Die Presse

Die bösen Seiten des Spielens

Das Tag. Esther Muschol zeigt mit „Weiße Neger sagt man nicht“eine gelungene und blendend gespielte Wirtschaft­s- und Gesellscha­ftssatire über den leisen Büroterror.

- VON BARBARA PETSCH

Ein steriler Raum, hier warten sechs Anwärter für höheres Management auf ihre Beförderun­g in einen internatio­nalen Konzern. Ein Trainer erscheint und avisiert einen harten und langen Tag im Assessment­center. Die Methode geht auf chinesisch­e Auswahlver­fahren für den öffentlich­en Dienst sowie jene für Offiziersa­nwärter nach dem I. Weltkrieg zurück. Grob gesprochen vertraut man nicht auf das Gerede der Interessen­ten, man lässt sie sich leibhaftig erproben, kreiert Spielsitua­tionen, in denen sie sich offenbaren oder entlarven.

Spielen ist ein weites Feld. Es sollte spontan sein, das ist es weder im profession­ellen Theater noch bei der Personalsu­che noch bei Planspiele­n der Wirtschaft. Jeder versucht, sich besser darzustell­en, als er ist. Das tun auch die Anwärter fürs höhere Management. Doch für einen gut dotierten Job, so stellt sich heraus, können Menschen zu den unglaublic­hsten Handlungen gebracht werden: Sie kriechen auf dem Boden herum und massieren einander den Hintern, sind also, wie der Volksmund sagt „weiße Neger“, die sich aufgrund einer Notsituati­on jedem Missbrauch unterwerfe­n müssen.

Brillant: Nancy Mensah-Offei

„Weiße Neger sagt man nicht“, heißt ein Stück von Esther Muschol, das Samstagabe­nd im Theater an der Gumpendorf­er Straße (Tag) uraufgefüh­rt wurde. Die 1976 geborene Münchnerin, die am ReinhardtS­eminar studiert und am Burgtheate­r gearbeitet hat, wollte Nestroys „Talisman“über die Karriereka­priolen eines Rothaarige­n nacherzähl­en, kam aber dann auf die Diskrimini­erung von Schwarzen. Von Nestroy blieb in dem Text, den Muschol mit dem Ensemble erarbeitet und selbst inszeniert hat, nur mehr die Grundidee übrig. Die 90 Minuten ohne Pause dauernde Wirtschaft­s- und Gesellscha­ftssatire ist gleicherma­ßen komisch wie grausam. Schwarzer Humor? Nein. Was hier geboten wird, ist nur allzu realistisc­h und stellt Brecht mit seinen poetischen, politisch aber oft allzu plakativen Lehrstücke­n über Ökonomie („Die heilige Johanna der Schlachthö­fe“) weit in den Schatten. Die Aufführung verzichtet jedoch auch auf die Zeigefinge­rmoral vieler heutiger Wirtschaft­ssatiren. Muschol hat sich mit dem Thema wirklich gründlich befasst.

Dass sie ohne Illusion agiert, macht die Sache umso erfreulich­er, könnte aber für Diskussion sorgen: Die Frage, ob Machthaber aus der Dritten Welt mit ihrer Grausamkei­t Geschöpfe des europäisch­en Kolonialis­mus sind oder sie, auf sich gestellt, skrupel- loser wären als die Europäer, ist ja stets virulent. Der Text ist großartig, die Aufführung witzig, das Ensemble erweist sich als typengerec­ht besetzt und wunderbar vorbereite­t.

Nancy Mensah-Offei begeistert als undurchsch­aubare Aufsteiger­in und als zynische Rächerin, Michaela Kaspar spielt die ehrgeizige Amelia, die immer als Erste aufzeigt, Jeans Claßen gibt Björn, den bissigen Systemvete­ranen, Georg Schubert Johann, den Kumpel aus der Chefetage, Elisabeth Veit brilliert als Beatrix und erheitert mit einer kleinen Pröll-und NÖ-Satire – und Raphael Nicholas hat sich Salomo, den stets vom Absaufen bedrohten Surfer auf Hierarchie­n anverwande­lt. Peinlichke­it und Schadenfre­ude sind ein wichtiger Treibstoff des Theaters. An diesem Abend über den leisen Terror im Büro zündet er besonders grell.

 ?? [ Anna Stöcher ] ?? Treffende Typologie der Aufsteiger und Variatione­n der Aufstiegsm­ethoden im Tag.
[ Anna Stöcher ] Treffende Typologie der Aufsteiger und Variatione­n der Aufstiegsm­ethoden im Tag.

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