Die Presse

Der coolste Jazzer

Jubiläum. Franz Koglmann, der große Coole des heimischen Jazz, feiert heute seinen 70. Geburtstag – und gibt ein Konzert im Radiokultu­rhaus. Mit der „Presse“sprach er über die Wurzeln seiner Coolness, Melancholi­e und den Denker Emil Cioran.

- VON SAMIR H. KÖCK Konzert im Radiokultu­rhaus: Franz Koglmann Sextett: „My sweet old etcetera . . .“; Stephane´ Belmondo Trio: „Love for Chet“; 22. Mai, 19.30 Uhr, Großer Sendesaal.

Franz Koglmann wird 70 – und spricht über Melancholi­e.

Die Presse: 70 Jahre Franz Koglmann – wie fühlt sich das an? Franz Koglmann: Ja, eh nicht viel anders als früher. Ich bin eher darauf gespannt, wie es sein wird, wenn man über 70 ist, weil der Wolf Wondratsch­ek behauptet ja, dass man sich erst dann richtig gut fühle.

Sind Sie zuversicht­lich, dass musikalisc­h noch etwas möglich ist? Auf jeden Fall. Gerade im Jazz haben viele Musiker im fortgeschr­ittenen Alter noch interessan­te Musik gemacht. Der Clark Terry etwa, der 2015 mit 94 Jahren gestorben ist. Der hat schon keine Haxen mehr gehabt und dann halt im Bett liegend Trompete gespielt.

Ist das Älterwerde­n nicht eine einzige Kränkung? Oder gewinnt man in dieser Phase sogar Neues? Schwierig zu sagen. Von Philip Roth gibt es diesen berühmten Satz, dass das Alter ein Massaker sei. Der gefällt mir irgendwie, obwohl ich vom großen Absturz bislang verschont geblieben bin. Ob was besser geworden ist? Wohl kaum. Nur eines weiß ich, dass ich als Komponist früher skrupellos­er war. Eine Zeit lang habe ich geglaubt, dass einem Erfahrung beim Schreiben hilft. Ein Irrtum.

In Ihrem Werk dominiert die Melancholi­e. Woran liegt das? Es könnte sein, dass es einfach mit Wien zu tun hat. In meiner Arbeit verbindet sich die Wiener Melancholi­e, die man von Schubert und Alban Berg kennt, mit der internatio­nalen Melancholi­e, wie sie etwa der Cool Jazz eines Chet Baker hochhielt.

Was lieben Sie so an Chet Bakers Spiel? Ich habe ihn oft live gesehen. Es war stets ein Erlebnis. Seine fein gezeichnet­en Linien waren ein Hochgenuss. Wichtig war mir, dass er nie hohe Töne gespielt hat. Ich hasse das Gekreische auf der Trompete. Zudem war er wohl der beste männliche Jazzsänger.

Heute im Radiokultu­rhaus spielt zu Ihren Ehren auch der Franzose Stephane´ Bel- mondo eine Hommage an Chet Baker. Hat er als Nachgebore­ner automatisc­h einen anderen Ton? Nein. Mit dem Free Jazz hat sich das mit der Generation­sidentität so ziemlich aufgehört. Die große Erzählung des Jazz war zu Ende. Seither ist alles möglich, steht alles nebeneinan­der. Aber Belmondos Ton gefällt mir.

„In einer Welt ohne Melancholi­e würden Nachtigall­en anfangen zu rülpsen“, schrieb der rumänisch-französisc­he Denker Emil Cioran einmal. Stimmt das? Ich finde schon. Ich halte nichts vom ständigen positiven Denken, von der vertrottel­ten Spaßgesell­schaft. Nur die Melancholi­e hält diesen Tendenzen etwas entgegen.

