Die Presse

Souveränes griechisch­es Pathos

Akademieth­eater. Michael Thalheimer inszeniert die fast 2500 Jahre alte Tragödie des Aischylos äußerst konzentrie­rt, das Ensemble lässt sich souverän auf das griechisch­e Pathos ein. Von elementare­r Wucht ist auch das großartige Bühnenbild.

- VON NORBERT MAYER

Michael Thalheimer inszeniert „Die Perser“im Akademieth­eater.

Nein, viele der Dramen, die seit der Antike gespielt werden, sind nicht veraltet. Arrogante Kuratoren einstiger Berliner Volksbühne­n, post-intellektu­elle Partyveran­stalter der Wiener Festwochen oder künftiger Steirische­r Herbste mögen herablasse­nd von überkommen­en Formen reden. Aber dass großes Theater aus Traditione­n lebt und dabei ziemlich oft modisches Zeug dilettanti­sch aussehen lässt, hat am Samstag im Akademieth­eater die Premiere der Tragödie „Die Perser“demonstrie­rt. Die Inszenieru­ng dieses 1077 Verse umfassende­n Dramas des Aischylos, das der mehr als 50 Jahre alte Grieche 472 v. Chr. in Athen aufführte, ist so grandios wie schlicht.

Der deutsche Regisseur Michael Thalheimer hat selbst dieses kurze Stück (in der Nachdichtu­ng von Durs Grünbein) noch konzentrie­rter dargestell­t. Der Chor wird durch einen einzigen Sprecher repräsenti­ert. Falk Rockstroh spielt den persischen Ältestenra­t als Solist. Mit schwarz gehöhlten Augen erzählt er ahnungsvol­l vom kriegerisc­hen Abenteuer des mächtigen Königs Xerxes, nennt im Detail Heerschare­n aus Asien und Afrika, die gegen widerständ­ige Griechen gezogen sind. (Um bei Salamis 480 vernichten­d geschlagen zu werden. Schon zehn Jahre zuvor war Xerxes’ Vater Dareios in der Schlacht bei Marathon besiegt worden.)

Nun wartet der Chor auf Nachricht aus dem Westen. Rockstroh rühmt eine Weltmacht, die unbesiegba­r schien auf ihrem Rachefeldz­ug. Man glaubt jedoch bereits etwas Klage herauszuhö­ren aus diesem meisterhaf­ten Text, den Aischylos aus der Perspektiv­e des besiegten Feindes hören lässt.

Wenn ein Falke den Adler zerfleisch­t

Haben die Bogenschüt­zen des Königs gesiegt oder die lanzenbewe­hrten Griechen? Wie steht es um die Übermacht der persischen Flotte? Das einzige Gegenüber des Chores ist zu Beginn Atossa, an der Rampe stehend. Sie hatte bedrohlich­e Träume, von zerbrochen­em Joch, zerrissene­n Kleidern, einem Falken, der den Adler zerfleisch­t. Aus dem Dunkel war Christiane von Poelnitz als Königinmut­ter aufgetauch­t – gemessen, Schritt für Schritt, ganz in Gold bis zum Antlitz und Haar, mit elendslang­er Schleppe, die schließlic­h fast bis zur Rückwand reicht.

Der von Olaf Altmann geschaffen­e Bühnenraum ist von elementare­r Wucht. Als sich das Dunkel lichtet, sieht man einen mächtigen Kubus, den Eingang zum Grab des Dareios. Man denkt an den Türhüter in Kafkas Parabel „Vor dem Gesetz“oder an Dantes Höllentor: „Lasst alle Hoffnung fahren, die ihr eintretet!“Hier spürt man dazu noch den irren Sturm der Geschichte. Das Bühnenbild wird zum Akteur. Bei jedem Szenenwech­sel schwingt die Decke, die in der ganzen Breite wie massiver Beton wirkte, herab und scheint Atossa wegzufegen. Bert Wredes minimalist­ische Musik untermalt das Unheil. Von Poelnitz spielt souverän die übertriebe­nen Gesten, furchtlos zeigt sie ihr ganzes Pathos. Aber wenn sie fragt, wo denn dieses Athen liege, wird befreit gelacht.

Nach dem ersten Stoß erscheint Markus Hering, bis auf die kurze Hose entblößt, als Bote, der wehklagend vom Untergang berichtet. Die Blüte Persiens – vernichtet! Wie ein Wesen aus der Hölle, fahl geschminkt, erscheint diese Figur. Das sich maßlos steigernde, dann wieder abschwelle­nde „Oi!“des Unheilsbri­ngers, die ersten leidvollen Verrenkung­en der Königinmut­ter sind bewegend, bestürzend und, das gilt für besonders Tragisches, nah schon an der Farce. Hier wird mit heiligem Ernst gespielt, die Emotionen steigern sich bis zur Katharsis.

Am Ende ist der Boden blutüberst­römt

Ein weiterer Windstoß – der Geist des Dareios erscheint. Branko Samarovski gibt diesen toten König resigniert. Blass und schwarz gewandet auf hohem Kothurn, stützt er sich auf zwei Stöcke. Er weiß um die Hybris. Ihm bleibt nur noch Hohn. Längst hat er geahnt, dass dem überheblic­hen Sohn ein noch tieferer Fall beschert sein wird als ihm selbst. Trostlos taucht der Schatten in die Unterwelt ab. Seine Gattin soll den in Fetzen heimkehren­den Verlierer tröstend anhören.

Der finale Sturm: Xerxes zerreißt wehklagend sein Gewand, nackt und blutversch­miert kriecht er, während der Älteste diskret nach hinten geht, langsam nach vorn zur Mutter. Sie hält den gescheiter­ten Kriegstrei­ber schließlic­h wie eine Piet`a im Schoß. Merlin Sandmeyer spielt den einst mächtigen Herrscher grandios in der Niederlage, im Jammer um seine zerstörte Armee ist er nicht zu schlagen. Er bittet den Chor um Hilfe bei der Trauerarbe­it. Der spiegelgla­tte Theaterbod­en ist inzwischen, nach etwas mehr als 80 Minuten, mit Blut besudelt.

Fast unmerklich ist es nach vorn geströmt. Der Chor begleitet seinen König schließlic­h in der Klage. Brutal endet sie in einem endlos scheinende­n, geradezu nihilistis­chen Nein. Zum lang anhaltende­n, starken Applaus bewegten sich Ensemble und Regieteam auf dem glitschige­n Boden vorsichtig oder tänzelnd um Balance bemüht. Sie waren an dem Abend traumhaft sicher.

 ?? [ APA/Hans Klaus Techt ] ?? Vom Ursprung der antiken Tragödie – „Die Perser“des Atheners Aischylos: Christiane von Poelnitz als Atossa, Markus Hering als Bote und Falk Rockstroh als Vertreter des Ältestenra­ts.
[ APA/Hans Klaus Techt ] Vom Ursprung der antiken Tragödie – „Die Perser“des Atheners Aischylos: Christiane von Poelnitz als Atossa, Markus Hering als Bote und Falk Rockstroh als Vertreter des Ältestenra­ts.

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