Erdöl: Woche W hd der Entscheidung
Energie. Die Wirtschaft braucht Öl als ihr Schmiermittel, seinen Preis hat sie immer im Visier – aber schon lang nicht mehr so stark wie zurzeit. Diese Woche sollte auch für Anleger klarer werden, ob sich ölnahe Investitionen künftig lohnen.
Lohnen sich erdölnahe Investitionen? Das sollte bald klarer werden.
Wien. Was waren das für Zeiten! Als die Wirtschaft und die Rohstoffbranchen noch darüber räsonierten, wann und wie schnell der Ölpreis sich von seinem katastrophalen Absturz seit Mitte 2014 wieder erholen und über die Marke von über 100 Dollar je Fass zurückkehren würde. Selbst allenthalben geäußerte Hoffnungen auf Notierungen im zumindest hohen zweistelligen Bereich liegen gerade einmal ein gutes Jahr zurück. Und dennoch ist das alles längst Schnee von gestern. Heute gilt schon als Exot, wer einen Preis von über 60 Dollar prognostiziert – weshalb das auch so gut wie niemand macht.
Tendenz nach unten
Die Ölmultis und -staaten sind froh, wenn die Notierung für die Sorte Brent im Bereich von 50 bis 60 Dollar pendelt (die US-Sorte WTI ist etwas billiger). Zumindest auf absehbare Zeit. Mittel- und langfristig nämlich dürfte die Tendenz nach unten zeigen, wie Dieter Helm, Professor für Energiepolitik der Oxford University, kürzlich auf der großen Energiemesse Flame in Amsterdam betonte. Die Gründe: Das Verbraucherwachstum stagniert, die Förderung werde – vor allem in den USA – steigen, das Überangebot bleibe konstant.
Das mussten auch die Organisation Erdöl fördernder Länder (Opec) und einige Nicht-Opec-
Staaten, allen voran der weltweit größte Produzent, Russland, ernüchtert zur Kenntnis nehmen. Nachdem sie sich in einem historisch einmaligen Konsens Ende 2016 auf eine Förderkürzung geeinigt hatten, stabilisierte sich der Preis zwar für einige Monate auf über 55 Dollar. Anfang Mai aber sackte er wieder auf unter 50 Dollar ab. Der Grund: Die Amerikaner fahren viele ihrer Anlagen zur umstrittenen Förderung aus Schiefergestein, die sie preisbedingt zwischenzeitlich stillgelegt haben, wieder schneller hoch, als dies erwartet worden war.
Opec am Donnerstag in Wien
Nun werden die Opec und ihre neuen Verbündeten abermals aktiv und überlegen, die mit Juni auslaufende Förderkürzung auf ihrer Sitzung am 25. Mai in Wien bis zum ersten Quartal 2018 zu verlängern. Die Vorentscheidung ist jedenfalls gefallen: Vorigen Montag machten Russland und Saudiarabien, die weltweit größten Ölproduzenten, ihre Absicht dazu deutlich. Das allein hat den Ölpreis bis Freitag auf über 53,5 Dollar katapultiert. Eine Einigung am Donnerstag ist durchaus wahrscheinlich. Kuwait, der Irak und Venezuela haben ihre Unterstützung zugesagt. „Viele Ölförderstaaten sind in einer schwierigen Situation und brauchen einen höheren Preis“, sagt Friedrich Mostböck, Leiter Research bei der Erste Group, auf Anfrage. Gestützt und beflügelt wurde der Ölpreis auch von der vorwöchigen Meldung, die Lagerbestände in den USA seien zurückgegangen. Gewiss, die Prognosen sind kurzlebig und komplex geworden. „Wir sehen die Tiefe des Eisbergs nicht“, formulierte es Vagit Alekperov, Chef von Russlands zweitgrößtem Ölkonzern Lukoil, im Vorjahr im Interview mit der „Presse“: „Das Problem ist, dass wir heu- te alle jene Markttendenzen, die im Bereich des Energiekonsums vor sich gehen, ziemlich schlecht analysieren und erahnen.“
Neue Fakten im Iran
