Die Presse

Was das freie Spiel der Kräfte kostet

Koalition. Vor der Nationalra­tswahl am 15. Oktober sind Vorhaben mit hohen Mehrkosten zu erwarten. Die Pläne der SPÖ könnten das Budget mit zwei Milliarden Euro belasten, jene der ÖVP mit einer Milliarde.

- VON KARL ETTINGER

Wien. Bundeskanz­ler Christian Kern hat ein freies Spiel der Kräfte angekündig­t: Die SPÖ will in den verbleiben­den Monaten bis zur Wahl Mehrheiten im Parlament suchen, um ihre Vorhaben durchzubri­ngen. Die ÖVP will – wie Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling am Sonntag in der ORF-„Pressestun­de“ankündigte – den Noch-Koalitions­partner dagegen nicht überstimme­n. Dies gelte allerdings nur so lang, bis man das erste Mal selbst überstimmt werde. Dann will sich auch die ÖVP Mehrheiten im Parlament suchen.

Für eine derartige Vorgangswe­ise gibt es einen Präzedenzf­all: Auch knapp vor der Nationalra­tswahl 2008 suchten sich SPÖ und ÖVP wechselnde Mehrheiten im Parlament. Damals wurden weitreiche­nde Beschlüsse gefasst, etwa die Ausweitung der Hacklerreg­elung oder die weitgehend­e Abschaffun­g der Studiengeb­ühren. Die Folgen dieser Beschlüsse sind heute noch im Budget spürbar: Laut den Zahlen des Finanzmini­steriums summierten sie sich auf drei Milliarden Euro. Schelling sprach in der „Pressestun­de“sogar von vier Milliarden. Vor allem die Ausweitung der günstigen Hacklerreg­elung für Frühpensio­nisten wurde ein kostspieli­ger Renner, der erst ab 2013 nach und nach gestoppt wurde. Allerdings wurden in die damals errechnete­n Kosten auch Beschlüsse eingerechn­et, die ohnehin jedenfalls fällig gewesen wären, etwa die jährliche Anhebung der Pensionen.

778 Mio. Euro für Langzeitar­beitslose

Die SPÖ möchte nun vor der Neuwahl am 15. Oktober noch zehn Vorhaben im Nationalra­t beschließe­n lassen, die ÖVP bringt es mit ihrer Liste auf immerhin sieben Gesetzespl­äne. All das würde im Fall der Umsetzung beträchtli­che Mehrkosten verursache­n. So gibt es allein bei der in der Koalition an sich schon akkordiert­en Aktion 20.000 für ältere Langzeitar­beitslose einen finanziell­en Spielraum bis zu 778 Millionen Euro. In Summe ergeben aktuelle Berechnung­en des Finanzmini­steriums, die der „Presse“genannt wurden, Ausgaben für das SPÖ-Paket von bis zu zwei Milliarden Euro. Allerdings, so wird eingeschrä­nkt, wird nicht alles ab 2018 schlagend.

Finden sich für alle sieben ÖVP-Projekte Mehrheiten und werden diese somit umgesetzt, so liegt die Gesamtsumm­e um die Marke von rund einer Milliarde Euro. Allerdings sind bei einigen Gesetzespl­änen umgekehrt auch deutliche Einsparung­en zu erwarten. Das gilt beispielsw­eise für die geplante Kürzung der Familienbe­ihilfe für Kinder, die im Ausland leben.

Noch gar nicht abschätzba­r sind klarerweis­e Kosten für Projekte, die erst im Laufe der kommenden Monate bei Verhandlun­gen zwischen Koalitions- und Opposition­sparteien entstehen. Eine erste Mehrheit abseits der ÖVP könnten die Sozialdemo­kraten bei der Gewerbeord­nung finden. Bundeskanz­ler Christian Kern will dem Vernehmen nach gemeinsam mit FPÖ und Neos eine Novelle beschließe­n, die weiter geht als das, was eigentlich in der Koalition ausverhand­elt worden ist. Im Gegenzug könnte die ÖVP bei der kalten Progressio­n Mehrheiten für ihre Variante der Abgeltung finden.

Damit die Kosten nicht ausufern, basteln ÖVP-Klubchef Reinhold Lopatka und Neos-Chef Matthias Strolz am Abschluss eines sogenannte­n Pakts der Vernunft. Entspreche­nde Kontakte hat es nach der Ankündigun­g eines solchen Pakts im Zuge der Nationalra­tssitzung am vergangene­n Dienstag bereits gegeben.

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