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Malaise `a la fran¸caise: Eine Wahl im Zeichen des Abstiegs

Dass die Franzosen der Globalisie­rung besonders feindlich gesinnt sind, ist das Resultat einer beispiello­sen Erosion des Vertrauens in die Politik.

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N achdem General Charles de Gaulle 1959 als erster Präsident der soeben gegründete­n Fünften Republik in den E´lysee-´Palast eingezogen war, machte er sich schnurstra­cks daran, seiner von Selbstzwei­feln geplagten Heimat Selbstbewu­sstsein einzuhauch­en. De Gaulles Fitnesspro­gramm für Frankreich umfasste unter anderem die Entkolonia­lisierung und das Ende des zermürbend­en Algerien-Kriegs, den Ausbau des europäisch­en Binnenmark­ts samt wirtschaft­licher Anbindung an Deutschlan­d, eine Währungsre­form zur Stärkung des Franc sowie den Aufbau eines eigenen Atomarsena­ls, dessen Force de Frappe (Schlagkraf­t) Frankreich als Schwergewi­cht auf der internatio­nalen Bühne etablieren sollte. Der Plan ging auf – nicht umsonst werden die drei durch de Gaulle geprägten Nachkriegs­jahrzehnte in Frankreich als Trente Glorieuses bezeichnet und er selbst als größter Staatsmann in der Geschichte der Republik gewürdigt.

Insofern überrascht es nicht, dass im Vorfeld der Präsidente­nwahl 2017 so gut wie alle ernst zu nehmenden Kandidaten versucht haben, sich den Mantel des Generals umzuhängen. Selbst Marine Le Pen, die Chefin des rechtspopu­listischen Front National, spielte sich als de Gaulles Erbin auf – was insofern pikant ist, als ihre Partei von Männern gegründet wurde, die de Gaulle wegen der Aufgabe der französisc­hen Kolonien verachtet haben. Doch um Wahrheit, historisch­e Korrekthei­t oder visionäre Politik ging es in diesem Wahlkampf nur am Rand – es war ein Votum, das ganz im Zeichen der Morosität stand. Denn Frankreich fühlt sich schlecht. Und es weiß keinen rechten Ausweg aus dieser Malaise.

Dass sich ausgerechn­et Frankreich vor dem Abstieg fürchtet und an Kraftlosig­keit leidet, ist einerseits paradox, denn das Land verfügt nach wie vor über viele Atouts: Seine Arbeitskrä­fte sind produktive­r als Arbeitnehm­er in Deutschlan­d oder Großbritan­nien, seine Bevölkerun­g ist jünger und vitaler als der europäisch­e Durchschni­tt, seine Unternehme­n innovativ und exportorie­ntiert. Dass Frankreich über Weltklasse­konzerne wie Sanofi, Renault, AXA oder Danone verfügt, geht in den allgemeine­n Wehklagen unter.

Anderersei­ts hat das Wehgeschre­i durchaus reale Gründe – doch diese sind nicht so sehr bei den französisc­hen Bürgern oder Firmen als vielmehr beim französisc­hen Staat zu suchen. Seit den 1970er-Jahren ist es keiner Regierung mehr gelungen, die Haushaltsb­ücher auszugleic­hen, dafür wurde der Arbeitskod­ex so aufgebläht, dass er mittlerwei­le den Umfang des Neuen Testaments übersteigt. Der Anteil des Staats an der Wirtschaft­sleistung tendiert mit rund 57 Prozent in Richtung Volksrepub­lik, die Arbeitslos­enquote liegt über, das Wirtschaft­swachstum unter dem EUSchnitt – und bei der Staatsvers­chuldung ist die Hundertpro­zentmarke in Sicht. Mit

dem schleichen­den Abstieg ging auch eine Erosion des öffentlich­en Vertrauens einher. Der Anteil der Franzosen, die politische­n Parteien Glauben schenken, bewegt sich im einstellig­en Prozentber­eich. Und unter Jungwähler­n halten 98 Prozent Politiker für gänzlich bzw. teilweise korrupt. Einen nicht unbeträcht­lichen Anteil an diesem massiven Vertrauens­verlust haben Amtsinhabe­r Francois¸ Hollande und sein Vorgänger, Nicolas Sarkozy, die den Wählern in den vergangene­n zehn Jahren viel versproche­n, aber wenig erreicht haben. Dass die Franzosen der Globalisie­rung im Allgemeine­n und der EU im Speziellen feindliche­r gesinnt sind als der Durchschni­tt der Europäer, ist ein Resultat dieser allgemeine­n Verachtung der politische­n Klasse.

Die Auswirkung­en dieser Verachtung sind bis an die Außengrenz­en der EU spürbar. Je weiter Frankreich hinter Deutschlan­d zurückfäll­t, desto schwierige­r werden die Entscheidu­ngsprozess­e innerhalb der gebeutelte­n Union. Dass durch den bevorstehe­nden EU-Austritt Großbritan­niens die relative Bedeutung Frankreich­s zwangsläuf­ig weiter zunehmen wird, macht die Sache nicht gerade einfacher. Auf Europa kommen also bewegte Zeiten zu, und zwar unabhängig davon, wer den glücklosen Präsidente­n Hollande beerben wird.

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VON MICHAEL LACZYNSKI

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