Was Ahnung und Realität jenseits von Opec-Treffen betrifft, so dürfte der Sieg des reformorientierten Amtsinhabers Hassan Rouhani bei den Präsidentenwahlen am Freitag im Iran den Ölpreis zusätzlich belasten. Und zwar – so die Commerzbank in einem Szenario – dürften durch das Votum „westliche Investitionen in den nächsten Jahren zu einem merklichen Anstieg der iranischen Ölproduktion führen, analog zum Nachbarland Irak. Dieser konnte seine Ölproduktion innerhalb von drei Jahren um 1,5 Mio. Barrel pro Tag stei- gern.“Eine mindestens so starke Kapazitätserweiterung für die nächsten fünf Jahre schwebt dem Iran vor. Das wäre fast so viel, wie die Opec und die verbündeten Nicht-Opec-Staaten derzeit an Förderkürzungen umsetzen. Freilich ist nicht ausgemacht, wie sehr die Hardliner im Iran die Öffnung des Landes weiter hintertreiben. Wahrscheinlich jedenfalls sei, dass Brasilien und westafrikanische Länder ab 2018 deutlich mehr aus neuen Ölfeldern fördern, wie Alexander Pögl vom Forschungsinstitut JBC meint. Viele Unbekannte also bei der Hochrechnung des künftigen Ölpreises. Auch wenn sie nicht geklärt werden können, sollten Anleger sie zumindest im Hinterkopf haben, wenn sie Werte aus dem Sektor ins Auge fassen. Zumindest kurzfris- tig können die Einzelereignisse zu Ausschlägen beim Ölpreis in beide Richtungen führen. Eine Volatilität von plus/minus zehn Prozent ist noch nicht außergewöhnlich.
Was die Einzeltitel betrifft, so ist Mostböck gegenüber der einheimischen OMV nach wie vor „relativ positiv“gestimmt, da sie nach einer Durststrecke nun mit den Restrukturierungsmaßnahmen „gut aufgestellt“sei. Binnen eines Jahres hat sich ihr Wert auf 48 Euro verdoppelt. Citigroup und Jefferies raten aktuell dennoch zum Kauf und haben die Kursziele auf deutlich über 50 Euro erhöht. Auch Barclays, mit der Empfehlung „Overweight“. Nur UBS sagt „Verkaufen“.
Andere internationale Branchentitel liefen nicht so sensationell, haben seit Mitte 2016 aber auch zugelegt: BP und Shell um die 40 Prozent, die französische Total 21 Prozent, während Exxon Mobil als fast Einziger ein leichtes Minus aufweist. Seit Jahresbeginn – also nach dem Opec-Hype vom Dezember – haben indes fast alle verloren.
Dividendenstark
Gleichzeitig winken die renommierten Ölkonzerne durchwegs mit hohen Dividendenrenditen von vier bis sieben Prozent (Letzteres beim Dividendenkönig Shell). Nick Clay von der Fonds-Boutique Newton Investment Management hebt angesichts des aktuellen Wettstreits zwischen amerikanischen und europäischen Aktien unter anderem den europäischen Ölsektor hervor. Dieser habe Aufholpotenzial und sei einer jener Sektoren, in denen ein Konjunkturzyklus abgeschlossen sei. Die gesteigerte Kostendisziplin verleihe den Firmen nun mehr Profit. Interessant wären vor allem integrierte Ölunternehmen. Bei Ölkonzernen aus Schwellenländern wie Russland, wo das Kurs-GewinnVerhältnis chronisch niedrig ist, muss im Übrigen der Währungskurseffekt mitbedacht werden. Das gilt auch für den skandalträchtigen brasilianischen Konzern Petrobras, der unter dem neuen Management wieder Gewinne erwirtschaftet. Die Aktie kostet heute nur einen Bruchteil von vor zehn Jahren. Auf Jahressicht hatte sie deutlich mehr als die Hälfte zugelegt gehabt, ehe sie durch den politischen Skandal vorigen Donnerstag um bis zu 20 Prozent fiel. Nicht risikofrei also, aber niedrig bewertet. [ istockphoto ]