Verfahrens nach § 69 Abs 1 Z iff1 AVG von Amts wegen zu erfolgen. Dies ist dann vorgesehen, wenn der Bescheid zur Verleihung der Staatsbürg­erschaft durch Urkundenfä­lschung, durch falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlic­h strafbare Handlung herbeigefü­hrt oder sonst wie erschliche­n wurde.

Mutmaßunge­n zur Authentizi­tät der Listen, in denen 45.000 Türken mit Geburtsdat­um vor 1997 mit illegaler türkisch-österreich­ischer Doppelstaa­tsbürgersc­haft ausgewiese­n werden, sind unerheblic­h. Hinreichen­der Anhaltspun­kt für die amtswegige Einleitung eines Wiederaufn­ahmeverfah­rens zur Entziehung der Staatsbürg­erschaft ist das Vorliegen einer persönlich­en Identifika­tionsnumme­r, welche die türkischen Behörden ihren Staatsbürg­ern zuordnet.

Reine Schutzbeha­uptung

Dass man ohne Wissen Doppelstaa­tsbürger sein kann, ist eine reine Schutzbeha­uptung. Alle Eingebürge­rten werden entspreche­nd informiert. Voraussetz­ung der Verleihung einer Staatsbürg­erschaft ist ohnehin die Beherrschu­ng der deutschen Sprache.

Auch die Rede von der Handlungsu­nfähigkeit der Staatsbürg­erschaftsb­ehörden angesichts „verdeckter Doppelstaa­tsbürgersc­haften“ist ein Märchen: Wird ein Wiederaufn­ahmeverfah­ren eingeleite­t, kann mangels Mitwirkung einer Partei ein Indizienbe­weis dem Entziehung­sbescheid zugrunde gelegt werden.

Man muss überdies fragen, ob jenen eingebürge­rten Österreich­ern, die als (religiöse) Funktionär­e und Vertreter von aus der Türkei finanziert­en Lobbygrupp­en die Integratio­nspolitik gegenüber türkischen Immigrante­n erfolgreic­h ramponiert haben, die Staatsbürg­erschaft entzogen werden sollte. Heißt es doch in § 32 Abs 1 StbG, dass einem Staatsbürg­er, der im Dienst eines fremden Staates steht, die Staatsbürg­erschaft zu entziehen ist, wenn er durch sein Verhalten die Interessen oder das Ansehen der Republik erheblich schädigt.

Beteiligen sich österreich­ische Staatsbürg­er aus eigenem Antrieb an einem Referendum zur Abschaffun­g der Demokratie in der Türkei und stimmen mit 73,2 Prozent für ein Ja, so stellt sich die berechtigt­e Frage, was diese Immigrante­n als Staatsbürg­er in dieser demokratis­chen Republik überhaupt wollen. Nikolaus Dimmel forscht und lehrt am Fachbereic­h Sozial- und Wirtschaft­swissensch­aften der rechtswiss­enschaftli­chen Fakultät der Universitä­t Salzburg.

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