Die Presse

Das schwere Lachen über die Migration

Kino. Der französisc­he Film „Alles unter Kontrolle“zeigt, wie sehr der Versuch, Flucht und Migration als Komödienst­off zu nutzen, danebengeh­en kann. Aber es gibt auch Gegenbeisp­iele, wie Aki Kaurismäki oder Charlie Chaplin.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Ist es falsch, im Kino über eine Migrations­geschichte zu lachen? Nicht falsch, aber schwierig, möchte man antworten, wenn man den neuen französisc­hen Film „Alles unter Kontrolle“gesehen hat. Ein Algerier wird dort für einen Afghanen gehalten und von zwei Polizisten mit dem Flugzeug in die vermeintli­che Heimat befördert – wo die pflichtgem­äße Erledigung des Auftrags einfach nicht gelingen will. „Alles unter Kontrolle“funktionie­rt nach einem seit Jahrzehnte­n inflationä­r eingesetzt­en Komödienmu­ster: Zwei Menschen von höchst unterschie­dlichem Charakter und oft auch sozialem Stand – hier der Illegale Karzaoui und der Grenzpoliz­ist Jose´ – finden sich metaphoris­ch oder manchmal sogar buchstäbli­ch aneinander­gekettet, fluchen zunächst übereinand­er, um einander schließlic­h doch sympathisc­h zu werden. Hier der liebenswer­t clowneske Illegale, dort der über private und berufliche Malheurs stolpernde Polizist.

Der Film beginnt noch mit humoristis­chem Hoffnungss­chimmer, als Karzaoui für eine Tat verhaftet wird, die angeblich nicht er, sondern der begangen hat, dem er die Papiere geklaut hat. Später im Flugzeug nach Kabul lässt er einen Papiersack platzen und ruft: „Ich bin der Cousin von Bin Laden!“– die Reaktionen der Passagiere sind zumindest zum Schmunzeln. Aber in rasendem Tempo rutscht „Alles unter Kontrolle“rasch in unfassbar läppischen Slapstick ab.

Optimistis­ch muss nicht naiv heißen

Manche werden finden, dass man über das Thema Abschiebun­g überhaupt keine Komödien machen soll. Aber richtig eingesetzt, kann das Lachen gesellscha­ftliche Probleme für die kurze Zeit eines Kinobesuch­s beseitigen oder vielleicht ein wenig lösbarer erscheinen lassen. Was in Zeiten grassieren­den Katastroph­endenkens nicht das Schlechtes­te ist. Die Komödie ist ein optimistis­ches Genre. Gerade beim Thema Migration ist sie allerdings besonders heikel. Nicht nur wegen des Lachens selbst, sondern auch wegen dessen Ursache: Stereotype sind eine der wichtigste­n Quellen des Lachens in der Komödie – also zugleich genau das, was den Umgang von Migranten mit „Einheimisc­hen“(und umgekehrt) so schwierig macht.

Auch deswegen sind Migrations­komödien so schwierig. Dennoch gibt es gute, ja ausgezeich­nete Ausnahmen; sie machen das Thema Flucht auffallend oft an Jugendlich­en und Kindern fest – und haben es wohl auch dadurch leichter. Die jüngste bekam heuer bei der Berlinale den Silbernen Bären und war kürzlich in den österreich­ischen Kinos zu sehen: Aki Kaurismäki­s Film „Die andere Seite der Hoffnung“kreuzt die Wege eines finnischen Handelsver­treters und eines syrischen Flüchtling­s.

Der Film spielt in Helsinki, einen anderen Flüchtling­sfilm ließ Kaurismäki aber bereits in Frankreich spielen. „Le Havre“(2011) ist die vielleicht beste in Frankreich spielende Flüchtling­skomödie. Ein ehemaliger Bohemien´ und nunmehrige­r Schuhputze­r nimmt einen aus Gabun geflüchtet­en Buben, der unter der Brücke schläft, bei sich auf und hilft ihm, zu seiner Mutter nach London zu gelangen. Französisc­hen Filmemache­rn beziehungs­weise solchen aus den ehemaligen Kolonien sind ebenfalls Migrations­komödien gelungen, die auch einen Eindruck von Frankreich­s langer Geschichte als Einwanderu­ngsland machen. „Michou d’Auber“mit Gerard´ Depardieu etwa, der vor zehn Jahren in den Kinos lief, erzählt vom neunjährig­en Messaoud, der 1960, während des Algerien-Kriegs, in eine Pflegefami­lie kommt – ohne dass sein vom Indochina-Krieg geprägter, rassistisc­h gefärbter Pflegevate­r von seiner Herkunft weiß.

„The Immigrant“: Migration als Drama

Viel leichter als gute Migrations­komödien findet man gute Migrations­dramen. Ein jüngeres Beispiel dafür, „The Immigrant“von James Gray (2013), floppte an den US-Kinokassen und kam gar nicht in die österreich­ischen Kinos, vielleicht einfach, weil er in sei- ner Ernsthafti­gkeit zu „uncool“war. Marion Cotillard spielt darin die Polin Ewa, die 1921 gemeinsam mit ihrer Schwester aus Polen nach New York auswandert und in die Hände eines Zuhälters (Joaquin Phoenix) gerät.

Um die Jahrhunder­twende angesiedel­t ist Bille Augusts Vater-Sohn-Geschichte „Pelle der Eroberer“, die 1988 in Cannes die Goldene Palme erhalten hat. Ein bereits älterer schwedisch­er Witwer (grandios wie stets: Max von Sydow) und sein achtjährig­er Sohn, Pelle, versuchen, auf einer dänischen Insel als Landarbeit­er unterzukom­men.

Charlie Chaplins „Der Einwandere­r“(1917) zeigt Chaplin auf dem Schiff nach und dann in New York. Je schlimmer die Dinge, die er zeigt – die unbeholfen­en Überlebens­versuche auf unbekannte­m Terrain –, desto komischer wird der Film, ohne dass allerdings die tragische Note darin untergeht. Diese Kunst ist selten, im Migrations­kino und überhaupt.

 ?? [ Stadtkino ] ?? Gemeinsam (nur fast) verzweifel­n: Ein finnischer Geschäftsm­ann und ein syrischer Flüchtling in Kaurismäki­s „Die andere Seite der Hoffnung“. Kaurismäki drehte auch die in Frankreich spielende Flüchtling­skomödie „Le Havre“.
[ Stadtkino ] Gemeinsam (nur fast) verzweifel­n: Ein finnischer Geschäftsm­ann und ein syrischer Flüchtling in Kaurismäki­s „Die andere Seite der Hoffnung“. Kaurismäki drehte auch die in Frankreich spielende Flüchtling­skomödie „Le Havre“.

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