Große Aufgaben für den Sieger
Frankreich. Der neue Präsident, Emmanuel Macron, muss zunächst eine politische Mehrheit im Parlament finden, eventuell auch unter Einbeziehen von Sozialisten und Konservativen in einer breiten Union.
Paris. Am klaren Sieg Emmanuel Macrons gab es schon Stunden vor dem Auszählen der Stimmzettel am Sonntagabend keinen Zweifel. Da die Veröffentlichung von Umfragen oder der Ergebnisse von Exit Polls in Frankreich am Wahltag nicht zulässig ist, mussten die Franzosen zwar bis 20 Uhr warten, doch die in belgischen und Schweizer Medien kolportierten Umfragen deuteten auf einen Triumph für den Sozialliberalen und eine herbe Niederlage für Marine Le Pen, die Gegenkandidatin des rechtspopulistischen Front National. Dieses Ergebnis hatte sich seit letztem Mittwoch abgezeichnet.
Trotzdem herrschte Hochspannung. Im Internet hatten unbekannte Hacker Gerüchte verbreitet und Daten aus dem Macron-Team publiziert, was für Unruhe sorgte. Der amtierende Präsident, Francois¸ Hollande, kündigte eine Untersuchung des Cyberangriffs an. Wie schon bei der ersten Runde vor zwei Wochen herrschte auch bei den Sicherheitskräften nach den vereitelten Anschlagsplänen eines Ex-Soldaten gespannte Nervosität. Angesichts des Ausnahmezustands im Land setzten die Behörden neuerlich ein massives Aufgebot ein, um die Sicherheit zu gewährleisten. Private Sicherheitsdienste verstärkten die offiziellen Kräfte. Die Evakuierung des Pressezentrums, das für die Wahlfeier am Abend vor dem Louvre eingerichtet worden war, bewies die Anspannung. Ein Polizeihund hatte angeblich beim Schnüffeln Alarm geschlagen, der sich dann jedoch als Fehlalarm herausstellte.
Geringere Wahlbeteiligung
Als wegen des Nieselregens in der nördlichen Landeshälfte am Morgen zunächst weniger Andrang vor den Wahlurnen herrschte als vor zwei Wochen, wurde eine geringere Beteiligung befürchtet. Im Lauf des Tages sollte sich dies bestätigen. In Le Touquet am Ärmelkanal, wo das Ehepaar Macron ein Domizil hat, wurde der Kandidat beim Verlassen des Wahllokals von einer jubelnden Menge schon als Sieger und designierter Staatschef gefeiert. Etwas stiller war die Stimmung nicht allzu weit davon entfernt, ebenfalls in Nordfrankreich, in Henin-´Beaumont, wo die FNParteichefin in ihrem Wahlkreis die Stimme abgab.
Die große Frage, die sich aber bis zur Bekanntgabe des Resultats stellte, war lediglich, wie hoch der Sieg der Linksliberalen und wie deutlich die Niederlage der Rechtspopulistin ausfallen würde – und wie viele Franzosen den Boykottaufrufen folgen würden, entweder zu Hause zu bleiben oder ungültig zu wählen. Davon hängt einiges ab. Weniger als 40 Prozent für die Kandidatin des Front National galten nicht mehr als etwaiger Achtungserfolg, was interne Konsequenzen nach sich ziehen würde. In dieser rechtsextremen Partei liefern sich hinter dem Rücken der (bisher noch) unbestrittenen Parteivorsitzenden zwei Clans einen unerbittlichen Kampf um Einfluss und Macht. Die identitäre und traditionalistische Tendenz um Marion Marechal-´Le Pen, die Nichte des Parteigründers Jean-Marie Le Pen, machte schon in den Tagen vor der Wahl den Vizepräsidenten, Florian Philippot, mit seiner mehr sozial orientierten Linie für die sich abzeichnende Niederlage verantwortlich.
Die Koalitionsfrage
Auch für die künftige Präsidentenpartei, die Bewegung En Marche! des siegreichen Macron und für die anderen, mit ihren Kandidaten bereits im ersten Durchgang ausgeschiedenen Parteien war das Resultat in Hinblick auf die Regierungsbildung und die Parlamentswahlen am 11. und 18. Juni von großer Bedeutung. Der Wahlsieg schafft eine Dynamik, die Macron zur Bildung einer Mehrheit nutzen muss. Die traditionellen Parteien, vor allem die Sozialisten sowie die Konservativen und die bürgerlichen Zentristen (UDI) sind in der Frage der Zusammenarbeit oder eventuellen Regierungsbeteiligung gespalten.
Der sozialistische Ex-Premier Manuel Valls und der bei den bürgerlichen Vorwah- len unterlegene Bruno Le Maire sowie andere Republikaner plädieren bereits für die Bildung einer Präsidentenmehrheit – unter anderem mit Politikern von links wie rechts. Le Maire erklärte dazu, für ihn sei eine derartige Beteiligung an einer Koalition nicht als Verrat an der politischen Familie zu verstehen. Mit Macron teile er Nuancen, aber keine Unvereinbarkeiten.
Macron hatte sich bisher stets geweigert, eine Koalition ins Auge zu fassen oder auch, den Namen des zukünftigen Premierministers zu nennen. Er hatte aber erwähnt, dass er eher eine Frau nominieren wolle.