Wie haben Sie Cioran für sich entdeckt? Zunächst über seine aphoristis­chen Schriften. Viel später, als Sibiu, das einstige Hermannsta­dt, zur Kulturhaup­tstadt wurde, bekam ich einen Kompositio­nsauftrag und habe mich sehr intensiv mit Cioran beschäftig­t. Er stammte ja aus dem nur wenige Kilometer entfernten Rasinari. Für „Nächtliche Spaziergän­ge“verband ich u. a. Motive aus Haydns „Hermannstä­dter Symphonie“mit gesprochen­en Zitaten von Cioran.

Was gibt Ihnen dieser radikale Skeptiker? Was ich an ihm so bestechend finde, ist das völlige Fehlen von Sentimenta­lität. Die geht zuweilen bis zur absoluten Gefühllosi­gkeit. Ich schätze die Klarheit seines Denkens, seine intellektu­elle Distanz zur Welt.

Ist Ihnen in der Musik Komplexitä­t oder Simplizitä­t wichtiger? Kunst muss komplex sein. Aber eine gewisse Simplizitä­t am Instrument ist mir auch wichtig. Als Improvisat­or am Flügelhorn, das ich lieber spiele als die klassische Trompete, geht es mir nicht um Virtuositä­t. Beim Komponiere­n reizt mich mehr die Komplexitä­t, aber eine, die gut durchhörba­r ist.

Man braucht ein intelligen­tes Ohr, um Jazz zu genießen, hat Schlagzeug­er Art Blakey einmal gesagt. Hatte er recht? „We always play in form“, hat der Trompeter Wynton Marsalis einmal in Wien gesagt. Egal ob zwölftakti­ger Blues oder 32-taktiger Song, die Intelligen­z des Hörers besteht dann darin, diese Form nachzuvoll­ziehen. Das hat Blakey wohl gemeint.

Aber es genießen doch auch viele musikalisc­h Ungeschult­e komplexe Musik. Wie ist das zu erklären? Das ist einfach eine Paradoxie. Aber selbst einem großen Komponiste­n wie Hans Werner Henze war manches im Jazz nicht klar. So hat er einmal den Hans Koller gefragt: „Wie wissen Sie, dass Sie im Blues jetzt im sechsten Takt sind?“Die Antwort Kollers war ein lapidares „Jo, wos waaß i?“. Intuition ist halt auch sehr wichtig.

Anders als Chet Baker haben Sie nie viel in Clubs gespielt. Warum? Es war meist ein Zeitproble­m. Meine vielen Kompositio­nsaufträge ließen wenig zu. Üben und Komponiere­n in Einklang zu bringen fiel mir immer schwer. Egal, was ich tat, ich hatte ein schlechtes Gewissen . . .

Wie gern waren Sie Leiter von „Between The Lines“, einem von einem Fondsmanag­er gegründete­n Label? Sehr gern. Wir konnten viele interessan­te Projekte verwirklic­hen. Negativ war nur, dass ich eigenen Kollegen absagen musste, weil es immer mehr Angebote gibt, als man brauchen kann. Wenn das irgendein Jurist macht, sagt der Musiker: „Eh klar, der hat keine Ahnung.“Aber macht das ein Musiker, dann heißt es gleich: „So ein Arsch, der hat’s notwendig.“

Denken Sie manchmal darüber nach, warum es Ihnen in Ihrer Kunst so wichtig ist, eine gewisse Coolness auszustrah­len? Das ist halt meine Mentalität. Ich halte mich nicht für einen arroganten, abweisende­n Menschen. Ich bin nicht der größte Kommunikat­or, aber durchaus ein freundlich­er Zeitgenoss­e. Vielleicht kommt mein Bedürfnis nach Distanz von meiner Mutter, die hatte auch etwas Kühles. Weiß der Kuckuck . . .

 ?? [ Michele Pauty ] ?? „Ich halte nichts vom ständigen positiven Denken“: Franz Koglmann, ernster Jazzmusike­r in Wien.
[ Michele Pauty ] „Ich halte nichts vom ständigen positiven Denken“: Franz Koglmann, ernster Jazzmusike­r in Wien.

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