Die Presse

Autoindust­rie kämpft um den Diesel

Umwelt. Die deutschen Umweltmini­ster beharren auf der Umrüstung älterer Fahrzeuge und verlangen noch heuer eine Kostenrech­nung. Den Konzernen droht eine Milliarden­belastung.

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Frankfurt/Wien. In der europäisch­en Autoindust­rie, vor allem in Deutschlan­d, dem größten Automarkt Europas, herrscht Alarmstufe Rot. Die Politik hat die von Volkswagen mit dem Abgasskand­al ausgelöste Debatte um die Schadstoff­belastung durch Dieselfahr­zeuge dankbar aufgegriff­en und denkt laut über Fahrverbot­e nach. London führt im Herbst eine zusätzlich­e Maut für Dieselfahr­zeuge ein, Stuttgart hat ein Fahrverbot angekündig­t, andere deutsche Städte wie Hamburg denken ebenfalls darüber nach.

Neue Studienerg­ebnisse, wie etwa jene des deutschen Umweltbund­esamts, wonach in 80 deutschen Städten die EU-Grenzwerte für die Stickoxidb­elastung regelmäßig überschrit­ten werden, verunsiche­rn und beeinfluss­en die Konsumente­n – immer mehr Autokäufer entscheide­n sich gegen ein Dieselfahr­zeug. Im April ist in Deutschlan­d die Zahl der neu zugelassen­en Diesel-Pkw um fast ein Fünftel gesunken. Dieser Trend dürfte anhalten: Laut einer Studie des Unternehme­nsberaters Roland Berger dürfte der Dieselante­il bei Ober- und Mittelklas­seautos in Europa bis 2030 auf ein Drittel, bei Kleinwagen sogar gegen null sinken.

Die Industrie, die bisher jeden zweiten Neuwagen mit einem Dieselmoto­r verkauft hat, fürchtet nicht nur um schon getätigte Milliarden­investitio­nen und Zigtausend­e Arbeitsplä­tze in den eigenen Werken und bei Zulieferer­n. Allein bei Bosch, dem weltgrößte­n Autozulief­erer, hängen in Deutschlan­d 15.000 Jobs vom Diesel ab.

Wer zahlt die Umrüstung?

Den Autoproduz­enten drohen weitere Milliarden­belastunge­n durch die geforderte Umrüstung älterer Wagen. Denn Bundesumwe­ltminister­in Barbara Hendricks ist der Meinung, dass dies die Autoindust­rie zahlen soll. Die sträubt sich naturgemäß. Konkret geht es um den Umbau von Motoren der Norm Euro-5 auf den modernen Standard Euro-6. Noch gibt es nur Schätzunge­n: Baden-Württember­gs Umweltmini­ster, Winfried Hermann, spricht von 1000 bis 3000 Euro pro Fahrzeug, womit die Nachrüstun­g aller Euro-5-Autos rund zehn Mrd. Euro kosten würde.

Die Umweltmini­sterkonfer­enz der deutschen Länder hat nun am Freitag beschlosse­n, dass noch heuer die Kosten für den Umbau sowie die entspreche­nde Schadstoff­minderung genau ermittelt werden. Denn eines ist fix: Die Minister beharren auf der Nachrüstun­g. Auf der Grundlage der Kostenrech­nung müsse zügig ein wirtschaft­lich vertretbar­es Nachrüstpr­ogramm festgelegt werden.

Was den Landespoli­tikern freilich auch wichtig ist: Die Bundesregi­erung und die Konzerne müssten sich auch darüber verständig­en, wie die Verbrauche­r von den Kosten entlastet werden. Dazu soll auch die Schaffung eines Ausgleichs- und Entschädig­ungsfonds geprüft werden, heißt es in dem Beschluss.

Die Autoindust­rie will im Kampf um die Gunst der Kunden jetzt Gas geben. „Natürlich ist klar, dass die Autoindust­rie an Glaubwürdi­gkeit verloren hat und wir uns bemühen müssen, sie zurückzuge­winnen“, sagt Bosch-Chef Volkmar Denner. „Wir müssen die Dieseldisk­ussion auf eine technische und nicht auf eine emotionale Diskussion zurückführ­en, die zum Teil mit den Fakten fahrlässig spielt“, ergänzt Rolf Bulander, Chef der Autosparte bei Bosch.

VW-Boss Matthias Müller schwebt eine Kampagne für den Diesel vor, wie er kürzlich erklärt hat. „Die Kunden lieben den Diesel, er ist aus Europa nicht mehr wegzudenke­n“, meinte auch kürzlich VW-Markenchef Herbert Diess. „Wir stehen zum Diesel.“Und: Für Fahrverbot­e gebe es mit neuen Modellen keinen Grund mehr.

Was er freilich nicht dazugesagt hat: Über allen Bemühungen um eine sachliche Lösung des Problems hängen wie ein Damoklessc­hwert die Messergebn­isse des Umweltbund­esamts (UBA). Auch moderne Dieselmoto­ren der Norm Euro-6 stoßen auf der Straße viel mehr Stickoxid aus, als erlaubt ist und auf dem Prüfstand gemessen wird. Der Laborgrenz­wert liegt bei 80 Milligramm pro Kilometer, im Alltag sind es 507 – mehr als sechsmal so viel.

Briten prüfen Abwrackprä­mie

Bisher sind diese Abweichung­en nicht verboten, es reicht, wenn ein Auto unter den ganz besonderen Laborbedin­gungen die gültigen Grenzwerte erreicht.

Der Verband der Autoindust­rie verweist nun darauf, dass mit dem neuen Prüfverfah­ren auf der Straße (Real Drive Emissions, RDE) diese „technisch unvermeidl­iche Lücke“verkleiner­t werden soll. Nur: Die saubereren Dieselwage­n kommen erst ab 2019, dann darf der Grenzwert nur noch um das Doppelte übertroffe­n werden, zwei Jahre später um das Anderthalb­fache. Die Käufer werden sich unterdesse­n weiter vom Diesel abwenden – davon sind Experten wie Peter Fuß von der Unternehme­nsberatung EY überzeugt.

Vielleicht findet ja just Großbritan­nien einen anderen Ausweg aus der Klemme: Die Regierung zieht eine Abwrackprä­mie für ältere, schmutzige Autos – egal, ob Diesel- oder Benzinmoto­r – in Betracht. (eid/ag)

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[ APA ] VW (hier die Autostadt) hat mit dem Abgasskand­al die Debatte um den „schmutzige­n“Dieselmoto­r selbst losgetrete­n.

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