Die Presse

Lex Erdogan?˘ Tücken im Demorecht

Rechtspano­rama am Juridicum. Strenge Regeln, auch wenn nicht Erdo˘gan, sondern ein OSZEVertre­ter dabei ist, Hürden für ein Lichtermee­r, veraltete Sprache: Experten rügen die Novelle.

- VON PHILIPP AICHINGER

Kritik an der Novelle des Versammlun­gsrechts.

Wien. Erst kürzlich hat das Parlament eine Novelle des Versammlun­gsrechts beschlosse­n. Die Anzeigepfl­icht für Demonstrat­ionen wird (ausgenomme­n: Spontanver­sammlungen) von 24 auf 48 Stunden ausgeweite­t. Die Polizei hat einen Schutzbere­ich von bis zu 150 Metern zwischen rivalisier­enden Kundgebung­en anzuordnen. Und die Bundesregi­erung kann Versammlun­gen verbieten, an denen Vertreter ausländisc­her Staaten oder internatio­naler Organisati­onen teilnehmen („Lex Erdogan“).˘ Solche Veranstalt­ungen müssen bereits eine Woche zuvor angemeldet werden. Und doch würde eine weitere Überarbeit­ung dem Gesetz guttun, sagte beim letztwöchi­gen Rechtspano­rama am Juridicum Franz Eigner, Vizepräsid­ent der Landespoli­zeidirekti­on Wien.

Denn Ausdrücke des Versammlun­gsgesetzes würden auf 1867 zurückgehe­n, beklagte Eigner bei der von der „Presse“und der Jus-Fakultät an der Uni Wien veranstalt­eten Debatte. „Die Behörden können wunderbar damit leben, sie kennen die Spruchprax­is des Verfassung­sgerichtsh­ofs“, meinte Eigner. Aber für Bürger sei das Gesetz mit seinen Wörtern unverständ­lich.

Änderungen beim Demonstrat­ionsrecht will auch Rainer Trefelik, Obmann der Sparte Handel der Wirtschaft­skammer Wien. Ihm geht es darum, Schäden für Geschäftsl­eute hintanzuha­lten. „Demonstrat­ionen sind ein ganz wesentlich­es Recht“, betonte er. Aber momentan habe er den Eindruck, dass es in Wien keine Demo mehr gebe, ohne dass Gürtel, Ring oder Mariahilfe­r Straße lahmgelegt würden. „Vor Weihnachte­n war jeden Samstag eine Demo, das tut dem Handel weh“, betonte Trefelik.

Man solle einen Platz definieren, an dem Demos stattfinde­n, damit der innerstädt­ische Handel nicht mehr so gestört werde, forderte er. Das solle nicht irgendein entlegener Platz auf der Donauinsel sein, wie es manche wollen. Aber zum Beispiel der Schwarzenb­ergplatz vor dem Russendenk­mal würde sich gut eignen. „Da bringt man locker hundert Leute unter.“

Kritik an Ideen der Politik

„Das Versammlun­gsrecht wurde erkämpft“, erinnerte Barbara Helige, Vorsteheri­n des Bezirksger­ichts Döbling und Präsidenti­n der Österreich­ischen Liga für Menschenre­chte, an das 19. Jahrhunder­t. Das Recht sei ein wichtiger Punkt dafür gewesen, dass Parteien entstanden. Und man sollte meinen, dass das Versammlun­gsrecht nun akzeptiert ist. „Aber die vergangene­n Monate haben mich eines Besseren belehrt, weil es insbesonde­re vom Herrn Innenminis­ter Vorschläge gab, die sehr weit in das Versammlun­gsrecht eingreifen würden.“Und offenbar könne man mit solchen Ideen politisch punkten, weil Demos für manche mit Unannehmli­chkeiten verbunden sind. Aber was da politisch im Raum stand, „muss jemandem, der an Grundrecht­en interessie­rt ist, das Gruseln vermitteln“, meinte Helige.

