Kurz soll die Konferenz der Landeshauptleute abschaffen
Der Machtwechsel in der ÖVP hat die Stärke der Bundesländer als falschen Mythos der Zweiten Republik entlarvt. Charakterschwächen und Kraftlosigkeit auch.
So schnell kann es in Zeiten wie diesen gehen. An einem einzigen Tag wurde in der Vorwoche ein Mythos zerstört, der bisher zu den allgemein akzeptierten Wahrheiten der Zweiten Republik gehört hat: Die wahren Mächtigen sind die Landeshauptleute.
Die Entlarvung dieser behaupteten Wahrheit als falsche Vorstellung fand ausgerechnet im Denkerdorf Alpbach in Tirol statt. Denn das Verhalten der dort versammelten ÖVP-Landeshauptleute und der drei SPÖ-Landeshauptmänner war herzergreifend konfus. Von wegen Machtzentrum der Republik!
Für diese Bloßstellung wird man Sebastian Kurz vielleicht einmal danken können. Er hat sie nämlich durch die Präsentation der Kapitulationsforderung an die ÖVP zur gleichen Zeit in Wien ausgelöst. Die in immer währender Monotonie beschworene Stärke der Länderchefs war plötzlich auf keiner Seite mehr zu sehen.
Die „Schwarzen“versuchten, ihre eigene Schwäche mit Bewunderung für das „Jahrhunderttalent“Kurz zu kaschieren. Die „Roten“, Michael Häupl, Peter Kaiser und Hans Niessl, waren offenbar nicht Manns genug, sich eine Störung der Landeshauptleutekonferenz durch die Vorgänge in der ÖVP zu verbieten. So standen die einen kleinlaut, die anderen mieselsüchtig vor der grandiosen Bergkulisse in Tirol. Und niemand interessierte sich für sie.
In der Folge haben sich die landesfürstlichen Parteifreunde von Kurz beeilt zu beteuern, er erhalte von ihnen nur dieselbe Macht, die sie in ihren Ländern immer schon haben. Das provoziert schon die Frage, warum sie dies nicht schon längst allen Bundesparteiobmännern zugestanden haben. Ob sie dann nicht der Bundespartei das Siechtum der letzten Jahrzehnte hätten ersparen können? Eher sind diese Aussagen aber als Schutzbehauptung zu werten, um die verheerende Optik einer erfolgreichen Erpressung zu verwischen.
In den vergangenen Tagen bemühte man sich, dem ganzen noch einen anderen Spin, also Dreh, zu geben: Alles sei abgesprochen gewesen. Dann aber wäre die Sache noch schlimmer für die Landeshauptleute der ÖVP. Das würde nämlich bedeuten, sie hätten gar nicht überrissen, wie sehr sie diese Inszenierung in Wien beschädigen würde. So gedankenlos aber können ÖVP-Ländergranden nicht einmal in Panik einer Führungskrise in der Partei gewesen sein. Für Niederösterreichs Johanna Mikl-Leitner wenigstens möchte man das ausschließen wollen.
Noch ein Aspekt, der die Landeshauptleute der ÖVP schwer beschädigt und ihre Glaubwürdigkeit auf lange Zeit untergräbt, wurde durch die Ereignisse der Vorwoche offenkundig. Zwar wissen alle Beobachter nun schon seit gefühlten ewigen Zeiten, dass ein ÖVP-Obmann dann bereits Geschichte ist, wenn der erste Landeshauptmann sagt, er sei „unumstritten“. So anstandsbefreit aber, wie sich Hermann Schützenhöfer (Steiermark) und Günther Platter (Tirol) in der Causa Mitterlehner/ Kurz verhalten haben, ist selbst in einer Partei mit unterentwickeltem Ehrlichkeitsverlangen ein starkes Stück.
Die beiden hätten sich bei ihren Lobpreisungen für Kurz eigentlich verschlucken sollen. Sie müssen sich doch an ihre eigenen Worte vor kurzer Zeit erinnert haben. Noch im Jänner hat Schützenhöfer im ORF verkündet, Mitterlehner sei „unumstritten“; im September 2016 haben Platter und Josef Pühringer Loyalitätserklärungen abgegeben. Warum hatten sie damals nicht den Mut, Reinhold Mitterlehner zu sagen: „Es ist vorbei!“– wenn sie doch heute wissen, nur Kurz könne die Partei retten.
Dieser Demonstration von Kraftlosigkeit aufseiten der SPÖ-Länderchefs und Charakterschwäche auf ÖVP-Seite ist auch Positives abzugewinnen: Eine grundlegende Föderalismusreform wäre doch möglich. So mächtig, wie die Landeshauptleute tun, sind sie gar nicht.
Jetzt ist klar: Die Landeshauptleutekonferenz, ohnehin nirgends verankert, könnte abgeschafft werden. Ein großer Wurf für einen starken ÖVP-Chef, oder?