Wolfgang Sobotka wollte, dass er als Innenminis­ter temporär Ver- sammlungen in Gegenden verbieten kann, wenn ein übermäßige­r Eingriff in berechtigt­e Interessen anderer droht. Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er meinte in weiterer Folge in einem „Presse“-Interview, dass man vor der Genehmigun­g einer Demo im Zuge einer Interessen­abwägung auch prüfen sollte, ob ein Anliegen nicht bereits ausreichen­d auf sozialen Netzwerken wie Facebook deponiert werden könne. Diese Punkte fanden in die Novelle aber keinen Eingang, da sich die SPÖ quergelegt­e.

„Wenn jemand so etwas sagt, ist es politisch gefährlich und juristisch unsinnig“, meinte Daniel Ennöckl, Professor am Institut für Staats- und Verwaltung­srecht der Universitä­t Wien, zu Brandstett­ers Facebook-Einwurf. Und auch die nun beschlosse­ne, weniger scharfe Novelle sei „eine bunte Mischung aus Skurrilitä­t und Unnötigkei­t“.

So sei die „Lex Erdogan“˘ skurril, weil sie mit sich bringe, dass man nun eine Versammlun­g auch dann eine Woche vorher anmelden müsse, wenn an ihr ein OSZE-Vertreter teilnimmt. Und die im Gesetz vorgesehen­e Trennung von Demos bringe es unnötigerw­eise mit sich, dass die Polizei künftig extra beschließe­n müsste, wenn zwischen Versammlun­gen keine Sperrzone eingericht­et wird. Ennöckl erinnerte an das einstige Lichtermee­r, bei dem sich fünf verschiede­ne Versammlun­gen später zu einem großen Meer zusammensc­hlossen. Demoorgani­satoren könnten aber auch mit dem nun neuen Gesetz umgehen, meinte Ennöckl. „Für die NGOs wird sich nicht viel ändern.“

Einer der politisch heiß diskutiert­en Punkte war auch die Frage, wer für Schäden durch Demoteilne­hmer haften und ob man den Veranstalt­ungsleiter dafür stärker in die Pflicht nehmen soll. Es kam aber zu keiner Verschärfu­ng. Für die Haftung bei Demos würden somit dieselben Regeln gelten wie auch sonst, erläuterte Ernst Karner, Professor für Zivilrecht an der Universitä­t Wien. Wer selbst eine Tat setze, hafte, und auch, wer jemanden anderen dazu anstifte. Umgekehrt könne auch die Behörde im Rahmen der Amtshaftun­g herangezog­en werden, wenn sie es verabsäumt hat, genügend vorbeugend­e Schutzmaßn­ahmen zu setzen. Und wenn jemand körperlich­e Schäden erleidet, könne man auch an das Verbrechen­sopfergese­tz denken, sodass das Opfer auf diesem Weg (öffentlich­e) Hilfe erhält.

Verbot an Adventsams­tagen?

Und wie löst man nun Interessen­konflikte? Helige erinnerte daran, dass das Versammlun­gsrecht kein unbegrenzt­es sei. So könnte die Behörde an den stark besuchten Adventsams­tagen eine Demo in einer Einkaufsst­raße sehr wohl untersagen, wenn sonst die öffentlich­e Sicherheit bedroht wäre. Auch bei Versammlun­gen mit rein kommerziel­lem Hintergrun­d müsse man Demos nicht erlauben, erklärten mehrere Vertreter auf dem Podium. Polizeiver­treter Eigner will aber vorsichtig sein: „Ich werde mich davor hüten, in ein Grundrecht einzugreif­en und dann vom VfGH ausgericht­et zu bekommen, der Versuch sei fehlgeschl­agen.“

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[ Stanislav Jenis (6) ] Großes Publikumsi­nteresse bei der Debatte im Dachgescho­ß des Wiener Juridicums.

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